Sportboykott als Mittel: Wandel durch Ablehnung

Warum der Ausschluss von Nationen wie Russland aus dem Sport sinnvoll sein kann, illustriert der Umgang mit dem früheren Apartheid­staat Südafrika.

Fünf Sportlerinnen im Sprint auf einer Rennbahn

Südafrikanerin, die zur Britin wurde: Zola Budd (2.v.r.), die Barfußläuferin, 1984 in Los Angeles Foto: imago

Südafrika gilt als das Beispiel schlechthin. Wann und wo auch immer jemand sagt, beispielsweise zu dem aktuellen Thema der künftigen Rolle Russlands im Weltsport, Boykotte hätten keine Wirkung, ja, sie schadeten bloß den Sportlern, meldet sich stets einer, der an die Geschichte des Apartheidregimes erinnert, um damit zu beweisen, dass in bestimmten historischen Konstellationen Boykott und internationaler Ausschluss sehr wohl die gewünschte Wirkung haben können.

Haben sie.

Der Sportboykott half mit, das rassistische Regime zu überwinden. Anders als in anderen Fällen von Sanktionen, etwa ganz aktuell gegen Russland und Belarus, war der Sportboykott gegen Südafrika von der im Land tätigen Oppositionsbewegung getragen. Der African National Congress (ANC) unterstützte nicht nur, er forderte Sanktionen gegen das Land. Ganz anders das Internationale Olympische Komitee (IOC) und die anderen Institutionen des Weltsports: Die stützten das Apartheidregime, solange es irgend ging.

Ein anderer Unterschied ist der Zeitfaktor. Während die Sanktionen gegen russische Sportler und Verbände nur wenige Tage nach der militärischen Invasion in die Ukraine verhängt wurden, hatte es wesentlich länger gedauert, die sportpolitische Reaktion auf den institutionalisierten Rassismus Südafrikas zu installieren. Die Apartheid wurde per Gesetz schon 1947 eingeführt, doch da war das Land als Südafrikanische Union noch Teil des Commonwealth. Erst als es das Dach des Vereinten Königreiches 1960 verließ, fanden Boykottforderungen Gehör. Gegeben hatte es sie freilich schon vorher: 1947/48 hatten Norwegen und die damals noch um ihre IOC-Mitgliedschaft verhandelnde Sowjetunion den Ausschluss gefordert.

Black-Power-Symbolik

Die UNO beschloss 1962 Sanktionen, das IOC reagierte erst 1963 auf internationalen Druck und lud die südafrikanische Mannschaft für die Spiele 1964 in Tokio wieder aus. Ähnlich war es 1968 vor den Spielen in Mexiko-Stadt. Auch da baute sich eine internationale Bewegung gegen das Apartheidregime auf. Getragen war sie vor allem von afrikanischen Staaten, die ihre Unabhängigkeit erlangt hatten. Zudem war auch die Forderung, Südafrika und seinen Nachbarstaat Rhodesien auszuschließen, in der von schwarzen US-Athleten getragenen Bewegung zentral.

Die führte zwar nicht zum Boykott, aber zu zahlreichen Protesten mit Black-Power-Symbolik während der Spiele. Der Ausschluss Südafrikas war eine ihrer Forderungen, eine andere der Rücktritt des IOC-Präsidenten Avery Brundage aus den USA. Der, ein Millionär aus Chicago, war für seinen offenen Hass auf Schwarze und Juden bekannt. In den dreißiger Jahren war Brundage – Spitzname „Slavery“ – bekennendes Mitglied des rechtsextremen „America First Committee“. Als dieser Avery Brundage die Entscheidung verkünden musste, dass entgegen seinem Votum Südafrika nicht an den Olympischen Spielen 1968 teilnimmt, hatte er Tränen in den Augen. Der Entscheidung des IOC waren Boykottdrohungen von 32 Nationen vorausgegangen.

1970 schloss das IOC das Nationale Olympische Komitee Südafrikas formell aus. Auch der Weltleichtathletikverband IAAF verbannte das Regime 1970. Ähnlich, aber doch ein bisschen anders, war die Entwicklung im Weltfußball. 1964 wurde der südafrikanische Fußballverband von der Fifa zunächst suspendiert, doch erst 1976 wurde er formell ausgeschlossen. Die Wiederaufnahme erfolgte erst 1992, als das Apartheidregime gestürzt war und das Land sich auf eine demokratische Zukunft vorbereitete.

Das IOC nahm Südafrika 1991 wieder auf und ließ es 1992 bei den Spielen in Barcelona teilnehmen – mit einer 90-köpfigen Mannschaft, zu der nur acht schwarze Sportler gehörten. Nelson Mandela war zu Eröffnungsfeier angereist. Das NOK Rhodesiens durfte in den siebziger Jahren weiterhin Mitglied der olympischen Familie bleiben. Auch hier sorgte erst internationaler Druck, verbunden mit glaubwürdigen Boykottdrohungen, dafür, dass Rhodesien wenigstens nicht zu den Olympischen Spielen 1972 in München eingeladen wurde.

Als Brundage dort, nach dem Terrorüberfall auf die israelische Mannschaft, bei der Trauerfeier seine Rede hielt, die in dem Satz „The Games must go on!“ gipfelte, stellte er den Mord an jüdischen Sportlern mit dem Ausschluss des Apartheidregimes gleich: „Die Spiele der 20. Olympiade waren zwei grausamen Angriffen ausgesetzt. Wir haben bezüglich Rhodesien den Kampf gegen nackte politische Erpressung verloren.“ 1975 wurde das NOK Rhodesiens endlich ausgeschlossen, 1980 kehrte es als Simbabwe zurück. An den Paralympics 1972 durfte Rhodesien allerdings teilnehmen. Die Veranstalter wollten nicht als diejenigen gelten, die Rollstuhlfahrer vom Sport ausschließen.

„No normal sport“

Wie konnte in den sechziger und siebziger Jahren die Republik Südafrika von den Olympischen Spielen ausgeschlossen werden, obwohl doch das IOC offen seine Sympathie mit dem Staat und seinem rassistischen Sportkonzept bekundete? Der Sport hatte im Widerstand gegen die Apartheid stets eine größere Rolle gespielt. „No normal sport in an abnormal society“, lautete die Begründung, kein normaler Sport in einer anormalen Gesellschaft. 1958 gründete der führende Aktivist Dennis Brutus SASA, die South African Sports Association, die sehr schnell schon 60.000 Mitglieder hatte.

Ihr erster Erfolg: 1962 nahm Südafrika nicht an den Commonwealth Games teil. Aus SASA wurde SANROC, das South African Non-Racial Olympic Committee, ein Olympisches Komitee der schwarzen Mehrheitsgesellschaft. Das IOC schäumte, Avery Brundage forderte SANROC auf, den Begriff „Olympic“ aus dem Namen zu nehmen. Die Proteste gegen Südafrikas Auftritte im Weltsport waren ganz wesentlich vom ANC getragen, der politischen Partei des südafrikanischen Widerstands. Das Regime verfolgte das SANROC, sodass es ab 1965 im Untergrund agieren musste.

Dabei war der sportpolitische Ausgangspunkt der Anti-Apartheid-Bewegung gar nicht das IOC gewesen, sondern der Rugby-Sport. Die „Springboks“ gerufene Nationalmannschaft sollte schon seit Ende des 19. Jahrhunderts eine weiße Überlegenheit symbolisieren. Formell ausgeschlossen aus dem Weltsport war der südafrikanische Rugby-Verband auch in den Jahrzehnten der Apartheid nicht, aber massive Proteste sorgten immer wieder dafür, dass die Springboks nicht antreten durften. Die guten Rugby-Kontakte zwischen Südafrika und Neuseeland waren der Grund, warum die Spiele 1976 in Montreal von 30 Staaten, überwiegend aus Afrika, boykottiert wurden. Sie hatten vergeblich den Ausschluss Neuseelands gefordert. Bei den Weltmeisterschaften 1987 und 1991 war Südafrika immerhin nicht teilnahmeberechtigt.

Nicht nur im Rugby blieben weiße südafrikanische Spitzensportler präsent. Die Langstreckenläuferin Zola Budd, berühmt, weil sie ohne Schuhe lief, nahm die britische Staatsbürgerschaft an und startete so bei den Olympischen Spielen 1984 in Los Angeles. Gegen ihren Start gab es massive Proteste, aber sie trat an. Budd war auch Weltrekordlerin über 5.000 Meter, allerdings wurde ihre Bestmarke nicht als Rekord gewertet, denn als sie die aufstellte, war sie noch Südafrikanerin. Ein 5.000-Meter-Weltrekord im Crosslauf, den sie 1986 aufstellte, wurde offiziell registriert, weil sie da den britischen Pass besaß.

Ähnliche Auswirkungen hatte der Olympiaausschluss Südafrikas im Schwimmsport. Bei den Spielen 1976 hatte der US-Amerikaner Jim Montgomery ganz knapp mit 49,99 Sekunden als erster Mensch die 100 Meter Freistil unter fünfzig Sekunden gekrault. Doch nur zwanzig Tage später brach der weiße Südafrikaner Jonty Skinner mit 49,44 Sekunden Montgomerys Bestmarke deutlich. Aber wie im Fall von Zola Budd wurde die Sensationszeit nicht als Weltrekord gewertet.

Erreicht hatte Skinner seinen inoffiziellen Rekord übrigens bei den Amateur Athletic Union National Championships in Philadelphia. Ein politischer Versuch, ihm eine US-Staatsbürgerschaft zu verschaffen, damit er bei den Spielen in Montreal hätte starten können, war gescheitert. Bis heute ist übrigens Südafrika eine Schwimmnation, und zwar eine vorwiegend weiße: Im 15-köpfigen Schwimmteam, das Südafrika bei den Olympischen Spielen 2021 in Tokio vertrat, war nur ein schwarzer Athlet dabei. Und der, Michael Houlie, war der erste schwarze Olympiaschwimmer in der Geschichte des Landes überhaupt.

Südafrika ist tatsächlich ein Beweis, dass politische Sanktionen bis hin zu Boykott und Ausschluss etwas bewirken können. Genauer hingeschaut lehrt es jedoch, dass die Boykottforderungen eher dann die gewünschte politische Wirkung entfalten, wenn sie von der Opposition im sanktionierenden Land selbst getragen werden.

Ein Beweis dafür, dass Rassismus oder andere Unterdrückungsideologien so gut und nachhaltig überwunden werden können, ist das Beispiel Südafrika allerdings nicht. Der Ausschluss aus dem Weltsport konnte Anfang der neunziger Jahre schnell aufgehoben werden. Der Rassismus im Sport wirkt allerdings weiter nach.

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