Gastbeitrag vom FC St. Pauli-Präsidenten: Ideen für viel Dickbrettbohrerei

Oke Göttlich, Präsident des FC St. Pauli, setzt sich mit dem Buch der taz-Autorin Alina Schwermer über eine bessere Zukunft des Fußballs auseinander.

Einlaufkinder rennen über den Rasen zurück an die Seitenlinie

Zukunftsaufgabe: für nachkommende Generationen den Fußball kreativer und egalitärer gestalten Foto: Frank Brexel/imago

Es ziemt sich zunächst in Form eines Disclaimers darauf hinzuweisen, dass mein Name in diesem 450 Seiten schweren, kompassartigen Buch für einen anderen Fußball erwähnt wird. Der Fußballklub FC St. Pauli, dem ich als präsidialer Repräsentant der Mitgliedschaft angehöre, genannt wird und Institutionen wie DFL und DFB, in denen ich mich als Mitglied des Präsidiums und erweiterten Vorstand engagiere, deutlich – im übrigen häufig zu recht – kritisiert werden und ich vor langen Jahren für diese Zeitung arbeiten durfte. Die Autorin Alina Schwermer kenne ich nicht persönlich.

Inmitten einer Zeit der stetigen Veränderungen und Anpassungen unserer Lebens(umstände)- und Verhaltensweisen widmet sich Alina Schwermer dem Fußballsystem und damit einem der vermeintlich letzten gemeinschaftlichen Feuerstellen des gesellschaftlichen Mainstreams. Das ist wichtig zu verstehen, denn viele der Themen, die in die Kapitel „Ideen zur Gegenwart“, „Ideen einer besseren Zukunft im bestehenden System“, „Ideen für ein besseres System“ und „Ideen zum Selbermachen“ eingeteilt sind, werden abseits der Theorie nicht in Zirkeln und mit Menschen verhandelt, die einem durch den gemeinsamen Stadiongang, die gleiche Kneipe, den Stadtteil oder die Arbeit der politischen Gruppe bekannt oder lieb sind.

Es sind viele Menschen, die teils unterschiedliche Lebensmodelle, bestimmt aber gegensätzliche Sichtweisen vertreten, insbesondere wenn man es aus dem Blickwinkel einer irgendwie zusammenhängenden Gruppe von Fuß­ball­sys­tem­kri­ti­ke­r:in­nen betrachtet. Hier sollten wir immer einen Perspektivwechsel wagen, so unangenehm er auch sein möge – in viele Richtungen.

Gerade dies macht dieses Buch deutlich. Natürlich ist es ein Ausdruck einer in einem bestimmten Umfeld sozialisierten Autorin, deren Aufruf zu Aktivismus aber differenziert und ausgewogen Stärken und Schwächen darlegt, sowie Ideen auch nur als solche in den Raum stellt. Beim Lesen kommt Optimismus auf, der sich auf einem immerwährenden Kulturwandel (auch zum Guten!) aufbaut und bewusst allen vor Augen führt, dass ein Veränderungsprozess immer nur mit den Prinzipien Versuch, Rückschlag, Fortschritt passieren wird. Im besten Sinne also zu Mut aufruft.

Alina Schwermer: Futopia – Ideen für eine bessere Fußballwelt, Verlag Die Werkstatt, 448 Seiten, 26 Euro

„Protest muss besser werden“

Einem Mut, der im Übrigen auch nach Fertigstellung des Buches von gern kritisierten Funktionären bei den jüngsten Wahlen des DFB-Bundestags an den Tag gelegt wurde. Zeitlich auf den Punkt und mit höchster Flexibilität haben Menschen sich Wahlen gestellt, die kurz zuvor aussichtslos erschienen und zumindest weitere, kleine Schritte zu mehr Demokratie darstellen – arrangiert von Menschen, die nach dem Verständnis vieler Kri­ti­ke­r:in­nen wohl eher dem alten oder rückständigen System zugehörig schienen. Auch dazu nimmt das Buch Stellung: „Nicht der einzelne Verband, der Protest muss besser werden.“ Oder, wie es der Soziologe Armin Nassehi formulierte: „Genau genommen protestiert der Protest also gegen die Opposition, wenn diese zu schwach ist.“ Die Opposition muss viel breiter werden, radikaler, kreativer. Mutig, mitreißend, anstößig.

Viele Dinge müssen im und durch den Fußball angesprochen werden und dürfen nicht nur symbolpolitisch vor sich her geschoben werden. Andernfalls werden drängende Probleme, wie Jugendliche überhaupt noch am Fußball aktiv oder passiv teilnehmen, Talente unter fragwürdigen Bedingungen aussortiert werden, Gewinne des Fußballs privatisiert und Kosten der Allgemeinheit aufgedrückt werden, undurchsichtige Geldflüsse oder Beteiligungsstrukturen von außen geklärt. Der Fußball sollte selbst an regulativen Prinzipien im Schulterschluss mit der Politik und den europäischen Gesetzgebungen interessiert sein.

Ansonsten erschließt sich keine Alternative zu der im Buch ebenfalls dargestellten und so schön als „unterschiedliche Galaxien“ umschriebenen Zersplitterung der Ligen. Dann gäbe es Verhältnisse wie im Profiboxen, wo verschiedene Verbände Weltmeister küren. Auch das gehört zu einer ehrlichen Auseinandersetzung mit der Thematik und auch der Realität, dass jeder Wettbewerb derzeit auch ausgrenzend und unfair ist. Fragen wir mal die kleineren Ligen der europäischen Nachbarländer. Sonst bleibt nur der kleinste gemeinsame Nenner, der derzeit so bremsend wirkt und über den es sich so schön streiten lässt.

„Futopia“ ist eine Anregung zur Aktivität, Gestaltung und Partizipation, statt nur aus der Anonymität heraus zu meckern. Inhaltlich setzt es sich gelungen mit Modellen in anderen Ländern und Sportarten auseinander, die spannende Sichtweisen aufzeigen. Wer sich für Themen wie Kaderobergrenzen (Einwurf des Autors: unbedingt!), Quotenregelung in Führungsgremien (auch für einen Verein wie St. Pauli mit Quote ein augenöffnendes Kapitel ), CMC (Fußball als Arbeitnehmer der Gesellschaft), PPS (feste Anzahl Spit­zen­spie­le­r:in­nen pro Klub) und eine weitergedachte 50+1-Regelung interessiert, findet Argumente und Ideen für viel Dickbrettbohrerei und jahrelange Diskussionen in Entscheidungszirkeln.

Dafür bedanke ich mich sehr und verbleibe mit einem starken Satz des Buches und einer Forderung, mit der ich mich gemein machen mag: „Ein revolutionäres System wäre schon eines, das Wege findet, menschliche Dämonen im Zaum zu halten.“ Das gilt für so vieles dieser Tage.

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