Ausstieg 10 Jahre später

Aufgrund des Ukrainekriegs will Belgien die Atommeiler Doel und Tihange länger Strom produzieren lassen als geplant. Der Betreiber ist jedoch skeptisch

Belgien verschiebt wegen des drastischen Anstiegs der Energiepreise im Zusammenhang mit dem Ukrainekrieg erneut seinen Ausstieg aus der Atomenergie. Zwei der sieben Atomreaktoren des Landes sollen zehn Jahre über das derzeit geplante Ausstiegsdatum 2025 hinaus betrieben werden, wie die Regierung in Brüssel am Freitagabend beschloss. Die Laufzeitverlängerung betrifft die Reaktorblöcke Doel 4 bei Antwerpen und Tihange 3 bei Lüttich.

Die Regierung muss nun mit dem französischen Energiekonzern Engie, der die Atomkraftwerke in Belgien betreibt, über Kosten und Umsetzung verhandeln. Dieser zeigte sich in einer Erklärung skeptisch: Engie werde gemeinsam mit der belgischen Regierung „Machbarkeit und Umsetzungsbedingungen der in diesem Stadium in Betracht gezogenen Lösungen untersuchen“. Das Unternehmen führte Sicherheitsbedenken wegen der kurzfristigen Entscheidung an. Insgesamt überstiegen „Unvorhersehbarkeit und Umfang“ dieser Entscheidung die normale Tätigkeit eines privaten Betreibers. Der Konzern fordere daher aktualisierte „angemessene Aufteilung der Risiken und Chancen“.

Gegen die als pannenanfällig geltenden belgischen AKWs gibt es in den Nachbarländern und besonders in Deutschland seit Jahren Proteste. Der Widerstand richtet sich besonders gegen zwei ältere Reaktoren, Tihange 2 und Doel 3, in denen Experten im Jahr 2012 Tausende Haarrisse in den Reaktordruckbehältern fanden. Das AKW Tihange liegt etwa 60 Kilometer von der deutschen Grenze entfernt.

Die Pläne für einen Atomausstieg waren erstmals 2003 gesetzlich festgeschrieben worden, die Abschaltung wurde aber immer wieder verschoben. Belgien deckt einen Großteil seines Energiebedarfs durch Importe. AKWs sind die wichtigste heimische Energiequelle.

Regierungschef De Croo kündigte mit der Laufzeitverlängerung für die beiden Reaktoren zusätzliche Investitionen in Offshore-Windkraft, Wasserstoff, Solarenergie und nachhaltige Mobilität an. „Viel zu lange hat es unserem Land an einer Vision gefehlt“, sagte er. „Das hat zu viel Unsicherheit geführt.“ Auch die Niederlande kündigte an, die Produktion von Offshore-Windenergie anzukurbeln. (afp, taz)

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