„Orte mit symbolischer Bedeutung“

Welche Folgen haben die Debatten übers richtige Erinnern für die Arbeit in Gedenkstätte und Museum?

Foto: John Cairns

Avner Ofrath

35, geboren in Jerusalem, ist Historiker und arbeitet zurzeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Bremen. Sein Schwerpunkt sind Studien zur kolonialen und jüdischen Geschichte im Mittelmeerraum.

Interview Robert Matthies

taz: Herr Ofrath, warum müssen wir über die Notwendigkeit eines „neuen Erinnerns“ nachdenken?

Avner Ofrath: Wir sehen in den Feuilletons, in sozialen Medien und auch in historischen Seminaren zunehmend Debatten darüber, ob die deutsche Erinnerungskultur noch relevant und angemessen ist. Und wir sehen die Forderung, dass postkoloniale Ansätze anerkannt und dann auch integriert werden müssen. Einer der brisantesten Vorwürfe, die der deutschen Erinnerungskultur in den vergangenen Monaten gemacht worden sind, ist der eines „deutschen Katechismus“, den der australische Historiker A. Dirk Moses in einem Zeitungsartikel formuliert hat.

Nämlich?

Man setze sich mit dem Holo­caust auf eine Art und Weise auseinander, die andere, nicht-westliche Perspektiven ausschließt und die den Blick auf andere Fälle von Unterdrückung und Gewalt, vor allem im globalen Süden, verengt oder sogar versperrt.

Sie wollen darüber diskutieren, was das für die Arbeit von Museen und Gedenkstätten bedeutet.

Unsere Veranstaltung im Rahmen des Programms zum Holocaustgedenktag soll Auftakt sein zu einer Reihe von Veranstaltungen über Erinnerungskultur und Erinnerungspolitik in Bremen. Wir wollen uns ansehen, wie es ganz konkret in Museen, Gedenkstätten, Schulen und Hochschulen aussieht. Erinnerungsarbeit findet dabei immer in einem politischen Kontext statt und wird oft auch politisch instrumentalisiert. Es sind immer politische Fragen. Gerade bei Vergleichen zwischen Holocaust und Kolonialismus, bei Vergleichen zwischen Kolonialismus und Apartheid, bei Vergleichen zwischen Israel und Apartheid sieht man immer wieder großes Konfliktpotenzial.

Welche Rolle spielen denn Museen und Gedenkstätten heute?

Vortrag und Podiums­diskussion „Braucht es ein ‚neues Erinnern‘?“ mit Jonas Kreienbaum (Uni Rostock), Anna Greve (Focke-Museum), Marcus Meyer (Denkort Bunker Valentin), Moderation: Avner Ofrath (Uni Bremen): heute, 19 Uhr, Bremen, Kukoon. Eintritt frei, es gelten 2G-Regeln

Das ist die Frage, auch, wenn man sich solche Initiativen auf Instagram wie „Evas Stories“ ansieht. Aber Museen und Gedenkstätten sind nach wie vor die erste Anlaufstelle, wenn es darum geht, schwierige Kapitel der deutschen Geschichte zu vermitteln, etwa durch Ausflüge mit der Schule. Es sind Orte mit einer hohen symbolischen Bedeutung, die sich als Autorität positionieren wollen. Deswegen ist es wichtig, dass wir darauf achten, dass solche Orte auf neue Ansätze, auf neue Stoßrichtungen und auf Kritik eingehen. Uns geht es zunächst um eine Bestandsaufnahme. Wir haben etwa Marcus Meyer vom Bunker Valentin eingeladen …

… ein U-Boot-Bunker, bei dessen Bau Tausende Zwangs­ar­bei­te­r:in­nen starben.

Er wird davon erzählen, wie sie migrantische oder auch jüdische Perspektiven in die Gedenkarbeit einfließen lassen – also Opferperspektiven.