Jugendliche in der Coronapandemie: Wenn alles ineinander verschwimmt

Wie frustrierend ist es, als Ju­gend­li­che*r übersehen und nicht gehört zu werden? Über die dramatische Verschlechterung der psychischen Gesundheit.

Eine Jugendliche sitzt in ihrem Zimmer am Schreibtisch vor ihrem Computer beim Homeschooling

Krasse Erfahrung: wenn sich Homeschooling und überhaupt alles in einem Zimmer abspielt (Symbolbild) Foto: dpa/Paul Zinken

Während der Schulschließungen im Lockdown verloren meine Tage ihre Struktur. Ich verbrachte sie in meinem Zimmer: Freizeit auf meinem Bett, Arbeit an meinem Schreibtisch. Alles fand in einem Raum statt und verschwamm ineinander. Warum mache ich die Französischaufgaben nicht einfach heute Abend oder gleich morgen? Warum stehe ich überhaupt noch auf, wenn ich doch auch im Bett arbeiten kann? Warum soll ich arbeiten, wenn doch eh niemand da ist, der*­die mich dazu zwingt?

Es war schwierig, für all diese Dinge Motivation zu finden, und viele Jugendliche fanden sie nicht, fanden stattdessen nur einen riesigen Haufen an unerledigten Schulaufgaben und viel zu viel Zeit, um allein zu sein. Am schlimmsten aber war die Isolation von Freund*innen. Denn es ist für junge Menschen besonders wichtig, ihre Peer-Groups zu sehen. Und wenn es keine Möglichkeiten gibt, Freun­d*in­nen zu treffen, keinen Grund, rauszugehen, keinen Grund, zu arbeiten, und keinen Grund, aufzustehen, ist es schwierig, einen Grund zum Leben zu finden.

Wir Jugendlichen wurden in der Pandemie übersehen und überhört. Wir mussten auf Feiern und auf politisches Engagement verzichten und konnten wichtige Erfahrungen nicht machen. Unsere Bedürfnisse wurden viel zu lange ignoriert, was sich nun bei vielen in einer dramatischen Verschlechterung ihrer psychischen Gesundheit zeigt.

Zum Schutz von Jugendlichen hätten während des Lockdowns offene Schulen, aber vor allem die Möglichkeit des Zusammentreffens kleinerer Gruppen eine viel höhere Priorität haben müssen. Die Politik hätte anerkennen müssen, dass man nicht mit einer gesundheitlichen Krise eine andere auslösen darf. Sie hätte schlicht mehr acht auf Jugendliche geben sollen.

Die Frustration wird bleiben

Dass das dringend notwendig gewesen wäre, zeigt sich jetzt: Gerade die Lage von Jugendlichen, die ohnehin schon mit psychischen Belastungen kämpften, verschlimmerte sich noch. Das bestätigt ein Faktenblatt der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) vom 2. 10. 2020, laut dem innerhalb eines Jahres fast 20 Prozent der unter 18-Jährigen an einer psychischen Störung erkrankten.

Die Frustration, von der Regierung, von der Gesellschaft nicht gehört zu werden, ob in der Klima- oder Coronakrise, wird bleiben. Auch das Gefühl der Einsamkeit werden einige aus den bisherigen Lockdowns mitnehmen, andere das Wissen, dass ihr Leben sich ohne Freun­d*in­nen und Struktur sinnlos anfühlt.

Aus diesen Erfahrungen können Ängste, Depressionen und weitere psychische Störungen entstehen. Ein großer Anteil der Betroffenen braucht professionelle Hilfe, aber die Suche nach Therapieplätzen ist weiterhin schwierig und langwierig.

Jetzt dürfen die Fehler, die während der Lockdowns gemacht wurden, nicht wiederholt werden. Stattdessen muss sichergestellt werden, dass alle betroffenen Jugendlichen die nötige Behandlung angeboten und von der Krankenkasse bezahlt bekommen. Wir als Jugendliche befinden uns in einer gesundheitlichen Krise, die weder medial noch politisch viel Aufmerksamkeit findet.

Ich möchte kein Leben mehr leben, in dem sowohl ich als auch viele meiner Freun­d*in­nen mit psychischen Krankheiten zu kämpfen haben. Ich möchte, dass die Regierung, die politisch Verantwortlichen ihrer Pflicht nachgehen, ihr Bestes geben, um uns zu schützen. Und uns zuhören, ob es nun um Corona, Schulpolitik oder die Klimakrise geht.

Jim Anton, 15, ist noch bis 4. März 2022 Schülerpraktikant* in der Berlin-Redaktion der taz

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