Fahrradstadt in 20 Kilometern

Eine Handvoll Aktive haben in Lübeck rund 13.600 Unterschriften für den Radentscheid gesammelt

Mehr als ein Siebtel der Radwege sind in einem schlechten Zustand

Von Friederike Grabitz

Um das Lübecker Radhaus weht das metallische Bimmeln von 150 Fahrradklingeln. 150 Demonstrierende sind mit dem Bürgermeister Jan Lindenau verabredet. Eine Handvoll Aktive hat für den „Lübecker Radentscheid“ 13.610 Unterschriften gesammelt, die sie ihm überreichen. Ihre Forderung: Die Stadt soll 20 Kilometer Radwege im Jahr sanieren, ausbauen oder neu bauen, 5.000 zusätzliche Fahrradparkplätze schaffen, jährlich fünf Kreuzungen fahrradfreundlich umgestalten.

Lübeck ist schon jetzt eine Fahrradstadt. Die Innenstadt ist für den Durchgangsverkehr gesperrt, die sternförmigen Straßen in die Stadtteile sind fast alle flankiert von 354.000 Fahrradwege-Quadratmetern. Auf ihnen legen die LübeckerInnen jeden fünften Weg mit dem Fahrrad zurück. Damit sind sie oft schneller als mit dem Pkw.

Doch viele Radwege sind in einem schlechten Zustand. Nach einer Untersuchung der Stadt ist mehr als ein Siebtel von ihnen, insgesamt 50.000 Quadratmeter, in einem mangelhaften oder ungenügenden Zustand. Sie zu sanieren und erhalten würde 4,2 Millionen Euro kosten. Gemessen am städtischen Investitionsbudget für Straßen, Wege und Brücken von 27,1 Millionen Euro in 2022 ist das nicht viel. Zum letzten Haushalt beantragten die Grünen fünf Millionen Euro, um den Sanierungsstau der Radwege zu beheben. Doch der Antrag wurde abgelehnt. Nun sollen nur 10.000 Quadratmeter saniert werden – in den nächsten fünf Jahren.

Der Radentscheid will die Karten nun neu mischen. Der Student Florian Doll hat dafür monatelang Unterschriften gesammelt. Ein großes Thema, sagt er, sei die Sicherheit: „Viele Menschen würden gern mehr Rad fahren, haben aber Angst.“ Immer noch gibt es in der 214.000-EinwohnerInnen-Stadt rund 600 Fahrradunfälle im Jahr. „Es muss einen Richtungswechsel geben.“

Dass so viele LübeckerInnen unterschreiben würden, hat ihn überrascht. Das Minimum waren 8.000 Unterschriften. Trotzdem wollte Bürgermeister Jan Lindenau (SPD) die Forderungen am liebsten gleich ablehnen: unrealistisch, zu teuer. Mehr als 40 Millionen Euro, rechnete die Stadt vor, würden die Maßnahmen kosten. Doll sieht das anders: „Die Stadt berechnet dabei die Sanierung der kompletten Straße“, sagt er. Außerdem gebe es für Radwege bis zu 90 Prozent Fördermittel.

Sobald das Einwohnermeldeamt die Unterschriften geprüft und freigegeben hat, wird der Radentscheid in der Bürgerschaft besprochen. Lehnt diese ihn ab, gibt es einen Bürgerentscheid zu dem Thema. Doll glaubt nicht, dass das nötig sein wird: „Wir sprechen jetzt mit allen Fraktionen, die Interesse haben, und sind zuversichtlich, dass es einen Kompromiss gibt.“ Der kann dann zum Beispiel 17 statt 20 Kilometer sanierte Radwege bedeuten – deutlich mehr als die zwei Kilometer im Jahr, die die Stadt sich vorgenommen hat.