„Sie schämen sich für ihr Land“

Ein Fotograf dokumentiert in St. Petersburg die Reaktionen auf den Krieg Putins

Foto: Anonymous

Wenn ich Fotos von den Protesten mache, laufe ich ständig Gefahr, ebenfalls verhaftet zu werden. Ich habe mir wachsame Augen antrainiert. Bei den Demonstrationen am 6. März ist ein Kollege von mir festgenommen worden, der für den belarussischen Exilsender Belsat arbeitet. Er hat 15 Tage Haft bekommen.

Zuletzt gab es in St. Petersburg deutlich weniger Demonstrationen gegen den Krieg als noch in den ersten Wochen der Invasion. Die meisten Leute haben Angst, ihre Meinung zu sagen: Sie fürchten, verhaftet zu werden. Auch in persönlichen Gesprächen trauen sie sich nicht, über den Krieg zu reden. Ungefähr 15.000 Menschen sind in Russland seit Beginn der Invasion bereits verhaftet worden, weil sie öffentlich protestiert haben.

In St. Petersburg ist wie in Moskau vergangenes Wochenende die Annexion der Krim gefeiert worden. Es gab ein großes Festkonzert in der Jubileiny-Halle, bei der der Bürgermeister Alexander Beglov gesprochen hat. Überall wehten russische Fahnen. Das Gelände wurde weiträumig von der Polizei gesperrt, Demonstranten waren nicht an der Halle zu sehen. Zwei oder drei Journalisten aber wurden festgenommen.

In der Stadt und im historischen Zentrum herrscht ansonsten fast normales Straßenleben. Ein paar Leute machen Musik, Jugendliche tanzen. Schrecklich-schöne Frühlingstage. In manchen Gassen sieht man „No War“-Schriftzüge an den Wänden, an den größeren Straßen werden sie entfernt. Das „Z“-Symbol der russischen Patrioten („Z“ für „Za pobyedu“, „Für den Sieg“) habe ich in St. Petersburg bislang selten gesehen, nur vereinzelt mal an einem Auto oder einem Laternenmast.

Ich bin jetzt für einige Tage nach Moskau gefahren. Dort ist es etwas leerer auf den Straßen als sonst. In einer riesigen Shoppingmall nahe dem Kursker Bahnhof waren die Hälfte der Läden geschlossen: Uniqlo, Levi’s, Adidas, Reebok, Vans – alles zu. Der Handel kommt nach und nach zum Erliegen.

Ein Freund meinte zu mir: „Die Leute schauen sich auf der Straße nicht mehr in die Augen. Man kann das spüren, sie schämen sich für ihr Land.“

Aber es gibt natürlich auch die überzeugten Patriotinnen und Patrioten, die Putin feiern. Gerade unter den älteren Russinnen und Russen glauben viele der Propaganda des Kreml. Die jungen Leute sind eher gegen den Krieg. Aber natürlich gibt es auch unter ihnen sogar gut Gebildete, die Putin verteidigen. Diese Leute verstehe ich am wenigsten.

Die Situation ist schon jetzt furchtbar. Aber ich fürchte, es wird ein noch größerer Krieg kommen.

Protokoll: Jens Uthoff

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taz archiv

Am 12. März 2022 veröffentlichten wir an dieser Stelle das Foto eines Fotografen aus St. Petersburg (siehe links), das er während der Antikriegsproteste am 6. März aufgenommen hat. Man sieht darauf, wie Ordnungskräfte einen in den vereisten Fluss Moika geritzten Schriftzug mit türkiser Farbe übermalen: „Нетвойне“ („Nein zum Krieg“).

Ein Leser der taz sah unsere Seite mit dem Foto und bot der taz Panter Stiftung an, zehn hochwertige Drucke des Fotos in der Größe 100 x 70 cm zu finanzieren, um mit dem Verkauf den Fotografen zu unterstützen.

Die taz Panter Stiftung hat die Nutzungsrechte für das Foto erworben und den Druck in Auftrag gegeben. Für 1.000 Euro pro Exemplar werden die Fotos nun verkauft. Der Erlös geht vollständig an den Fotografen, der aus Sicherheitsgründen weiter anonym bleiben muss und von dem auch das obige Foto auf dieser Seite stammt. Mit dieser Aktion wollen wir uns mit den Jour­na­lis­t:in­nen in Russland solidarisieren, die weiterhin kritisch berichten und ihre Freiheit und Unversehrtheit aufs Spiel setzen. Wir bedanken uns bei dem Leser, Spender und Ideengeber dieser Aktion.

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