Weil wir einen Körper haben

Der Kognitionsforscher Antonio Damasio erklärt in seinem neuen Buch das menschliche Bewusstsein als Teil der physiologischen Grundlagen des Lebens

Von Katharina Granzin

Wir sind nicht nur unser Hirn. Heutzutage, da das Des­cartes’sche „Ich denke, also bin ich“ durch die mediale Hochkonjunktur der KI und durch Spekulationen darüber, ob der Mensch mit dem Hochladen seines Hirns in eine Große Digitale Cloud Unsterblichkeit erlangen könnte, wieder ungeahnten Auftrieb erhalten hat, kann man das gar nicht oft genug sagen. Einer, der dessen nicht müde wird und der sich hauptberuflich dem widmet, was einst das Leib-Seele-Problem genannt wurde, ist der Kognitionswissenschaftler Antonio Damasio.

„Ich fühle, also bin ich“ hieß eines seiner Bücher, ein anderes „Descartes’ Irrtum“. Sein neuestes trägt den Titel „Wie wir denken, wie wir fühlen“, ist vom Umfang her schmaler als die meisten Vorgängerbände und soll nach dem Willen seines Verfassers nur die wichtigsten Gedanken enthalten, „ohne das ‚Bindegewebe‘ und das Gerüst, die sonst ihren Rahmen bilden. […] Ich wollte die Kunst des Haiku praktizieren.“

Diese Analogie passt nicht wirklich, geht es doch bei der Kunst des Haiku eben um Kunst; und möglicherweise ist die Idee, das „Bindegewebe“ wegzulassen, keine ganz glückliche, wenn man kein glänzender Stilist ist. Das ist Antonio Damasio nicht, muss er auch gar nicht sein. Doch wenn man sein übriges Werk nicht kennt, erscheinen seine Thesen in dieser Neuerscheinung eher nackt als abgespeckt. Als Einführung in diese Thesen ist der schmale Band eine Lektüre wert, Damasio-Kennern dagegen dürfte wohl wenig Neues darin begegnen.

Die Basis seines Argumentationsgebäudes besteht in der Erkenntnis, dass unser Bewusstsein/unser Geist (in der deutschen Übersetzung werden beide Begriffe einigermaßen äquivalent nebeneinander verwendet) nur deshalb existieren kann, weil wir einen Körper haben.

Das bewusste Denken stehe gleichsam am Ende einer evolutionären Kette der Entwicklung von Intelligenz, die sich innerhalb lebendiger Organismen realisiert hat. Den Intelligenzbegriff fasst Damasio recht weit, integriert darin auch die inexplizite Intelligenz, die Verhaltensweisen zur Erhaltung der Art fördert, über die auch Bakterien (und Viren, obwohl diese keine Lebewesen sind) verfügen und das dem menschlichen Körper ebenfalls eigen ist.

Da alle Lebewesen die sogenannte Homöostase anstreben, einen Zustand, in dem das System sich im optimalen Gleichgewicht befindet, ist es nötig, Veränderungen in der Umwelt oder im Körper selbst spüren zu können, die diese Homöostase destabilisieren könnten. Hier kommen beim Menschen (allerdings auch bei anderen Tieren, die Damasio aber nicht mit bedenkt) die „homöostatischen Gefühle“ ins Spiel. Hunger, Durst oder Schmerz dienen dem System, indem sie signalisieren, dass die Homöostase in Schieflage ist.

Machtvoller Schmerz

Er sei sogar der Überzeugung, dass gerade negative Gefühle die eigentliche evolutionäre Entwicklung des menschlichen Bewusstseins maßgeblich vorangetrieben hätten, schreibt Damasio: „Schmerzen, Leiden und die Erkenntnis des Todes sind besonders machtvoll und stärker als Wohlbefinden oder Lust. In diesem Zusammenhang habe ich die Vermutung, dass die Religionen sich rund um solche Erkenntnisse entwickelt haben.“

Immer mal wieder fallen solche Sätze, bei denen man fast das Gefühl bekommen könnte, einen Zipfel Erkenntnisgewinn zu fassen zu bekommen. Aber eben nur fast. Denn auch wer Damasios Sichtweise recht geben möchte und sich Sätze wie „Alles, was im Geist geschieht, wird aus der Sicht des Organismus konstruiert“ oder „auf ganz leichte, natürliche Weise identifizieren homöostatische Gefühle meinen Geist eindeutig mit meinem Körper“ dick unterstreichen würde, ist noch keinen Schritt weiter auf dem Weg zur Beantwortung der Frage, was das menschliche Bewusstsein eigentlich ist. Kein Geist ohne Körper, schön und gut. Wir denken, weil wir fühlen.

Aber inzwischen ist die explizite menschliche Intelligenz sogar so weit entwickelt, dass wir bereits darum wissen, dass wir nicht die einzigen fühlenden Lebewesen sind. Damasios Thesen zu Ende gedacht, würde das bedeuten, dass im Zuge der Evolution auch alle anderen fühlenden Tiere irgendwann einen Geist, oder ein Bewusstsein, entwickeln werden. Oder hier und da schon entwickelt haben.

Von diesen anderen Tieren ist bei Damasio nirgendwo die Rede. Aber wenn er mit seinen Thesen recht hat, und wenn wir den lebendigen, fühlenden Geist auf den lebendigen, fühlenden Körper zurückführen wollen, müssten wir viel mehr auch von ihnen reden.

Antonio Damasio: „Wie wir denken, wie wir fühlen. Die Ursprünge unseres Bewusstseins“. Aus dem Englischen von Sebastian Vogel. Hanser Verlag, München 2021, 192 Seiten, 22 Euro