Erhöhung der Militärausgaben: Kein grünes Licht für 2 Prozent

Olaf Scholz kündigte 100 Milliarden für die Bundeswehr an. Doch in der Koalition war das wohl nicht abgesprochen. Fix ist der Plan noch nicht.

Scharfschützen haben sich mit Heu bedeckt

Schlecht ausgestattet? Zwei Scharfschützen der Bundeswehr auf dem Truppenübungsplatz Munster Foto: Fabian Bimmer/ap

BERLIN taz | Die Begeisterung in den Reihen der Grünen hielt sich in Grenzen, als Olaf Scholz am Sonntag im Bundestag ankündigte, die Militärausgaben massiv zu erhöhen. Als der Kanzler die Schaffung eines „Sondervermögens Bundeswehr“ verkündete, waren die Reihen in der Koalition zwar noch geschlossen. Das offizielle Bundestagsprotokoll verzeichnete an dieser Stelle „lebhaften Beifall bei der SPD, dem Bündnis 90/Die Grünen und der FDP“.

Als Scholz aber im nächsten Satz konkrete Summen nannte – 100 Milliarden Euro für den neuen Bundeswehrtopf und jährlich mehr als 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts fürs Militär –, breitete sich unter den Grünen Irritation aus. Kopfschütteln, Tuscheln, Blicke aufs Handy. „Anhaltenden Beifall bei SPD und FDP“ verzeichnete das Protokoll jetzt, vereinzelt sogar Standing Ovations. Bei den Grünen aber? Nur noch Applaus einzelner Abgeordneter.

Deutlich überrascht schienen die Grünen in diesem Moment – ganz so, als seien die Zahlen zwischen Kanzler und Finanzminister abgesprochen gewesen, nicht aber mit den Grünen.

Ob es tatsächlich so war? Am Montag, auf der Pressekonferenz nach einem Treffen mit ihrem slowenischen Amtskollegen, weicht Außenministerin Annalena Baerbock, Grüne, der Frage aus. Am Ende einer länglichen Antwort gibt sie aber zumindest einen Einblick in die Tagung des Sicherheitskabinetts am Morgen. „Wir haben deutlich gemacht, dass jede Entscheidung über den Bundeshaushalt am Ende das Parlament trifft“, sagt Baerbock.

Und dort, in der Bundestagsfraktion der Grünen, sieht man am Montag noch großen Diskussionsbedarf. Nicht so sehr bei der grundsätzlichen Frage nach einem höheren Verteidigungshaushalt, sehr wohl aber bei den Summen und anderen Fragen der Ausgestaltung. Von „Vorschlägen“ des Bundeskanzlers spricht Fraktionsvize Agnieszka Brugger. Diese würden nun „intensiv beraten“.

„Wir reden über alles noch“

Sebastian Schäfer, Haushaltspolitiker und Realo, nennt höhere Verteidigungsausgaben zwar „richtig“. Er sagt aber auch: „Das muss verbunden sein mit einer schnellen Reform des Beschaffungswesens der Bundeswehr. Denn mehr Geld in ineffiziente Strukturen ist nicht mehr Sicherheit.“ Und Parteichefin Ricarda Lang antwortet auf die Frage, ob die 100 Milliarden schon fix seien: „Wir reden über alles noch.“

Kathrin Henneberger, Obfrau für Entwicklungspolitik, erinnert an eine Klausel im Koalitionsvertrag. „Dort steht, dass die Entwicklungsausgaben eins zu eins mit den Militärausgaben steigen sollen. Nach unserem Verständnis gilt das auch weiterhin“, sagt sie. Regierungssprecher Steffen Hebestreit stellt am Montag jedoch klar: Diese Kopplung gelte nicht für den Sonderfonds. Entscheidend sei hier das Wort „Sonder“.

Klar ist: Das Geld soll ausschließlich der Bundeswehr zugutekommen. Und zwar, wie Finanzminister Christian Lindner am Montag im „ARD-Morgenmagazin“ erläuterte, mit dem Ziel, „dass wir im Laufe dieses Jahrzehnts eine der schlagkräftigsten Armeen bekommen, eine der am besten ausgerüsteten“.

Die Bundeswehr soll demnach künftig aus zwei Töpfen finanziert werden: dem normalen Haushalt und dem Sonderfonds. Der Verteidigungsetat für das Jahr 2022 sah bislang 50,3 Milliarden vor. 2 Prozent entsprächen etwa 70 Milliarden Euro. Das zusätzlich nötige Geld werde selbstverständlich aus dem Sondertopf ergänzt, versicherte der Regierungssprecher.

Details in Arbeit

Die Details der Konstruktion müssen allerdings noch erarbeitet werden, weshalb die Bundesregierung die Eckpunkte für den Haushalt 2022 eine Woche später als geplant, nämlich am 16. März, vorlegen will. Dass es nicht ohne Einschnitte in anderen Ressorts gehen wird, ist abzusehen. Lindner kündigte jedenfalls schon mal an, man werde in den nächsten Jahren alle öffentlichen Ausgaben priorisieren müssen.

Wofür genau die Bundeswehr-Milliarden ausgegeben ausgeben werden – für neue Tornados, Panzer oder Wärmedecken –, steht ebenfalls noch nicht fest. Der Sprecher des Bundesverteidigungsministeriums verwies am Montag auf die Hoheit des Parlaments.

Das muss den 100-Milliarden-Supersondertopf am Ende beschließen. Eigentlich kann der Bundestag ein Sondervermögen per Gesetz mit einfacher Mehrheit einführen. Die Einrichtung des Sondervermögens „Stärkung der Bundeswehr“ soll jedoch im Grundgesetz abgesichert werden.

Grund dafür soll zum einen die Zweckbindung sein: Wenn im Grundgesetz die Verwendung der 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr garantiert ist, kann der Bundestag das Geld nicht in zwei Jahren für die ­Steigerung der Renten oder für Ähnliches umwidmen. Dazu müsste zunächst erneut das Grundgesetz geändert werden.

Ausnahme von der Schuldenbremse

Der zweite Grund für eine Grundgesetzänderung liegt in der Umgehung der Schuldenbremse. Denn die 100 Milliarden, die Scholz für die Bundeswehr ausgeben will, muss sich der Staat erst einmal leihen. Eigentlich darf der Bund laut Grundgesetz pro Jahr nur maximal 0,35 Prozent der Wirtschaftsleistung an neuen ­Schulden aufnehmen. Derzeit wären das rund 13 Milliarden Euro.

Zwar ist die Schuldenbremse für die Bewältigung der Coronapandemie derzeit ausgesetzt. In diesem Jahr will die Bundesregierung noch einmal 99,7 Milliarden neue Kredite aufnehmen. Lindner erklärte aber, dass er die Schuldenbremse ab 2023 wie geplant einhalten will. Deshalb sollen die gesamten 100 Mil­liarden Euro für den Sondertopf bereits im Haushaltsjahr 2022 verbucht werden, auch wenn das Geld zum großen Teil erst in den Folgejahren ausgegeben wird. So habe er das mit Bundeskanzler Scholz besprochen.

Eigentlich erlaubt das Grundgesetz die Umgehung der Schuldenbremse nur in Notsituationen. Der desolate Zustand der Bundeswehr ist aber keine Notsituation, sondern ein strukturelles Problem. Um die Bundeswehr mit 100 Milliarden Euro zu stärken, könnte die Schuldenbremse also nicht überschritten werden. Es geht aber doch, wenn die Ausnahme wie jetzt geplant ausdrücklich im Grundgesetz festgeschrieben wird.

Merz will mitreden

Auch politisch macht die Grundgesetzänderung für Lindner Sinn. Da nun eine Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat erforderlich ist, müssen CDU/CSU im Parlament und in der Länderkammer zustimmen. CDU-Chef Friedrich Merz hat dies am Sonntag bereits in Aussicht gestellt. Als Mitverantwortlicher kann er dann Finanzminister Lindner nicht mehr so gut wegen dessen Schuldenpolitik angreifen.

Friedrich Merz, der auch Fraktionschef der CDU/CSU-Fraktion ist, hatte der Koalition bereits in der Sondersitzung grundsätzlich Unterstützung bei Rüstungsinvestitionen angekündigt. „Wenn Sie eine umfassende Ertüchtigung unserer Streitkräfte wollen, dann werden wir auch gegen Widerstände diesen Weg mitgehen“, sagte Merz im Bundestag. Zurückhaltend aber blieb er, was die Schaffung des Sondervermögens angeht. Darüber müsse man „in Ruhe und im Detail“ sprechen. Was nicht gehe: eine Arbeitsteilung, in der die Union bei den unangenehmen Dingen den Kopf mit hinhalte und die Koalition weiter „alle Wohltaten zulasten der jungen Generation“ verteile.

Das kann man durchaus so verstehen, dass die Union nicht nur beim Sondervermögen, sondern auch beim Haushalt mitsprechen will. An welche Bedingungen die Union ihre Unterstützung knüpft und wie sie sich eine Mitsprache genau vorstellt, war am Montag nicht zu erfahren. Aus Unionskreisen hieß es, man warte zunächst auf Details aus der Koalition.

Die Linksfraktion hat bereits erklärt, dass sie die Verfassungsänderung rundheraus ablehnen wird. „Angesichts riesiger natio­naler und internationaler Herausforderungen wäre es absoluter Irrsinn, militärische Aufrüstung als Verfassungsziel festzulegen“, erklärte der Parlamentarische Geschäfsführer Jan Korte. Allerdings: Die 39 Stimmen der Linken im Bundestag werden für die Grundgesetz­änderung nicht gebraucht.

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