Fotografien aus BRD und DDR: Alltag mit Zukunftsangst

Die Schau „Deutschland um 1980. Fotografien aus einem fer­nen Land“ im Bonner Landesmuseum schlägt unfreiwillig eine Brücke ins Heute.

Punks laufen ausgelassen auf einer Strasse, flankiert von Polizisten

Die zweiten „Chaostage“ in Hannover im Jahr 1984 Foto: Martin Langer/ Deutsche Fotothek

In Genf findet die Weltklimakonferenz statt, in fünf europäischen Mitgliedsstaaten werden neue Atomraketen zum Schutz vor den Russen aufgestellt und durch die kriegsbedingte Ölpreiskrise streitet Deutschland um Tempolimits, autofreie Sonntage und eine alternative Energieversorgung – auch mittels Atomkraft.

All das sind Nachrichten aus dem Jahr 1979 – aber sie klingen schrecklich aktuell. Denn vieles mag sich in den vergangenen vier Jahrzehnten verändert haben, aber eben nicht alles. Und manchmal scheint sich Geschichte auch einfach zu wiederholen.

Vor diesem Hintergrund werden die Besucher der gerade in Bonn eröffneten Ausstellung „Deutschland um 1980 – Fotografien aus einem fernen Land“ vielleicht das ein oder andere Déjà-vu-Erlebnis haben. Anhand von sieben fotografischen Positionen entführt sie uns zurück in diese längst vergangene Zeit und wer von der unterschiedlichen Mode der damaligen Zeit absieht, wird vielleicht mehr Gemeinsames als Trennendes finden.

Bis 14. August 2022

LVR-Landesmuseum Bonn

www.landesmuseum-bonn.lvr.de

So sehen wir Angela Neukes Fotos aus einer der ersten McDonald’s-Filialen in Deutschland, eine Homestory über den Sänger Roberto Blanco und Fotos von der Wahlparty der Grünen nach ihrem Einzug in den Bundestag 1983. Das war damals genauso eine Sensation wie es vor einem Jahr möglich erschien, dass Deutschland eine Grüne zur Bundeskanzlerin wählt. Dazu ist es nicht gekommen und stattdessen müssen sich Grüne und ihre Wähler heute mit dem Dilemma zwischen eigenem Anspruch und Realpolitik herumschlagen.

Politiker lachen selten

Die Bildjournalistin Neuke zeigt uns aber auch einen lachenden US-Präsidenten Ronald Reagan, der von einem ebenfalls lachenden deutschen Bundeskanzler Helmut Kohl beim Weltwirtschaftsgipfel 1985 in Bonn begleitet wird. Diese Fotos fallen allein deshalb schon auf, weil sie zu den wenigen Farbfotos in der von Schwarz-Weiß dominierten Ausstellung gehören. Aber auch deshalb, weil Politiker auf Fotografien ohnehin nur selten lachen.

Staubtrocken und vielleicht gerade deshalb komisch wirken Parrs Ansichten aus deutschen Wohnzimmern

Provoziert fühlen wird sich vielleicht manch älterer Besucher beim Anblick von Neukes kurzer Beerdigungssequenz: Am 25. Oktober 1977 hatte sie die Beisetzung des von der RAF getöteten Hanns Martin Schleyer fotografiert – und fast nahtlos folgen darauf ihre Fotos der Beisetzungen der RAF-Terroristen Gudrun Ensslin, Andreas Baader und Jan-Carl Raspe, die nur zwei Tage später und ebenfalls in Stuttgart stattfanden.

Historisch gesehen sind diese Ereignisse eng miteinander verbunden, moralisch möchten manche den Tod des einen nicht mit dem Tod der anderen gleichstellen. Doch worum es dem Kuratoren-Team möglicherweise wirklich geht, ist die Darstellung der Trauer und der Verzweiflung bei den Hinterbliebenen, denn diese ist – egal, wie man persönlich zu den Ereignissen stand oder steht – auf beiden Seiten die gleiche.

Doch nicht alle Arbeiten sind so politisch aufgeladen. Es gibt auch humorvolle und – das bleibt bei Ausstellungen mit historischen Fotografien kaum aus – nostalgische Begegnungen.

Solarium und Tischdecke

Hans-Martin Küsters zeigt uns elegante Ball-Gäste am Buffet und (Zwillings-?)Schwestern, die mit Solarium-Schutzbrillen in der Sonne liegen und die der legendäre Magnum-Fotograf Hans-Martin Küsters fast genauso auch aufgenommen hat – allerdings Jahre später und in den für ihn typischen grellen Farben statt in Schwarz-Weiß.

Staubtrocken und vielleicht gerade deshalb komisch wirken seine Ansichten aus deutschen Wohnzimmern im Jahr 1976. Fast möchte man sich bei dem Überangebot an Mustern auf der Tapete, den Vorhängen, den Kissen, Tischdecken, Blumen und sonstigen Stehrümchen dafür bedanken, dass der 2014 verstorbenen Küsters die Bilder nicht in Farbe aufgenommen hat – es wäre wohl kaum auszuhalten gewesen.

Spannend, weil unverhofft ist die Wahl des Fotografen Mahmoud Dabdoub in der Ausstellung. Der Libanese kam 1981 nach Ostdeutschland und blickte als Fremder auf diese für ihn neue Welt. Wir sehen einfache Arbeiter auf der Straße, Jugendliche beim Knutschen, eine auf einem Klavier liegende Studentin, Kinder beim Skateboarden und einen gefährlich schräg aufgebockten Trabant. Dabdoub ist ein Chronist dieser Zeit. Was für die Deutschen Alltag war, war für ihn fast alles ungewöhnlich und genau deshalb fotografierwürdig. Heute können wir es ihm danken.

Jogginghose und Hitlergruß

In diese Kategorie fällt teilweise auch der vor wenigen Wochen verstorbene Martin Langer. Seine wohl berühmteste Aufnahme vom „hässlichen Deutschen“, der im Fußball-Nationaltrikot und mit vollgepisster Jogginghose den Arm zum Hitlergruß gehoben hat, während ein Mob die Zentrale Aufnahmestelle für Asylbewerber angreift, ist in der Ausstellung freilich nicht zu sehen, weil es erst 1992 entstanden ist.

Dafür zeigt die Ausstellung seine Bilder aus Gorleben und von den Protesten und Blockaden gegen die Castor-Transporte. Darunter ist ein Foto zu sehen, wie Polizisten eine Gruppe von Demons­tran­ten einkreist – auf einer gerade gerodeten Fläche, während im Hintergrund der Wald beginnt. Obwohl 1984 aufgenommen, könnte es genauso gut von den jüngsten Ereignissen im Hambacher Forst stammen.

Bedrohlich-absurd ist auch Langers Foto von einem Panzer des Nato-Herbstmanövers, der an einem eher ländlich wirkenden deutschen Backsteinhaus vorbeifährt: Zwei Anwohner stehen auf der Straße und hinter den Fenstern mit den typischen Gardinen schauen sich ebenfalls ein Mann und ein Kind das ungewöhnliche Treiben an. Trotz der 38 Jahre, die seit der Aufnahme vergangen sind, spiegelt es doch auch die Bedrohungen und Befürchtungen der Gegenwart wider.

Was ebenfalls erwähnt werden sollte: Die Ausstellung beschränkt sich nicht auf den westdeutschen Blick, sondern zeigt ganz selbstverständlich auch Fotografien aus der DDR, ohne jedoch in alte Ost-West-Klischees zu verfallen.

Im Gegenteil: Während Mahmoud Dabdoub 1984 Punks in Leipzig fotografierte, sehen wir von Hans-Martin Küsters trostlose Straßenansichten und spießige, sorry: traditionelle Schützenfestumzüge in Westdeutschland. Manchmal geht der Punk eben dort ab, wo man ihn am wenigsten erwartet. Auch das kann eine Erkenntnis der Ausstellung sein – neben vielen weiteren.

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