Intel plant Halbleiterfabriken im Osten: Goldgräberstimmung in Magdeburg

Intel will in Sachsen-Anhalt Chipfabriken bauen. Vor Ort stößt das auf wenig Vorbehalte. Nicht nur viele neue Arbeitsplätze locken.

Kahler Baum vor noch kahlerem Feld

Die neuen Chipfabriken brauchen Platz: Neben der A14 bei Magdeburg sollen sie entstehen Foto: dpa

DRESDEN taz | Die Videobotschaft des Intel-Chefs vom Dienstag hat größtenteils ein euphorisches Echo ausgelöst. Der Marktführer bei Prozessoren, so Pat Gelsinger, werde am Südwestrand von Magdeburg 17 Milliarden Euro in zwei Halbleiterfabriken investieren. „Es wird die größte Investition in der Geschichte Sachsen-Anhalts“, sagte der sonst nicht zu Übertreibungen neigende Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU). Magdeburgs Oberbürgermeister Lutz Trümper (SPD) sprach von einem „historischen Tag“. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) gratulierten.

Der US-Konzern, der einen globalen Marktanteil von 12,5 Prozent hat und im Vorjahr einen Gewinn von 73 Milliarden US-Dollar einfuhr, will mit dem Projekt der weltweiten Chipknappheit begegnen und den europäischen Produktionsstandort stärken. Der Bau der Fabrik soll 2023 beginnen, vier Jahre später könnte die Produktion starten. Im folgenden Jahrzehnt dürften weitere Fabriken folgen, bis zu 80 Milliarden Euro Investitionen sind geplant. 3.000 dauerhafte Hightech-Arbeitsplätze sollen entstehen, weitere 10.000 Stellen bei Zulieferern und Partnern.

61 Vogelarten und der bedrohte Feldhamster brauchen neue Lebensräume

Intel hatte schon im vergangenen Jahr mehrere Standorte in Europa und Deutschland sondiert, mit einer Entscheidung aber auf den sogenannten European Chips Act gewartet. Mit diesem Förderprogramm will die EU-Kommission den Anteil Europas an der weltweiten Halbleiterproduktion von zehn auf zwanzig Prozent steigern, 43 Milliarden Euro Subventionen stehen insgesamt zur Verfügung.

Wie viele der Milliarden nun in das Magdeburger Großprojekt fließen, ist derzeit ein wohlgehütetes Geheimnis. Das Wirtschaftsministerium Sachsen-Anhalts sieht sich auf Anfrage zu keiner Auskunft in der Lage. Auch der Höchstfördersatz ist nicht bekannt.

Knappe Gewerbeflächen

Ausschlaggebend bei der Entscheidung für den Standort in Sachsen-Anhalt war offenbar das Flächenangebot. Zu den deutschen Konkurrenten zählte die bayerische Kleinstadt Penzing und vor allem Dresden, das als „Silicon Saxony“ lange als eines der wichtigsten europäischen Halbleiterzentren galt. Immerhin 380 Hektar Platz benötigen die beiden Fabriken, so viel wie etwa 500 Fußballfelder. Die Wirtschaftsförderung Sachsen bestätigt indirekt, dass trotz hervorragender Wissenschafts- und Forschungsstruktur in Dresden die Bereitstellung von Gewerbeflächen ein heikler Punkt gewesen sei. Kommunen allein seien mit steigenden Anforderungen leicht überfordert, deshalb müssten sie mit Land und Bund zusammenarbeiten.

Am Südrand von Magdeburg, beim Übergang zur Magdeburger Börde, trifft Intel nun auf die sprichwörtliche grüne Wiese. Aber ganz rücksichtslos kann Intel sein Konzept hier auch nicht umsetzen. Hecken und Nistplätze seien auch zu berücksichtigten, gibt der Landesvorsitzende des Umweltverbands BUND, Ralf Meyer, zu bedenken.

Meyer hat grundsätzlich Verständnis für die „Goldgräberstimmung“. „Bei allen stehen jetzt die Dollarzeichen in den Augen“, scherzt er. Aber auch wenn in Magdeburg nicht so große Wasserprobleme wie bei der Ansiedlung der E-Autofabrik von Tesla im Südraum Berlin zu erwarten sind, müssten doch andere Naturschutzbelange mitkalkuliert werden. Meyer fordert, dass zum Ausgleich für die große Flächenversiegelung an anderen Stellen etwa Industriebrachen entsiegelt werden. 61 Vogelarten, darunter 20 bedrohte und streng geschützte, bräuchten neue Lebensräume. Gleiches gelte auch für den vom Aussterben bedrohten Feldhamster.

Begleitkonzepte in Arbeit

Für den erwarteten starken Pendlerverkehr verlangt der BUND ein nachhaltiges Mobilitätskonzept, also eine Erweiterung des ÖPNV, Radwege und mehr Elektrofahrzeuge. Bei den anstehenden Anhörungen im Planfeststellungsverfahren will man sich mit Schwesterorganisationen wie dem Nabu abstimmen.

Die sozialen Folgen für die Stadtgesellschaft deutete Oberbürgermeister Trümper bereits an. Magdeburg könnte um 30- bis 40.000 Einwohner wachsen, würde sehr viel internationaler. Kindergärten und Schulen müssten gebaut, Infrastrukturmaßnahmen finanziert werden. Die neuen Arbeitsplätze im Hochlohnsektor werden die Schere bei den Einkommen weiter öffnen: Dass die Grundstückspreise steigen, wird allgemein erwartet.

Versöhnliche Töne kamen nach der „Niederlage“ von Sachsens Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD). Er gratulierte und lobte Magdeburgs „tolles Angebot“. Die Ansiedlung sei ein „großer Erfolg für den Industrie- und Technologiestandort Ostdeutschland“ insgesamt, ging Dulig über den regionalen Horizont hinaus. Er sprach von einem Hightech-Dreieck Dresden-Magdeburg-Jena und hob hervor, wie wichtig europäische Technologiesouveränität sei.

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