Verweigerer werden knapp

Wegen rückläufiger Zahlen bei den Zivildienstleistenden stehen viele soziale Einrichtungen in Hamburg vor personellen Engpässen. So fehlen allein der Muskelschwundhilfe derzeit zehn Helfer. Ein Problem für Menschen wie Florian Weiß

In Hamburg sind nur etwa 1.300 von knapp 3.200 Stellen besetzt

Von Carsten Hansen

„So schlimm wie jetzt“, sagt Florian Weiß, „war es noch nie.“ Der Sommer ist für Schwerstbehinderte wie ihn Jahr für Jahr eine Zitterpartie. Der Grund: Für ihre tägliche Pflege sind sie auf Zivildienstleistende angewiesen. Nachdem deren Dienstzeit aber durch die Verkürzung des Wehrdienstes auf neun Monate schon im Mai endet, tut sich eine Lücke auf: Der neue Jahrgang kommt nicht vor August.

Florian Weiß hat Muskelschwund und sitzt seit seinem zehnten Lebensjahr im Rollstuhl. Einen großen Teil der notwendigen Betreuung leistet seine Mutter, mit der der 32-Jährige in Rahlstedt zusammenlebt. Tagsüber, wenn die Mutter arbeitet, standen ihm bisher in einer Früh- und Spätschicht zwei Zivis zur Seite.

Doch bis jetzt hat sich nur ein neuer Zivildienstleistender gemeldet. Ob Florian wieder zwei junge Helfer findet, wenn im August das neue Zivi-Jahr beginnt, ist fraglich. „Früher war es kein Problem“, erinnert er sich. Doch nicht nur durch die Verkürzung des Dienstes gestalte sich die jährliche Planung schwieriger, es würden auch überhaupt weniger junge Männer einberufen – und zudem sei es jetzt wesentlich einfacher, dem Dienst aufgrund fehlender „Tauglichkeit“ zu entgehen.

Aber um die kleinen Hürden des Alltags zu meistern, ist Florian auf Hilfe angewiesen: Nachts dreht ihn seine Mutter alle zwei Stunden in eine andere Lage. Die morgendliche Prozedur des Aufstehens, Waschens und Zähneputzens ermöglicht ihm dann wieder ein Zivildienstleistender. Tagsüber schreibt der 32-Jährige an einem Roman, der nach mehrjähriger Arbeit demnächst veröffentlicht werden soll. „Die Geschichte beschreibt eine Reise von einem Ort zu einem anderen, von A nach Z“, verrät Florian. „Im Mittelpunkt steht die Suche nach Antworten.“

Unbeantwortet ist die Frage nach neuen Zivis auch für Violetta Swistowski von der Deutschen Muskelschwundhilfe, die die Betreuung für Florian und zwölf weitere Patienten organisiert. „Insgesamt fehlen mir noch zehn Zivildienstleistende“, berichtet sie. Anders als früher melde sich heutzutage „kaum ein Mensch mehr freiwillig“, weiß Swistowski.

Die Zahlen sprechen für sich: Im Jahr 2000 beschäftigte das Bundesamt für den Zivildienst noch mehr als 140.000 Zivildienstleistende bundesweit. Heute sind es noch knapp 64.000, denen rund 146.000 potenzielle Stellen im sozialen Bereich und im Umweltschutz gegenüberstehen. In Hamburg sind nur etwa 1.300 der insgesamt knapp 3.200 Zivildienstplätze belegt.

Zwar bekämen einige Zivis nach Ablauf ihrer Dienstzeit Aushilfsverträge, doch die entstehenden Kosten trage die Pflegeversicherung nur teilweise. Im Fall von Florian Weiß haben inzwischen beide jungen Männer aufgehört, weil sie eine Ausbildung beginnen. Bevor er ganz ohne Hilfe dasteht, soll kurzzeitig eine per Annonce gesuchte Pflegerin wenigstens die Frühschicht von 8 bis 16 Uhr übernehmen.

Da für die Tätigkeiten bei Florian keine ausgewiesene Pflegekraft nötig ist, könnte er sich auch eine Betreuung durch 1-Euro-Jobber vorstellen – wobei die sich dann allerdings in einer finanziellen Grauzone bewegen würden, da für ihre Entlohnung keine einheitliche Regelung besteht. „Das können wir nicht abrechnen“, bestätigt auch Swistowski.

Mit den jungen Wehrdienstverweigerern jedenfalls machte Florian bisher durchweg positive Erfahrungen. „Ich hatte das Glück, dass ich auch mal zu Konzerten und in Diskotheken mitgenommen wurde“, erinnert er sich. Und profitieren würden auch die Helfer: Gerade junge Menschen könnten durch pflegerische Tätigkeiten lernen, Verantwortung zu übernehmen.

Aufgrund fehlender Erfahrung seien auch kleinere Unregelmäßigkeiten in der täglichen Betreuung verzeihlich, denn „der Arbeitgeber schmeißt die Jungs nun mal ins kalte Wasser“.

Als Leidender sieht Florian sich trotz allem nicht. „Muskelschwund ist keine Krankheit, es ist ein genetischer Defekt. Ich bin da über die Jahre hineingewachsen.“ Viel schwieriger fände er es zu sehen, wie sich seine Mutter täglich um ihn kümmere. Und wenn die Pflege durch Zivis ganz wegfalle, müsse sie ihren Job kündigen und die Familie wäre auf Sozialhilfe angewiesen.

Kontakt: Deutsche Muskelschwundhilfe, ☎ 040/32 32 31-0