Schlechte Stimmung auf den Fahrradstraßen

Für Kommunen ist es leichter geworden, Fahrradstraßen einzurichten. Doch was als Erleichterung für den Radverkehr gedacht ist, hat in der Praxis Schwachstellen: Sowohl viele Au­to­fah­re­r:in­nen als auch viele Rad­le­r:in­nen beachten die dort geltenden Regeln einfach nicht

Roter Teppich für den Radverkehr: Die Fahrradstraßen sollen das Leben der Rad­le­r:in­nen erleichtern Foto: Michael Bahlo/dpa

Von Joachim Göres

Bis vor Kurzem konnten Fahrradstraßen nur eingerichtet werden, wenn der Radverkehr die vorherrschende Verkehrsart war. Durch eine neue Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrsordnung reicht es seit November 2021 aus, wenn dort künftig eine hohe Fahrradverkehrsdichte erwartet wird. Die Umwidmung einer Straße ist auch möglich, wenn sie eine große Bedeutung für ein gutes Fahrradwegenetz hat. Fahrradstraßen können Städte und Gemeinden seit 25 Jahren einrichten.

Laut Straßenverkehrsordnung haben Fahrräder dort Vorrang, sie dürfen nebeneinander fahren. Es gilt die Höchstgeschwindigkeit von 30 Stundenkilometern. Ein quadratisches Verkehrsschild mit einem weißen Fahrrad in einem blauen Kreis und der Aufschrift „Fahrradstraße“ kennzeichnet so eine Straße. Neben Fahrrädern dürfen dort auch Pedelecs, E-Bikes und E-Scooter fahren. Ein rechteckiges Zusatzzeichen unter diesem Schild kann motorisierten Verkehrsteilnehmern die Benutzung weiter erlauben, zum Beispiel den Anliegern oder auch dem Durchgangsverkehr. Motorisierte Fahrzeuge dürfen den Radverkehr aber nicht gefährden. Sie dürfen auch nicht drängeln, wenn vor ihnen mehrere Rad­le­r:in­nen nebeneinander fahren.

Zudem können Städte und Gemeinden seit 2020 Fahrradzonen ausweisen. Dabei handelt es sich um ein Netz von zusammenhängenden Fahrradstraßen mit den oben beschriebenen Regeln. Es muss nicht mehr jede einzelne Straße gekennzeichnet werden, sondern nur am Anfang und am Ende wird die Fahrradzone mit einem ähnlichen Verkehrsschild wie bei der Fahrradstraße markiert – mit dem einzigen Unterschied, dass auf dem Schild „Zone“ und nicht „Fahrradstraße“ steht. Bremen war mit zwölf Straßen in einer Länge von zweieinhalb Kilometern Vorreiter bei der Schaffung solcher Fahrradzonen. Nur wenige Städte sind bislang diesem Beispiel gefolgt.

Mit den Regelungen soll der Fahrradverkehr gefördert werden. Doch wie sieht die Praxis aus? Beispiel Celle: Dort sind in den letzten fünf Jahren 19 Fahrradstraßen geschaffen worden. In Celle wie auch bundesweit sind in fast allen Fahrradstraßen Autos weiterhin erlaubt – so auch in der Wiesenstraße und im Südwall. Diese beiden viel befahrenen Einbahnstraßen können Rad­le­r:in­nen auch entgegen der Fahrtrichtung nutzen.

Wer das zur Hauptverkehrszeit ausprobieren will, sollte sich darauf einstellen, dass einem Au­to­fah­re­r:in­nen entgegenkommen, die weder die vorgeschriebene Höchstgeschwindigkeit von 30 Kilometern noch eineinhalb Meter Sicherheitsabstand einhalten. In der Wiesenstraße muss man als Rad­le­r:in an engen Stellen mitunter absteigen, um nicht mit Fahrzeugen zu kollidieren. Vorrang sieht anders aus. „Die Parkplätze müssten in der Wiesenstraße auf die andere Seite verlegt werden, damit es nicht zu kritischen Situationen kommt“, fordert Wilhelm Eggers, verkehrspolitischer Sprecher des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC) in Celle. „Für Radfahrer, die auf ihrem Recht bestehen, kann es gefährlich werden.“

Verkehrssicherheitsberater Karsten Wiechmann von der Polizeidirektion Celle sieht das etwas anders. „Ich habe schon gehört, dass Radfahrer in Fahrradstraßen bedrängt werden, aber selber habe ich das noch nicht erlebt.“ Bei Kontrollen hat Wiechmann vor allem Verstöße von Rad­fah­re­r:i­nen registriert, die etwa auf dem Gehweg fahren. „Sie sollten wie vorgeschrieben die Fahrbahn nutzen, damit die Autofahrer lernen, dass man Radfahrern mehr Wertschätzung entgegenbringt“, meint Wiechmann. Er hat zudem beobachtet, dass Au­to­fah­re­r:in­nen beim Überholen in der Fahrradstraße oft nicht genügend Abstand halten. Insofern kein Wunder, dass Rad­fah­re­r:in­nen den Gehweg vorziehen.

Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) hat 2016 für eine Studie bundesweit 223 Fahrradstraßen unter die Lupe genommen – innerhalb von fünf Jahren wurden dort 186 „relevante Unfälle“ festgestellt. Das zeige, „dass Fahrradstraßen sichere Infrastrukturelemente sind“. Als besondere Gefahrenquellen geben die befragten Rad­fah­re­r:in­nen parkende und zu schnell fahrende Autos an. Das Wissen über die Regeln in den Fahrradstraßen wird von den Studienautoren als sehr lückenhaft beurteilt. Einem Drittel der befragten Au­to­fah­re­r:in­nen sei gar nicht bewusst gewesen, dass sie sich auf einer Fahrradstraße befanden. Zudem kannte ein erheblicher Teil von ihnen nicht die Tempobegrenzung auf 30 Stundenkilometer. Der GDV empfiehlt, Fahrradstraßen nur noch für Anlieger und nicht mehr für den Durchgangsverkehr freizugeben. Er regt zudem an, Au­to­fah­re­r:in­nen in diesen Straßen das Überholen von Fahrradfahrern zu verbieten.

Klage gegen Radstraße
Anika Meenken, Sprecherin für Radverkehr beim Verkehrsclub Deutschland (VCD)

In Hannover hat kürzlich ein Anwohner der Kleefelder Straße gegen die Stadt Hannover geklagt und erreicht, dass die dort bestehende Fahrradstraße aufgehoben werden muss. Das Verwaltungsgericht Hannover stellt in seinem Urteil fest, dass in der besagten Straße im Zooviertel der erlaubte Durchgangsverkehr und die auf der Straße parkenden Autos dazu führten, dass Fahr­rad­fah­re­r:in­nen keine Vorteile von der Fahrradstraße hätten. An manchen Stellen sei es so eng, dass Rad­fah­re­r:in­nen nicht weiterfahren könnten, wenn ihnen ein Pkw entgegenkomme. Das widerspreche dem Zweck einer Fahrradstraße. Die Fahrbahn müsse mindestens 4,75 Meter breit sein, was in der Kleefelder Straße nicht der Fall sei. Die Stadt habe zudem nicht nachweisen können, dass an dieser Stelle eine Fahrradstraße „zwingend erforderlich“ sei.

Zu hohe Hürden

„Wenn man den Kfz-Verkehr nur dann beschränken kann, wenn man nachweist, dass eine Fahrradstraße aus Verkehrssicherheitsgründen zwingend erforderlich ist, wird das dazu führen, dass es künftig weniger Fahrradstraßen geben wird“, sagt ADFC-Rechtsreferent Roland Huhn und fordert eine Veränderung des Straßenverkehrsgesetzes und der Straßenverkehrsordnung.

„Je mehr rechtliche Vorgaben man macht, umso schwieriger wird es, Fahrradstraßen einzurichten“, sagt Anika Meenken, Sprecherin für Radverkehr beim Verkehrsclub Deutschland (VCD). Deshalb lehnt sie Mindestbreiten für Fahrbahnen ab: „Jede Fahrradstraße ist positiv. Wir gehen davon aus, dass es dadurch mehr Radverkehr und mehr Sicherheit für den Einzelnen gibt. Wo es zu Verstößen gegen die Regeln kommt, muss man mehr kontrollieren und die Regeln bekannter machen.“