Frauenquote in der Berliner Politik: Giffey allein reicht nicht aus

Frauen haben weiterhin deutlich schlechtere Chancen in der Landespolitik als Männer, so eine Studie. Sie fordert ein Paritätsgesetz.

Zahlreiche Politiker*innen laufen eine Treppe hinauf

Die Frauen in der Mitte, die Männer am Rand: So sieht es leider nur im Senat aus Foto: imago

BERLIN taz | Manchmal muss man schon sehr genau schauen, um einen Fortschritt zu erkennen. „Weder im neuen Abgeordnetenhaus noch in den Bezirksverordnetenversammlungen sind Frauen ihrem Anteil an der Berliner Bevölkerung entsprechend vertreten“, heißt es im neuen Monitoring der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) zur Frauenquote in der Berliner Politik.

Die Studie, erstellt von Helga Lukoschat und Lisa Hempen, wird am Montag offiziell vorgestellt. Es bestehe, halten die Autorinnen nüchtern fest, „weiterhin politischer Handlungsbedarf“. Parität, die sich die rot-grün-rote Landesregierung als erklärtes Ziel in den Koalitionsvertrag geschrieben hat, sieht anders aus.

Immerhin drei positive Nachrichten konnte Lukoschat bei der Präsentation vor der Presse der nach 2020 zum zweiten Mal aufgelegten Studie vermelden: Die Regierende Bürgermeisterin ist jetzt, endlich, eine Frau. Bei den Se­na­to­r*in­nen­pos­ten stehen gar sechs Frauen vier Männern gegenüber; auch in der zweiten Führungsebene, also auf Staatssekretärsebene, hat sich in den Spitzenpositionen das Verhältnis zugunsten der Geschlechterparität verschoben: 12 Frauen und 13 Männer.

Und schließlich konnten 35,4 Prozent der Abgeordnetenhausmandate bei der Wahl im September 2021 von Frauen errungen werden. Der Abwärtstrend, mit einem Tiefstwert seit der Wiedervereinigung von 33,1 Prozent im Jahr 2016, scheint damit gestoppt. „Dennoch ist das ein Fortschritt im Schneckentempo“, konstatiert Lukoschat.

„Frauen MACHT Berlin“, heißt die Studie der Ebert-Stiftung zur politischen Partizipation von Frauen in Berlin – man überlese nicht die Großbuchstaben. Vorgestellt wird die Untersuchung heute, 21. März, 17 Uhr, online. Anmeldung erforderlich: www.fes.de/lnk/frauen-machen-berlin. U.a. mit der Regierenden Bürgermeisterin Giffey.

Woran liegt es, dass auch im Jahr 2022 im tendenziell links regierten Berlin Parität bloß eine Absichtserklärung in Koalitionsverträgen ist?

Zunächst einmal, so die Studie, liegt es an einigen Parteien, die ebenfalls mit im Abgeordnetenhaus sitzen: Die Opposition aus CDU, AfD und FDP zieht die Frauenquote nämlich ordentlich runter. Am schlechtesten schneiden mit 13,3 Prozent Frauenanteil – das sind in dem Fall vier Mandate – die Christdemokraten ab, damit liegen sie noch hinter der AfD (15,4 Prozent). „Das ist für die Berliner CDU kein gutes Zeugnis“, sagt Lukoschat.

Besonders auffällig bei der CDU, aber auch bei der SPD, die auf immerhin 38,9 Prozent Frauenquote in ihren Reihen kommt: Frauen werden in den Wahlkreisen zwar fleißig als Direktkandidatinnen aufgestellt – nur gewählt werden sie dann meistens nicht. Bei der SPD schafften sieben von 33 Kandidatinnen den Einzug über die Erststimme, bei der CDU sogar nur drei von 25 Frauen.

Den Grund für das schlechte Abschneiden der Frauen sieht Lukoschat darin, dass Männer die attraktiveren Wahlkreise bekämen. Es reiche deshalb nicht, „Frauen zu nominieren; sie müssen auch die aussichtsreichen Wahlkreise bekommen.“

Dass es schlicht zu wenige gute Frauen für aussichtsreiche Positionen gebe, mögen die Studienautorinnen nicht gelten lassen: In den Bezirksparlamenten, die als Sprungbrett in die Landespolitik gelten, ist der Frauenanteil nämlich deutlich höher; selbst die CDU kommt dort auf insgesamt 33,1 Prozent. „Das Argument: Wir finden die Frauen nicht, zieht nicht“, sagt Lukoschat.

Cornelia Seibeld ist eine der vier CDU-Frauen im Abgeordnetenhaus. Ihren Wahlkreis in Steglitz-Zehlendorf hat sie seit 2006 immer direkt gewonnen. „Natürlich ist das nicht gut“, sagt Seibeld, wenn man sie fragt, ob ihr der geringe Frauenanteil in der eigenen Fraktion Bauchschmerzen macht – immerhin ist Seibeld auch frauenpolitische Sprecherin.

Sie habe schon viele kluge, gute Frauen in ihrem Kreisverband erlebt, sagt Seibeld. Aber die wenigsten entschieden sich für den Sprung in die Vollzeit-Politik auf Landesebene. „Politik ist familienfeindlich“, sagt Seibeld, das müsse man klar sehen – die vielen abendlichen Termine, die langen Sitzungen. Und dann erleben sie häufig, dass es „Frauen schwerer fällt zu sagen: ‚Hier bin ich, ich kann das!‘“

Nicht gerade förderlich für das Selbstvertrauen des weiblichen Nachwuchses sind die immer noch besonders männlich dominierten Kreis- und Ortsverbände. Seibeld sagt, gerade dort brauche es mehr Frauen, die Vorbild sein wollen für den weiblichen Nachwuchs. „Patenschaften könnten ein Weg sein.“

Die rot-grün-rote Koalition hat sich ein Paritätsgesetz als Ziel in den Koalitionsvertrag geschrieben – ein Instrument, das auch Lukoschat für das „Mittel der Wahl“ hält, um die Frauenquote in den Parlamenten zu steigern. Grüne und Linke hatten bereits in der letzten Legislatur jeweils Eckpunkte für ein solches Gesetz vorgelegt. Beide Parteien schlugen quotierte Landeslisten vor, also die abwechselnde Aufstellung von Frauen und Männern – was Linke (Frauenquote: 54 Prozent) und Grüne (53 Prozent) auch bereits machen.

Silke Ruth Laskowski

„Es geht hier um ein strukturelles Problem von Parteien“

Die Grünen gingen am weitesten mit ihrem Vorschlag, die Zahl der Wahlkreise zu halbieren und stattdessen immer Duos aus einer Frau und einem Mann zur Direktwahl aufzustellen. Einen Dämpfer erhielt das Berliner Vorhaben, als die Landesverfassungsgerichte in Thüringen und Brandenburg dort bereits geltende Paritätsgesetze für verfassungswidrig erklärten, weil es die Parteienfreiheit unzulässig einschränke.

Bahar Haghanipour, frauenpolitische Sprecherin der Bündnisgrünen-Fraktion, hält das Ziel eines Paritätsgesetzes dennoch „nach wie vor für politisch richtig“, sagt sie der taz. „Es geht jetzt darum, zu erarbeiten, wie der Weg zu einem rechtssicheren Paritätsgesetz aussehen kann.“ Über dieses Ziel, glaubt Haghanipour, „sind wir uns in der Koalition auch einig“.

Ihre SPD-Kollegin Mirjam Golm ist weniger optimistisch: „Wir brauchen nicht noch ein Gesetz, das juristisch abgesägt wird“, sagt die Abgeordnete aus Steglitz-Zehlendorf. Wichtiger, sagt Golm, die auch gleichstellungspolitische Sprecherin ihrer Fraktion ist, sei deshalb die Arbeit an einem „Bewusstseinswandel“, der in den Parteien stattfinden müsse. Da sei etwa die Präsenzkultur, die langen Tage, die auch Seibeld kritisiert.

„Es geht hier um ein strukturelles Problem von Parteien“, sagt Silke Ruth Laskowski. Die Professorin für Öffentliches Recht an der Uni Kassel hatte ein Gutachten erstellt, in dem sie darlegt, warum ein Berliner Paritätsgesetz doch verfassungskonform sein kann: Der Gleichheitsgedanke von Mann und Frau wiege höher als die Parteienfreiheit. Von der bisherigen Rechtsprechung solle man sich nicht irritieren lassen, zumal es noch kein Urteil des Bundesverfassungsgerichts gebe. „Wir brauchen mutige Politikerinnen, die etwas bewegen“, fordert Laskowski deshalb.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.