US-Präsident Biden hat recht: Das Putin-Regime zerstören

Kompromisse, Waffenstillstände, Russlands Machthaber Putin aber weiter dabei? US-Präsident Biden hat recht: Der Mann kann nicht an der Macht bleiben.

Victory Zeichen mit ukrainischer Flagge

Ukraine-Unterstützerin in Los Angeles Foto: Ringo Chiu/reuters

Das ist die leider ungemütliche Wahrheit für Demokraten, auch in Deutschland: US-Präsident Joe ­Biden hat keineswegs kürzlich eine präsenil getrübte Rhetorik gewählt, als er bei seiner Ansprache vor polnischen Po­li­ti­ke­r*in­nen im Warschauer Königsschloss sagte: „For God’s sake, this man cannot remain in power“ – also: Um Gottes Willen, dieser Mann kann nicht an der Macht bleiben. Nein, Putin kann nicht weiter in Russland die Macht verkörpern.

Was der 79-Jährige sagte, erfuhr selbstverständlich umgehend Distanzierung durch die eigenen Leute in Washington: Ach, der Präsident mit seinem losen Mundwerk, der kann und sollte es nicht so gemeint haben. Und wenn doch? Wenn es ein wohlgesetztes Ausrufezeichen des aktuell entscheidenden Politikers der rechtsstaatlichen Demokratien war? Wenn diese Worte exakt jenes Ziel umreißen, auf das es auch für uns ankommt, westliche Linke und Linksliberale? Aktuell kommt es gar nicht mehr auf Friedensbewahrung an, sondern allein darauf: Der Aggressor muss weg. In Form eines „Regime Change“ – was denn sonst?

Kann sich irgendjemand vorstellen, den von Wladimir Putin angezettelten Krieg gegen eine sich europäisierende Gesellschaft wie die Ukrai­ne beendet zu sehen – und Putin könnte dann wieder zum zurechnungsfähigen Verhandlungspartner und obersten russischen Repräsentanten in irgendeiner Hinsicht werden? Die Reste der einstigen Friedensbewegung sind ohnehin aufgerufen, in Russland anderes zu sehen als einen friedliebenden Partner, der bedauerlicherweise durch die Nato und die EU-Erweiterung so erbost wurde, dass er ja gar nicht anders konnte, als sich mit einem nichts als mörderischen Überfall auf das Nachbarland zu wehren.

So circa zusammengefasst das, was Sahra Wagenknecht bis neulich meinte. Dem Pazifismus, der Anfang der achtziger Jahre in der bundesdeutschen Friedensbewegung – Nato-Nachrüstungsbeschluss, Einmarsch sowjetischer Truppen nach Afghanistan – die Mentalität schlechthin der Bundesdeutschen wurde, sind die Ratschläge ausgegangen.

Das Ziel ist am Ende nicht: Waffenstillstand und sozialpädagogischer Staatenstuhlkreis

Russland hat mit der Implosion der Sowjet­union die Entwicklung seiner Wirtschaft versäumt. Das riesige Land ist tatsächlich, wie der frühere US-Präsident Barack Obama sagte, nur eine Regionalmacht, ökonomisch vor allem, eine Art Saudi-Arabien mit anderen klimatischen Bedingungen – rohstoffsatt und damit weltmarktkompatibel. Aber Russland hat sonst nichts, was die globalen Märkte wollen könnten. Putin vermag offenkundig nichts anderes, als sich die Welt völkisch zu denken, in der „slawisch“ einen kulturalistischen, ja, imperialen Klang hat, in der es einer Frechheit der Ukrai­ne­r*in­nen gleichkommt, Nato und EU beitreten zu wollen. Noch in der moralisch abgrundtief charakterlosen Ignoranz, die seitens des deutschen Politestablishments dem ukrainischen Botschafter in Deutschland, Andrij Melnyk, entgegengebracht wurde (und wird), schimmert die ankuschelnd-kaufmännische Liebe zum Kreml-Imperium durch.

Dass die deutsche Peace-&-Understanding-Szene trotz all dieser seit Langem bekannten politökonomischen Rahmungen sich Russland immer noch kitschig als „seelentief“ fantasiert, ist der beklemmende Umstand aktuell schlechthin. Noch in der Rede Olaf Scholz bei „Will“ schimmert das durch. Er redet dort korrekt vom russischen Imperialismus und spricht dann vom Präsidenten und stellt diesem Wort sprechend-versprechend ein „ame…“ vor, ehe er in einer hundertstel Sekunde doch vom „russischen Präsidenten“ spricht: Das ist man hierzulande eben nicht gewohnt, auch ein Post-68er wie der Kanzler bleibt millisekundenkurz im Jargon seiner Generation, der das Wort „Imperialismus“ aus Gewohnheit mit „amerikanisch“ attribuiert, weil „russisch“ im Land der Wehr­machts­er­b*in­nen in der Kategorie imperialer Anmaßung nie gedacht wurde.

Worauf es also jetzt ankommt, wäre, dem ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski eine Art deutsche Selbstkritik zu übermitteln: Ja, wir haben euch nicht ernst genommen; ja, wir haben, wohlstandsverwahrlost, wie wir nun mal gern sind, lieber auf russisch-imperiale Billigstoffe gesetzt als auf die Mühe der Demokratisierung; und, ja, wir haben das Militaristische abgelehnt, doch übersehen, dass zur Verteidigung von Freiheit und Demokratie eben auch Militärisches zählen muss. „Lieber rot als tot“, das Credo der bundesdeutschen Friedensbewegung, war schon damals falsch – ein Spruch, der in ukrainischen Ohren inzwischen wie eine politpornografische Sattheitsformel klingt, ungeeignet, dem wirklichen Leben in Nachbarschaft zu militaristischen Imperien zu begegnen.

Karitatives in Deutschland ist wichtig, also die gute Versorgung von ukrainischen Flüchtlingen – auch wenn die Bemerkung von Berlins Bürgermeisterin Franziska Giffey schräg klang, das sei auch prima im Hinblick auf den Facharbeitermangel in Deutschland. Wichtiger muss sein, die Ukrai­ne mit Waffen auszurüsten. Das Ziel ist am Ende nicht: Waffenstillstand, Kompromisse, sozialpädagogischer Staatenstuhlkreis. Das wäre nur ein Etappensieg.

Letztlich kommt es darauf an: dass das Putin-Regime zerstört wird, mit dem Chef in Den Haag vor dem Obersten Gerichtshof, Nürnberg 2.0 quasi, höchstselbst für seine Verbrechen einstehend. Ein „Regime Change“ durch Rus­s*in­nen und ihre Alliierten, also auch mit unserem Support. Joe Biden hat also nur ausgesprochen, was friedensbewegter Logik zufolge Empörung auslöst oder womöglich, realitätstüchtig geworden, Respekt. Aber Biden, so oder so, hat recht – was denn sonst?

Und danach geht es um die Frage von Reparationen: Russland vor allem hat den Wiederaufbau der Ukraine zu finanzieren. Nötigenfalls mit internationalen Strafbefehlen und Aushebung der oligarischen Konten. Und: Auch die EU – mit den Ländern an der Spitze, die von russischen Rohstoffen am stärksten profitierten – Deutschland vorneweg.

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Jan Feddersen

Jahrgang 1957, ist Kriegsdienst­verweigerer, aber kein Dämonisierer der Bundeswehr, und möchte eine Welt ohne Waffen. Er bevorzugt ästhetisch mehr Filme von Quentin Tarantino als von Robert Redford und war zweimal in der Ukraine: „Ein bestürzend aufregendes Land, das unbedingt Solidarität verdient.“

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