Deutsch-Russische Forschungsprojekte: Eiszeit in der Wissenschaft

Für deutsch-russische Forschungsprojekte bedeutet Putins Angriffskrieg das Aus. So gut wie alle wissenschaftlichen Kooperationen sind ausgesetzt.

Drei Astronauten in ihren Weltraum-Anzügen

Die Roskosmos-Astronauten Pyotr Dubrov u. Oleg Novitskiy sowie Mark Vande Hei von der Nasa (v.l.n.r) Foto: Andrey Shelepin/GCTC/reuter

BERLIN taz | In der Wissenschaft ist es derzeit nicht anders als in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft: Kein Thema wühlt deutsche Forscher und Hochschulangehörige aktuell so sehr auf wie Putins Überfall auf die Ukraine. Wie konnte das geschehen, ist ein Analyse­thema nicht allein der Osteuropaexperten, das sofort aufploppte.

Wie können wir den ukrainischen Partnern und Kommilitonen helfen, ist der Ansatz vieler Solidaritätsinitiativen. Wie können wir die Wissenspipeline nach Russland kappen, damit kein deutsches Forschungsgeld weiter das Moskauer Kriegsregime finanziert, fragt sich die Wissenschaftspolitik. Mehr noch: Die „Zeitenwende“ beschränkt sich nicht nur auf die Außenwissenschaftspolitik, sondern wird auch langfristige Folgen für das Forschungs- und Hochschulsystem in Deutschland haben.

Am Mittwoch befasste sich der Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung des Bundestages mit dem Thema. Die Staatsministerin im Auswärtigen Amt, Katja Keul (Bündnis 90/Die Grünen), erklärte, dass in Reaktion auf den Einmarsch am 24. Februar die deutschen Wissenschafts- und Forschungsinstitutionen „sämtliche Kooperationen mit Russland und Belarus ausgesetzt“ hätten.

Russland müsse durch Sanktionen und ein Aussetzen solcher Kooperationen international weitestgehend isoliert werden. Gleichzeitig sollten aber, so Keul, kritische Studentinnen und Studenten sowie Forscherinnen und Forscher aus Russland und Belarus ebenso wie Flüchtlinge aus der Ukraine Unterstützung erhalten.

Wird das BAföG geöffnet?

Ein Vertreter des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) nannte in der Ausschussanhörung die Zahl von „bis zu 100.000 geflüchteten Menschen aus der Ukraine, die in Deutschland im tertiären Bildungssektor Fuß fassen möchten“. Um dies zu ermöglichen, brauche es ein großangelegtes Unterstützungsprogramm. Bestehende Programme und Stipendien sollten ausgebaut, sowie zusätzlich umfassende Integrationsmaßnahmen wie Sprachkurse finanziert werden. Der DAAD geht von jährlich rund 80 Millionen Euro zur Finanzierung des Programms aus.

Unter den Geflüchteten aus der Ukraine sind auch viele Kinder und Jugendliche, die ein Recht auf Bildung haben. „Bund, Länder, Kommunen und Zivilgesellschaft müssen pragmatische Lösungen vorlegen – von Kita über Schule bis zum Studium – und die Unterstützung weiter so beherzt anlaufen, damit wir die Auswirkungen von Putins völkerrechtswidrigem Angriffskriegs abmildern und Integration gelingt“, erklärte der Vorsitzende des Ausschusses, der Grünen-Bundestagsabgeordnete Kai Gehring gegenüber der taz.

Es sei gut, dass das Auswärtige Amt die Programme für verfolgte Wis­sen­schaft­le­r*in­nen ausweite und die Bundesregierung an Unterstützung für Studierende aus der Ukraine arbeite. Ob dies über eine Öffnung des BAföG oder über ergänzende Stipendien geschehe, sei eine Frage der Praktikabilität – „Hauptsache die Hilfe erfolgt schnell“, betonte Gehring.

Unterstützungsprogramm für Geflüchtete

Die Hilfsbereitschaft an den Hochschulen wie auch über die Förderorganisationen DAAD mit dem Schwerpunkt auf dem Austausch von Studierenden und Nachwuchswissenschaftlern sowie der Alexander von Humboldt-Stiftung, die bereits arrivierte Forscher nach Deutschland holt, hält Gehring wie schon im Flüchtlingsjahr 2015 für „überwältigend groß“. Mit dem Unterstützungsprogramm Integra, das damals Geflüchteten aus Syrien und dem arabischen Raum Studium und Abschluss in Deutschland ermöglicht hat, liegt für Gehring „eine erfolgreiche Blaupause vor, welche die Regierung für Geflüchtete aus der Ukraine angepasst aufgleisen sollte“.

Dass die institutionellen Kooperationen mit russischen Wissenschafts­einrichtungen jetzt auf Eis liegen, ist für den Grünen-Politiker die Folge von Putins skrupellosem Angriffskrieg. „Wer Krankenhäuser bombardieren lässt, darf nicht von Forschungs-Know-how aus Deutschland profitieren“, sagte Gehring der taz. „Wir wollen den Druck auf das russische Regime erhöhen, aber nicht Einzelpersonen bestrafen.“ Die Stipendien für russische Studierende und Gastaufenthalte russischer Forschender würden zwar nicht abgebrochen, aber derzeit auch keine neuen begonnen.

In der Forschung hat eine neue „Eiszeit“ begonnen, die frostiger ist als in den Zeiten des „Kalten Krieges“. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) als größte Förderorganisation hat Anfang März alle von ihr geförderten Forschungsprojekte zwischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus Deutschland und Russland ausgesetzt. Das bedeutet: Zwischen beiden Ländern werden keine Daten, Proben und Geräte sowie anderes wissenschaftliches Material mehr ausgetauscht. Auch gibt es keine gemeinsamen Veranstaltungen mehr.

„Die Finanzierung der russischen Anteile gemeinsamer Projekte wird bis auf Weiteres gestoppt, die deutschen Projektanteile werden weiterfinanziert“, teilte die DFG mit, die in den vergangenen drei Jahren in ihren verschiedenen Förderarten und Programmen mehr als 300 deutsch-russische Forschungsprojekte mit einem Gesamtvolumen von über 110 Millionen Euro unterstützt hat.

Raumfahrt und Weltraumforschung besonders betroffen

Besonders hart trifft es die Raumfahrt und Weltraumforschung. Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) hat wegen des Angriffs auf die Ukraine die laufende Kooperationen mit Russland eingestellt. Davon sei aber, wie ein DLR-Sprecher erklärte, nicht die Internationale Raumstation ISS betroffen. Hier seien die europäische Raumfahrtagentur Esa und die US-Raumfahrtbehörde Nasa zuständig. Aus Moskau kam die Reaktion postwendend. Die Entscheidung des DLR habe den langfristigen Beziehungen einen „irreparablen Schaden“ zugefügt, der sich erheblich auf die Aktivitäten bei der Erforschung des Weltraums für friedliche Zwecke auswirke, antwortete der Chef der russischen Raumfahrtbehörde Roskosmos, Dmitri Rogosin.

„In dieser Hinsicht halte ich eine weitere Zusammenarbeit für unmöglich, gemeinsame Experimente auf der internationalen Raumstation durchzuführen“, heißt es im Schreiben Rogosins. Betroffen seien zudem Experimente zur Entwicklung eines Boden-Weltraum-Systems zur Überwachung und Vorhersage von Naturkatastrophen. Ein Sprecher des DLR in Köln sagte auf dpa-Anfrage zu den Äußerungen von Rogosin: „Wir nehmen die Reaktion der russischen Seite zur Kenntnis, möchten sie aber nicht weiter kommentieren.“

Auf der Raumstation ISS sind derzeit sieben Astronauten, vier Amerikaner, zwei Russen und der deutsche Matthias Maurer. Ende März sollen die zwei Russen und der Nasa-Astronaut Mark Vande Hei mit einer russischen Sojus-Kapsel zur Erde zurückgebracht werden. An diesem Vorhaben wird festgehalten, bestätigte Roskosmos

Auch die Hochenenergiephysik – eigentlich allertiefste und unpolitische Grundlagenforschung – ist betroffen. Helmut Dosch, Leiter des Deutschen Elektronen-Synchro­tron Desy in Hamburg, sieht im Einmarsch Russlands in die Ukraine einen Angriff auf die europäische Friedensordnung. „Da kann sich die Wissenschaft nicht mehr heraushalten“, sagte er im Interview mit der Wochenzeitung Die Zeit. Eine Sanktion, wie sie jetzt von westlicher Seite ergriffen werde, sei auch für sein Institut „Neuland“: „Das Desy gibt es seit mehr als 60 Jahren, weltweite Kooperation ist Bestandteil unserer DNA. Selbst im Kalten Krieg erhielten wir die Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern jenseits des Eisernen Vorhangs aufrecht. Jetzt erleben wir eine elementare Bedrohung“, sagte Desy-Physiker Dosch.

Russland ist Mitgesellschafter beim Röntgenlaser XFEL, der am Desy betrieben wird. Die Juristen des Instituts prüfen nun, welche legalen Möglichkeiten es gibt, um die Beteiligung Russlands auszusetzen. Das Projekt wird aber auch ohne die anteiligen Gelder aus Russland weiterlaufen, ist sich Dosch sicher. Alle anderen Beteiligten des internationalen Laserprojekts seien gewillt, so der Desy-Chef, „Putin nicht den Erfolg zu gönnen, ein Großprojekt in Turbulenzen zu stürzen“.

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