Putins Krieg und Atom-Drohungen: Die Ukraine ist sein Schicksal

Putin lässt Gebäude um ukrainische Atomkraftwerke beschießen. Und er hat Probleme an der Heimatfront. Wie rational handelt er?

Wladimir Putin sitzt an einem Tisch und blickt ernst in die Kamera

Wladimir Putin während einer Sitzung des Sicherheitsrates per Videokonferenz am 3. März Foto: Andrei Gorshkov/Sputnik/dpa

Die derzeitigen Kämpfe um die Atomkraftwerke in der Ukraine dürften einige der Älteren an die schlechten Nachrichten aus dem Jahre 1986 erinnern. Damals explodierte der Reaktor-Block 4 des Kernkraftwerks Tschernobyl. Für viele im Westen war die Nuklearkatastrophe ein Schock. Der „Eiserne Vorhang“ existierte noch. Die radioaktive Wolke verseuchte weit über die Ukrai­ne hinaus Territorien in Europa.

Auch im Osten trugen das sich herumsprechende technologische Versagen sowie der zynische Umgang mit der Katastrophe zum beschleunigten Untergang der maroden Sowjetunion bei. Doch was sagen uns die Nachrichten über die nach russischen Beschuss vorübergehend brennende Gebäude beim ukrainischen Atomkraftwerk in Saporischschja heute? Was sollten sie uns sagen?

Vielleicht dieses: Der Krieg von Putins Invasionstruppen gegen die Ukrai­ne mit seinen Folgen rückt zusehends weiter auch an den Westen heran.

Putins strategisches Vorgehen ist schwer einzuschätzen. Hält der russische Oberbefehlshaber die Nato, die baltischen Staaten und den Westen tatsächlich für so schwach, dass er sie ebenfalls jederzeit angreifen würde?

Die Ukraine oder mehr?

Oder versucht er mit symbolischen Bedrohungen wie rund um die Atomkraftwerke sowie der Drohung des Einsatzes von Nuklearwaffen die Demokratien einzuschüchtern – damit sie am Ende etwa froh sein sollen, dass der russische Tyrann seinen Angriff auf die Ukraine beschränkt und „nur“ diese sich einverleibt?

Kenner der postsowjetischen Gesellschaften, aber auch Militärexperten zweifeln allerdings daran, dass eine solche Rechnung Putins aufgehen könnte. Die Zeiten, in denen eine große Koalition ausgemusterter Regierungschefs – nicht nur der deutsche Schröder, auch österreichische Altkanzler wie Schüssel (ÖVP) oder Kern (SPÖ) – in russischem Sold Lobbyarbeit leisten oder es sich Oligarchen-Kumpels in London, Sankt Moritz oder an der Côte d’Azur gut gehen lassen, während breite Schichten in Russland leiden, sie sind auf lange Sicht vorbei.

Wie viel ist der Rohstoff-Rubel-Reichtum der Oligarchen noch wert, so er nur hinter hohen Mauern im russischen Großreich selbst genossen werden kann – oder bei seltsamen Freunden in Nordkorea und Syrien. Die Drohung mit der Bombe, Isolation und Sanktionen, sie schaden auch Putins bisherigen Freunden.

Ein großes, bevölkerungsreiches Land wie die Ukraine mit einer demokratisch gesinnten Bevölkerung wird sich zudem allein mit militärischen Mitteln kaum regieren lassen. Putins Invasionstruppen können viele Menschen töten und die Infrastruktur der Ukraine zerstören. Aber sie zahlen bereits jetzt selber einen hohen Preis dafür. Putin schwört die russische Gesellschaft nun auf hohe Verluste ein.

Vom Manöver in den Sarg?

Doch wie erklärt man einer ermüdeten Gesellschaft, dass ihre Söhne zu einem „Manöver“ auszogen und nun in Zinksärgen heimkehren? Putin kann die Antikriegsdemos zerschlagen, Oppositionelle verhaften, kritische Medien schließen und seine absurden Propagandalügen über die Staatsmedien verbreiten. Doch wird dies alles nicht reichen, damit ihm die Menschen an der Heimatfront dauerhaft in einem verlustreichen Angriffskrieg folgen.

Dass Putins Realitätssinn noch viel mit der Wirklichkeit zu tun hat, bezweifelt auch der ukrainische Schriftsteller Juri Andruchowytsch. „Aber fest steht“, sagte er in der FAZ, „dass die Ukraine auf gewisse Weise zu seinem Schicksal geworden ist.“

Man möchte hoffen, dass Putin sie nicht zum Schicksal der ganzen Menschheit macht. Und ihm zusätzlich zur Niederlage in der Ukraine wünschen, daß ihm die Menschen an der Heimatfront in den Arm fallen werden.

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