Wirtschaft fordert Windkraft-Ausbau: Die neue Liebe zum Windrad

In Niedersachsen trommeln jetzt viele für einen schnelleren und leichteren Ausbau der Windkraft. Doch der Naturschutzbund hält dagegen.

Ein Windrad steht zwischen hohen Nadelbäumen.

Flächen für Windkraft – im Wald und anderswo – sind ein Problem in Niedersachsen Foto: Nicolas Armer/dpa

HANNOVER taz | Es war schon ein beeindruckend breites Bündnis, das der Landesverband Erneuerbare Energien (LEE) da zu seiner jüngsten Pressekonferenz aufgeboten hat: Am Tisch saßen neben LEE-Geschäftsführerin Silke Weyberg, Philip Freiherr von Oldershausen für die niedersächsischen Waldbesitzer, Volker Müller für die Unternehmerverbände (UVN), Petra Adolph für die Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) und Peter Klug, Projektentwickler beim Windkraftanlagenbauer Alterric.

„Das hätte ich noch vor ein paar Jahren auch nicht gedacht, dass ich heute hier einmal in dieser Runde sitzen und vehement für den Ausbau der Windkraft eintreten würde“, sagt UVN-Geschäftsführer Müller lachend. Aber die Zeiten ändern sich eben – nicht zuletzt mit Blick auf die ­Ukraine. Den Unternehmer treibt letztlich die gleiche Sorge um wie die Gewerkschafterin neben ihm: die energie­intensiven Unternehmen Niedersachsens zukunftsfähig aufzustellen.

„Wir wissen ganz genau, was wir wann abschalten, aber so langsam müssen wir einmal anfangen, seriös zu kalkulieren und zu planen, woher der Strom denn stattdessen kommen soll“, mahnt Müller. „Daran hängen in Niedersachsen massenhaft Arbeitsplätze“, ergänzt Petra Adolph.

Zwei große Problemfelder zeichnen sich dabei ab: Da ist zum einen das zähe Ringen um die Ausweisung von weiteren Windkraftflächen, auch in Waldgebieten. Und zum anderen die Schwierigkeiten, Unsicherheiten und vor allem Dauer von Planungsprozessen.

Naturschützer misstrauen den Motiven der Waldbesitzer

„Wenn wir in zehn Jahren die Ausbauziele erreicht haben wollen, dann müssen die Flächen jetzt bereitgestellt werden“, mahnt Projektentwickler Peter Klug. Aber das droht an einer ganzen Reihe von Stellschrauben zu scheitern.

Da ist zum einen der ewige Streit um den Wald. „Es will doch niemand alte Eichen und Buchen fällen, um dann da Windräder hinzustellen“, sagt Philip Freiherr von Oldershausen fast beschwörend. „Aber es ist doch auch nicht jedes Waldstück ökologisch gleichermaßen wertvoll.“ Und dort, wo es ohnehin schon Sturmschäden oder sonstigen Kahlschlag gegeben hat, sollte es doch möglich sein, auch über das Aufstellen von Windrädern nachzudenken.

Das ist allerdings genau der Punkt, der bei Naturschützern regelmäßig Argwohn erregt: Sie unterstellen, die Waldbesitzer wollten hier vor allem ihre Verluste aus abgestorbenen Fichtenwäldern kompensieren – und nähmen die Zerstörung weiterer Waldflächen dabei billigend in Kauf.

Die Waldbesitzer halten ihrerseits den pauschalen Ausschluss von historischen Waldflächen, der auf Betreiben der Naturschutzverbände ins Landesraumordnungsprogramm aufgenommen wurde, für zu weitgehend: „Damit ist praktisch jeder Höhenkamm in Niedersachsen von der Nutzung für Windenergie ausgenommen“, sagt von Oldershausen.

Gerichte kippen regionale Raumordnungsprogramme

Der noch viel größere Bremser sind allerdings die Planungsprozesse. Vor allem die damit verbundenen Unsicherheiten schreckten Investoren ab, erläutert LEE-Geschäftsführerin Weyberg. Die Planung und Genehmigung einer konkreten Anlage nehme derzeit schon mehrere Jahre in Anspruch, sagt auch Klug. Und ständig laufe man dabei Gefahr, dass sie sich selbst überholt.

„Wenn sich so ein Prozess über Jahre hinzieht, dann ist das naturschutzrechtliche Gutachten, das ich am Anfang erstellt habe, doch längst wieder obsolet, weil sich das Ökosystem längst wieder verändert hat.“ Noch schwieriger wird es aber, ergänzt Weyberg, wenn – wie zum Beispiel in Uelzen oder in der Region Hannover – die regionalen Raumordnungsprogramme von Gerichten gekippt werden.

Beispiel Hannover: Das regionale Raumordnungsprogramm 2016 ist nach einem fünfjährigen Dialog- und Planungsprozess 2016 verabschiedet worden und 2017 in Kraft getreten. Eigentlich hätte es für zehn Jahre gelten sollen.

Doch im März 2019 kassierte das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht die darin enthaltenen Festlegungen zur Windenergie ein. Unter anderem, weil Abstandsregelungen nicht korrekt berechnet worden waren. Jetzt, drei Jahre später, hat die Region angekündigt, die überarbeitete Planung in den öffentlichen Beteiligungsprozess zu geben – Ausgang ungewiss.

Dabei sind es nicht einmal immer Umweltschützer oder Nachbarn, die klagen. In Uelzen beispielsweise waren es Energieversorger, weil dort haufenweise Vorrangflächen ausgewiesen werden sollten, auf denen aber gar keine Windräder gebaut werden konnten, weil sie im Tieffluggebiet der Bundeswehr lagen. Das Ergebnis ist aber das gleiche: Genehmigungsverfahren und Projekte werden verzögert.

Klare Zuständigkeiten und verbindliche Verfahren gefordert

„Wir brauchen einfach Beteiligungsverfahren und Diskussionsprozesse, die frühzeitig alle Parteien einbinden und dann aber auch zu verbindlichen Ergebnissen kommen“, sagt Gewerkschafterin Adolph. „Und dann müssen vielleicht auch BUND und Nabu mal die ein oder andere Kröte schlucken, wenn ihre Einwände gehört wurden, aber im Abwägungsprozess unterlegen sind.“ Das allerdings dürfte juristisch nicht ganz einfach umzusetzen sein.

Man brauche vor allem auch eine präzisere und klarere Kompetenzverteilung zwischen den verschiedenen Ebenen auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene, sagt der Planer Klug. In der komplexen Hierarchie von Landesraumordnung, regionaler Raumordnung und kommunalen Flächennutzungsplänen komme es sonst immer wieder zu Widersprüchen.

Der Nabu reagierte sofort mit einer Pressemitteilung auf die Veranstaltung des LEE. Darin wirft der Nabu-Landesvorsitzende Holger Buschmann den Akteuren unter anderem vor, vor allem finanzielle Interessen zu vertreten und die Rückwirkungen auf das Ökosystem Wald und das Artensterben nicht hinreichend zu berücksichtigen. Er mahnte, man dürfe Windkraft nicht als Allheilmittel in der Energiewende betrachten. Stattdessen sollte lieber das Photovoltaikpotenzial ausgeschöpft werden.

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