Wahlkampf in Frankreich: Linke schöpft wieder Hoffnung

Jean-Luc Mélenchon ist der aussichtsreichste linke Kandidat bei den Präsidentschafts­wahlen. Er könnte die Stichwahl gegen Emmanuel Macron erreichen.

Jean-Luc Mélenchon trägt Mantel und Brille und reckt umringt von Menschen die Faust in die Luft

Jubel auf dem Place de la République: Jean-Luc Mélenchon mit An­hän­ge­r*in­nen am Sonntag Foto: Thomas Padilla/ap

PARIS taz | Mehrere Zehntausend Menschen, laut den Organisatoren sogar mehr als Hunderttausend, haben am Sonntag dem Aufruf des linken Präsidentschaftskandidaten Jean-Luc Mélenchon Folge geleistet und an einem „Marsch für die Sechste Republik“ teilgenommen. Sie forderten lautstark einen Bruch mit dem heutigen politischen System, General de Gaulles Fünfter Republik.

Auf der kurzen Strecke zwischen der Pariser Bastille und der Place de la République flatterten die unzähligen Trikoloren der Marschierenden im Wind, auf Transparenten stand „Union populaire“ (Volkseinheit), der Name der Wahlallianz, in deren Namen Mélenchon kandidiert.

Auf den meisten Fahnen aber war der griechische Kleinbuchstabe Phi abgebildet. Er steht phonetisch für „Fi“, die Abkürzung für Mélenchons Partei France Insoumise (Unbeugsames Frankreich). All diese Symbole würden auch zu einem Rechtspopulisten passen. Aber Mélenchon ist wie schon 2017 der aussichtsreichste Kandidat der französischen Linken.

„Hört auf, meinen Namen zu brüllen, ich weiß, wie ich heiße“, ruft Jean-Luc Mélenchon seinen An­hän­ge­r*in­nen zu, die seine Rede mit dem Slogan „Mélenchon – Président!“ unterbrochen haben. Seinen Humor hat der linke Präsidentschaftskandidat nicht verloren, auch seine Hoffnung nicht, es am 10. April gegen den Amtsinhaber Emmanuel Macron in die zweite Runde zu schaffen.

Nur wenige Prozentpunkte hinter Le Pen

Daran hätten noch vor ein paar Wochen die Wenigsten ernsthaft geglaubt. In den letzten zwei Wochen aber hat der Kandidat, den die Umfragen zu Beginn der Wahlkampagne mit weniger als 10 Prozent der Stimmen auf dem fünften oder sechsten Platz sahen, plötzlich Auftrieb bekommen. In den jüngsten Umfragen liegt er mit 12 bis 13 Prozent auf dem dritten Platz, nur noch wenige Prozentpunkte hinter der Rechtsextremistin Marine Le Pen mit 15 bis 18 Prozent. Im Sprint will Mélenchon nun die Aufholjagd gewinnen und die Karten der Präsidentenwahl neu mischen.

Was, wenn diese Wahlen nicht bereits mit einem Remake des Finales Le Pen gegen Macron von 2017 und einer Wiederwahl des Präsidenten gelaufen wären? Die meisten auf der Place de la République, in deren Mitte die Freiheits-Monumentalstatue aus Solidarität mit der Ukraine mit einer gelb-blauen Weste bekleidet ist, glauben daran.

Die beiden Rentner Thierry und Daniel, die aus Caen in der Normandie angereist sind, sind mehr für das Programm, weniger für den Kandidaten. „Ich kann verstehen, dass Mélenchon mit seinem übersteigerten Ego oder gewissen Äußerungen in der Vergangenheit aneckte“, meint der ehemalige Informatiker Daniel.

Die 23-jährigen Kunstgeschichte-Studierenden Clara und Mathieu sagen, sie hätten schon 2017 mit 18 Jahren Mélenchon aus Überzeugung gewählt. Dieses Mal hoffen sie, dass er die extreme Rechte aus der Stichwahl verdrängt. „Es ist eine historische Chance“, erklärt Clara.

Auch für andere tönt die Idee attraktiv. Die ehemalige Sozialistin und Ex-Präsidentschaftskandidatin Ségolène Royal hatte mit ihrer Empfehlung überrascht: „Die einzig nützliche Wahl für die Linke ist das Votum Mélenchon!“ Die bekannte Feministin Caroline de Haas hofft mit Mélenchon im zweiten Durchgang auf einen neuen Elan für die sozialen Bewegungen und auf „zwei Wochen ohne Rassismus und Sexismus zwischen den Wahlgängen“.

Plötzlich Hoffnungsträger

So ist Mélenchon, der schon zum dritten Mal antritt, plötzlich zum Hoffnungsträger einer gespaltenen Linken geworden, die sich schon halbwegs damit abgefunden hatte, dass es wieder zu einer Stichwahl zwischen Macron und Le Pen kommen würde. Wie schon 2017 wäre das frustrierend für die meisten Linkswähler*innen, die am Ende keine andere Wahl als die des kleineren Übels hätten – in der Person des Amtsinhabers Macron. Mit einem linken Kandidaten im Finale anstelle von Le Pen oder des anderen rechtsextremen Kandidaten Eric Zemmour, sähe das anders aus.

Mélenchon fordert nun die noch Unentschlossenen oder bisher mit anderen linken Kandidaten wie Yannick Jadot von den Grünen, Fabien Roussel von den Kommunisten oder Anne Hidalgo von den Sozialisten Sympathisierende auf, mit einer „nützlichen Wahl“ seinen Traum zu verwirklichen.

Alle Stimmberechtigten hätten eine „persönliche Verantwortung“, denn mit ihrem Wahlzettel könnten sie in einem „sozialen Referendum“ über zwei politische Alternativen abstimmen, etwa der Rente mit 60 oder mit 65 Jahren wie bei Macron und den übrigen Kandidaten der Rechten. Mélenchon verspricht eine Erhöhung der Mindestrenten, einen monatlichen Mindestlohn von 1.800 Euro, gedeckelte Preise für Grundnahrungsmittel und Benzin sowie kostenlose öffentliche Verkehrsmittel, solange die Treibstoffkrise anhält. Und während Präsident Macron gerade neue Reaktoren bestellt, fordert Mélenchon einen Ausstieg aus der Atomkraft.

Einen Schritt in diese Richtung hat er am Sonntag mit der erfolgreichen Mobilisierung getan. Er selbst versichert mit seiner bebenden Rednerstimme eines Volkstribuns: „Eine andere Stichwahl ist möglich!“, und auch: „Eine andere Welt ist möglich!“

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