Weiße Seele im Kreuzstich

Die Tradition dominiert die Herrenmodenschauen für die Kollektionen des kommenden Sommers in Mailand und Florenz. Bei Prada und Gucci erlebt die zurückgegelte Eleganz der Dreißiger ein Comeback, Burberry orientiert sich am britischen Aristokraten-Chic

Nächsten Sommer wird der Zweireiher zurückkommen. Und es wird ziemlich weißDie scharf gezeichnete Silhouette hat sich bei fast allen Designern durchgesetzt

VON KATHRIN KRUSE

Man fächelt. Bei achtunddreißig Grad im Schatten muss man Abstriche machen, auch ans Angezogensein, auch auf der Pitti Immagine Uomo, der größten europäischen Herrenmodemesse in Florenz. In der Fortezza da Basso, mittelalterliche Festung und terrakottafarbene Kulisse der Pitti Uomo, wehen geöffnete Haifischkragen mit hübsch verwegenem Effekt zurück. Schmale Hosen werden aus dünnstem Material getragen, die Hemden sind bunt und Jacketts vergessen die meisten ganz. Der modische Protagonist aber ist ein anderer, es ist die Sonnenbrille, genauer: die Sonnenbrille. Schräg gezogene melancholische Tropfenform, metallgerahmt, meist Gold, manchmal Silber, die „klassische Ray Ban“, wie es heißt. Sie ist überall, sie dominiert ihren Träger, weswegen sich alle irritierend ähneln. Aber man ist ja gekommen, um den nächsten Sommer zu sehen – erst die Kollektionen in Florenz und dann die Herrenschauen in Mailand, die gestern zu Ende gingen. Jetzt lässt sich sagen: Der Zweireiher kommt zurück, im kommenden Sommer, gut möglich. Es wird ziemlich weiß. Und die Jeans hat keine Vergangenheit mehr. Keine Lebensspuren, keine Zeichen des Gebrauchs. Nichts als dunkles, festes Denim. Von Ausnahmen einmal abgesehen.

„Tradeshows are boring by definition“, sagt Raffaelo Napoleone, Messechef der Pitti Uomo. Wer gesehen hat, wie der Antwerpener Designer Raf Simons für seine Schau androgyne Knaben durch die Boboligärten laufen ließ, kann das nur kokett verstehen. Die sanften Hügel entlang, im Abendlicht die steinernen Treppen hinauf und hinunter in geflochtenen Sandalen, futuristisch-grauem Strick oder diesen überweiten Herrenhosen der Dreißigerjahre mit hoch sitzendem Bund, hier aber auf dem Hüftknochen gehalten. Mal fallen breite, doch leichte Anzugjacken an den schmalen Körpern herab, mal sitzen sie knapp, die Hosenbeine schmal und konfirmandenkurz. Wie mag sich der belgische Avantgardist Raf Simons zum Purismus Jil Sanders verhalten? Mittlerweile gehört das Haus ganz dem Prada-Konzern und ist nach Abschied und Wiederkehr und Abschied endgültig ohne Jil Sander. Chefdesigner des Hauses ist ab Juli Raf Simons.

In der glänzend weißen Halle von Boss verdoppelt ein Deckenspiegel das Geschehen am langen Wasserbecken, in dem eigentlich ein Hai hätte schwimmen sollen und das jetzt, so leer zum bloßen Pool degradiert, ein wenig zahnlos wirkt. Gut so, vielleicht. In der Casual Linie Boss Orange findet sich überraschend: die Gebrauchsspur. Ausgefranste Hemdkragen und breit gestreifte Seidenkrawatten mit Polyesteranmutung, die aussehen, als habe sich ihr Träger frontal an einer rauen Fassade langsam seitlich bewegt. Wenn jedes Outfit eine Geschichte hat, dann ist die Krawattenstory ziemlich wirr. Der Kreuzstich an der Hemdenschulter ist deutlicher: beliebter Signifikant des Handgemachten. Beginnt hier nicht jeder Handarbeitslappen? Na also. Jetzt ist der Kreuzstich hübsch platziert im semantischen Feld von Authentizität, Seele und individuellem Makel. „Handcrafted“ ist in den Hemden zu lesen. Das wäre doch nicht nötig gewesen.

Die Tradition, die Tradition, die Tradition. Einige spielen es herauf, andere müssen es herunterspielen, aber seit zu Beginn des Jahres die Textilexportbeschränkungen für China gelockert wurden, wird das „Made in Italy“ sehr, sehr deutlich kommuniziert. Simon Collins, der mit „Kinross Cashmere“ ausschließlich in China produziert, glaubt zwar, dass es in zehn Jahren keine italienische oder schottische Spinnerei mehr geben wird, Heritage hin oder her. Noch aber, sagt er, brauche man ein westliches Gesicht, um Kaschmir „made in China“ zu verkaufen. Manchmal reicht auch das nicht. Ein japanischer Einkäufer kommt näher, nestelt durch die Kollektion. Chinesische Produktion? Schon ist er wieder verschwunden.

„The only way to go about it is to do the best you can“, das ist es, was Miucchia Prada zum Thema China zu sagen hat, backstage nach der Mailänder Schau, mit rotem Haarreifen und in ein dunkelblaues Ensemble gekleidet – ein wenig Mao, ein wenig neue Einfachheit. „Simplicity“ ist ihr Stichwort für die Kollektion. Es gibt rote Herzen auf weißen Hemden, die Ärmel bis kurz unter die Achseln aufgerollt, später kommen Sterne dazu. Schmaler grauer Strick mit kurzen, sehr feminin angeschnittenen Ärmeln und U-Boot-Ausschnitt. Und dann ist wirklich Nylon zu sehen, der schwarze Pradabeutel, die leichten Ensembles aus Hose und Blouson oder kurzärmligen Westen, antrazith oder schwarz: das Prada der Neunziger, gegen das Glitzern der Achtziger gesetzt. Alles habe wie Baumwolle aussehen sollen, sagt Miucchia Prada: „Es ist das Gegenteil von Luxus.“

In Mailänder Buchhandlungen werden alte Modezeitschriften verkauft, Vogues der Sechziger, Siebziger, Achtziger, und die Designer wenden sich ihren Archiven zu. Vivienne Westwood, ohnehin für den Rückgriff bekannt, hat für diese vergangenheitsinspirierten Stück jetzt eine eigene Linie geschaffen: the „Archive Label“. „Active Resistance“, heißt Kollektion, im Untertitel „Culture versus Dogma“. Der aktive Widerstand beginnt mit Ringelshirts und Radlerhosen auf einem Laufsteg aus alten Holzdielen. Kurz zu den Unterschieden, bei Dolce & Gabbana ist alles verspiegelt, bei Versace ist komplett ein Mosaik gelegt und bei Armani ist weißer Marmor. Dielen sind ziemlich low key. „I am not a Terrorist“, ist auf einem T-Shirt zu lesen, grauweiße, pyjamaartige Hosen assoziieren Sträflingskleidung, ein Hemdkragen steht weg wie ein Segelohr. Der Kwilt ist dabei, meist in Weiß, und ein weißes Hemd mit langen Ärmeln und großem Kragen ist in ein kleines Nichts von einer Sporthose gesteckt. Ganz hübsch, wie das Großzügige auf das Kleinliche trifft.

Im Burberry Archiv hat Christopher Bailey die britischen Aristokraten entdeckt. Verfeinerte Eleganz und gelassenes Gemüt, vielleicht die schönste Kollektion der Schauen mit kreidigen, blassen Pastellen, klaren Linien und ganz erstaunlichen Kombinationen der sonderlichsten Schattierungen von Beige. Sie spielen ins Grünliche, ins Apricot oder ins Gelbe hinein – ein wenig so, als würde man eine Tapete entfernen und die Sechzigerjahre freilegen, etwas verblasst, etwas staubig. Und dann die blauen, auf Figur geschnittenen marineblauen Zweireiher mit Goldknöpfen, was wunderbar nach Pilot aussieht, ein wenig nach Navy. Und wirklich nur ganz, ganz wenig nach Hamburg. „The kids of modern popular culture are really the new aristocracy“, sagt Bailey nach der Schau. Doch ob sie sich anziehen wollen wie die alten Aristokraten?

Usher jedenfalls hat sich für die Versace-Schau entschieden. „If it were a movie, it would be Miami Vice“ ist in der Kollektionsbeschreibung zu lesen. Sorglose Tage und endlose Nächte. Vor der Versace-Schau lässt sich backstage verfolgen, wie trainierte Männer auf derartiges vorbereitet werden. „Did you do his neck, did you wipe him?“ Versace-Jungs in Diesel-Jeans und Dolce-&-Gabbana-Unterhosen, aus denen Kleenexfähnchen hängen, des Make-ups wegen. Jeder wird so weit braun, wie gleich das Hemd aufschwingt. Dann lagern die glossybraunen Statuen auf dem Boden. Die Näherinnen sind in der Ecke schräg gegenüber. Mittelalte Damen in fliederfarbenen Blusen plaudern gelassen, während vis-à-vis Donatella Versace mimisch unbewegt für die Fotografen in die flieder-weißen Hemden greift. Manchmal hat Flieder mit Flieder so gar nichts zu tun.

Dolce & Gabbana zeigen Used Denim und ziehen den Sitz ins Extrem, etwas muss sich ja bewegen. Auf Hüfte geschnittene Hosen, geschätzte Reißverschlusslänge fünf Zentimeter. Sagen wir: sieben. Aber maximal. Mit Mädchenblumen bestickte Unterhosen bauschen aus den Jeans heraus, und die rutschen irgendwo unter der Hüfte, schon allein deshalb, weil immer mindestens zwei Knöpfe offen stehen. In Sachen Jeanswear gibt es eine Obsession, und das ist der Hintern. Hier hat er mit der Hose nicht mehr viel zu tun. Tief sitzende Hosen mit tiefen Schritt und engem Bein machen im Übrigen dem Träger das Gehen nicht leicht. Nicht, dass er trippeln müsste, aber ein wenig großartig und doch blöd sieht es schon aus, dieses Zurückgehaltenwerden vom eigenen Hosenbein. Und erinnert es nicht leicht, ganz leicht, an den Humpelrock von Paul Poiret? Spät, aber dennoch: Gender Mainstreaming greift. Für den Abend gibt es Anzüge, metallisch glänzende Oberflächen und dann viel Weiß. Und die scharf gezeichnete, knappe Silhouette, mit der Hedi Slimane, Herrendesigner bei Christian Dior, begonnen hatte. Jetzt hat sie sich durchgesetzt, bei fast allen, die schmale, etwas nervöse Eleganz.

Einmal muss es hysterisch werden bei den Schauen, muss Spannung steigen, muss choreografiert werden, mit Licht und dicht gedrängten Rängen. Und da ist dann etwas ganz anderes zu sehen, Weißes zwar auch, weiße Anzüge und weiße Hosen zu weißen Grobstick-Cardigans, aber es sind Zweireiher, doppelt geknöpfte Jacketts, doppelt geknöpfte Cardigans zu Bundfaltenhosen mit geradem, langem Bein, die ganz oben in der Taille von einem Gürtel gehalten werden. Die unwahrscheinlichste aller Hosen, das letzte modische No, No. Bei Gucci kommen sie in Weiß, in Schwarz, in Grau. Wie findig, wie konsequent, sie auszugraben, an die breitrückige Eleganz der Dreißiger, das zurückgegelte Haar. Doch auch bemüht, wie der Dankesgruß des Herrendesigners John Ray – in der Dunkelheit auf die Laufstegmitte, Spotlicht an, Spotlich aus und schnell verschwunden. Ziemlich wenig gelassen. Muss ja nicht sein.