Überschuss nutzen

ENERGIEWENDE Auf dem Weg zum geeigneten Speicher für Ökostrom baut Greenpeace auf Windgas. Es soll die stetig steigende Überschuss-Energie verwertbar machen

■ Zu viel Wasserstoff im Gas verringert die Brennfähigkeit und damit die Qualität von Erdgas. Derzeit liegt der Anteil von Wasserstoff im Erdgas bei fünf Prozent.

■ Erdgas als Treibstoff: Der Autohersteller Audi lässt eine Wasserstofferzeugungsanlage für die Methananmischung bauen. Ab 2013 soll der A3 auch mit Erdgas fahren können.

■ Elektrolyse: Prozess, bei dem ein elektrischer Strom eine Redoxreaktion – eine Elektronenübertragung von einem Partner auf den anderen – erzwingt. Dabei wird elektrische Energie in chemische umgewandelt.

VON EYKE F. KAEDING

Auch wenn die Betreiber der Atomkraftwerke mit ihrem Schicksal hadern: Die Energiewende läuft auf Hochtouren. Jeden Tag wachsen gewaltige Windräder in den Himmel, aus gelben Rapsfeldern stechen grüne Biogasanlagen heraus, Gewerbetreibende lassen im Eiltempo ihre Hallen mit Photovoltaikanlagen überziehen. Der Strom aus erneuerbaren Energien fließt. Einzig die Frage, wie sich diese stark fluktuierende Energie speichern und damit nutzen lässt, ist noch ungelöst. Die Umweltorganisation Greenpeace glaubt die Antwort gefunden zu haben: Windgas.

„Windgas ist im Prinzip in Gas umgewandelter Ökostrom“, sagt Henrik Düker von Greenpeace Energy. Er nennt das „Power to Gas“. Dabei nutzt man Ökostrom wie Windenergie, um mittels Elektrolyse Wasser in seine Bestandteile Sauerstoff und Wasserstoff zu zerlegen. Der Wasserstoff kann nach der Trennung direkt ins Gasnetz eingespeist und während der Überschusszeiten gespeichert werden. Bei Bedarf verwandeln Gaskraftwerke das erneuerbare Gas zurück in Strom. Die Industrie nutzt dieses Verfahren bereits seit Jahrzehnten. Er gilt als sauber und umweltverträglich.

Die Infrastruktur für die Lagerung von Windgas ist schon vorhanden. Über die Republik spannt sich ein Erdgasnetz, dessen Speicherkapazität bei etwa 230 Terawattstunden liegt, was in Deutschland dem Verbrauch von mehreren Monaten gleichkommt. Das Speicherreservoir des Stromnetzes verfügt dagegen nur über 0,04 Terawattstunden. „Das deutsche Gasnetz als Speicher für Wind- und Sonnenstrom“ – diese Vorstellung begeistert Düker. Allerdings gibt es auch kritische Stimmen.

Denn die Möglichkeit, Wasserstoff in das Erdgasnetz einzuspeisen, ist begrenzt, heißt es in einer Studie des Fraunhofer Instituts von 2011. Demnach kann Wasserstoff in der bestehenden Infrastruktur nicht eins zu eins verwendet werden, weil die Gaskraftwerke, Brenner und Heizungen für solch hohe Wasserstoffanteile nicht konstruiert wurden. Sie können nur bis zu einem einstelligen Prozentsatz mit Wasserstoff im Gasgemisch belastet werden. Für die Umstellung auf ein reines Wasserstoffnetz und Wasserstofftechnik würden Kosten in Milliardenhöhe anfallen.

Man wolle ja gar nicht das deutsche Gasnetz bis an den Rand mit Wasserstoff füllen, sagt Greenpeace. Ziel des Konzepts sei es, den Überschuss-Strom zu nutzen. Der Anteil aus regenerativer Energie, der wegen fehlender Speicherungsmöglichkeiten bisher ungenutzt verloren geht, lag 2010 bei 127 Millionen Kilowattstunden, und ein Jahr später bereits bei 150 Millionen Kilowattstunden, schätzt der Bundesverband Windenergie. 37.000 Haushalte hätten dadurch ein Jahr lang mit Strom versorgt werden können. Da der Anteil verlorener Energie durch den Aufbau von noch mehr Ökostromanlagen weiter steigen wird, will Greenpeace mit Windgas versuchen, dieser Entwicklung etwas entgegenzusetzen.

Zustimmung bekommen die Umweltschützer von Branchenriesen wie Eon. Vorstandsmitglied Klaus-Dieter Maubach erklärte in einem Interview mit einem Fachmagazin, dass Windgas langfristig durchaus die Integration der erneuerbaren Energien in das Energieversorgungssystem unterstützen könne.

Für Greenpeace könnte der nächste Schritte die Methanisierung des Wasserstoffs sein. Dabei entsteht durch die chemische Reaktion des Wasserstoffs mit Kohlendioxid klimaneutrales Methan, kurz: synthetisches Erdgas, welches, anders als Wasserstoff, problemlos in die vorhandene Infrastruktur eingespeist werden kann.

Dieser Schritt funktioniert schon heute. Das Fraunhofer Institut arbeitet mit dem österreichischen Partnerunternehmen Solar Fuel Technology an einer industriellen Umsetzung. Vattenfall Europe Innovation und auch Eon unterhalten oder errichten derzeit Pilotanlagen.

Düker sieht Greenpeace aber noch nicht auf diesem Weg. Der Energieverlust bei Umwandlung zu Methan ist etwa zehn Prozent höher als bei Wasserstoff. „Ein Verlust,“ sagt Düker, „den man nicht in Kauf nehmen muss, solange sich noch Wasserstoff einspeisen lässt.“ Viel kritischer aus seiner Sicht ist aber, dass Kohlendioxid (CO2) für solche Konzepte vor allem aus klimaschädlichen Kohlekraftwerken und nicht aus Biogasanlagen kommt.

Deshalb treibt Greenpeace mit dem Tochterunternehmen Planetenergy den Aufbau einer eigenen Wasserstoff-Erzeugungsanlage voran. Und zwar mit der Hilfe von über 6.000 Kunden. Die Neu-Abonnenten des seit Herbst 2011 buchbaren Stromtarif ProWindgas zahlen auf jede Kilowattstunde einen Förderaufschlag von 0,4 Cent und unterstützen damit die zukunftsweisende Technologie.

Idealismus hat seinen Preis. Bei einem Gasverbrauch von 2.000 Kilowattstunden pro Jahr und einer Vertragslaufzeit von 12 Monaten zahlt man laut www.verivox.de für Pro Windgas Privat 1.528,80 Euro. Es gibt günstigeren Ökostrom: Beim Anbieter Naturstrom überweist man für den Tarif Naturstrom Biogas10 rund zwanzig Euro weniger. Jedoch fördert Naturstrom wie die meisten anderen Anbieter „nur“ den Ausbau erneuerbarer Energien, und nicht wie Greenpeace Energy die Entwicklung neuer Technologien, um die Stromverschwendung zu stoppen.