Vermüllte Landschaften

Auf der UN-Umweltkonferenz Ende Februar in Nairobi soll ein weltweites Abkommen gegen Plastikmüll verhandelt werden. Der viele Abfall ist ein globales Problem. Berichte aus Afrika, Indien und dem Libanon

Sie räumen das Plastik vom Strand: Kinder nahe Dakar, der Hauptstadt von Senegal Foto: Finbarr O’Reilly/NYT/Redux/laif

Die 193 Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen kommen ab dem 28. Februar in Kenias Hauptstadt Nairobi und auch online zusammen, um über ein weltweites Abkommen zu verhandeln, das den globalen Gebrauch von Plastik reduzieren soll. Experten hoffen, dass es das wichtigste Umweltabkommen seit der Pariser Klima-Konferenz 2015 wird. Während der Konferenz feiert die UN-Umweltagentur UNEP zudem den 50. Jahrestag ihrer Gründung 1972.

Laut dem jüngsten UNEP-Bericht verschmutzen 11 Millionen Tonnen Plastik jedes Jahr die Weltmeere, ein schwimmender Teppich von der Größe Frankreichs. Über 300 Millionen Tonnen Plastik werden jährlich neu produziert, ein Großteil davon wird nicht recycelt. Eine Vorhersage lautet: Im Jahr 2030 könnten 53 Millionen Tonnen Plastik die Weltmeere verschmutzen, wenn nicht bald etwas getan wird.

Recycling ist dabei der zentrale Punkt. Doch es gibt nur ein einziges weltweites Abkommen dazu: die Baseler Konvention von 1989. Sie verbietet es, dass Länder ihren Plastikmüll irgendwo anders entsorgen. 199 Staaten haben unterzeichnet, die USA haben sie nicht ratifiziert. Nun soll diese Konvention abgelöst werden durch ein umfassendes Abkommen, das die UNEP-Mitgliedstaaten verpflichtet, die Herstellung von Einwegplastik zu reduzieren und Recycling zu forcieren.

Bereits im vergangenen Jahr hat UNEP auf der Jahresversammlung in Glasgow die Verhandlungen zu einem weltweiten Plastikabkommen angestoßen. Ein Beschluss wurde nicht erzielt. An diesem Punkt soll dieses Jahr weiterverhandelt werden. Ein Knackpunkt der Verhandlungen ist die Frage, wie mit den auf den Weltmeeren schwimmenden Plastikteppichen umgegangen werden soll. Kein Staat fühlt sich dafür wirklich verantwortlich – eine globale Lösung muss her.

Plastik benötigt zum Teil Hunderte von Jahren, um sich in der Umwelt zu zersetzen. Deswegen muss das Problem langfristig angegangen werden. Jugendvertreter aus der ganzen Welt werden online an der Konferenz teilnehmen, kenianische Jugendliche werden persönlich anwesend sein. Ihr Ziel: mehr Jobs schaffen durch eine breit angelegte Recyclingwirtschaft. Auch Jugendvertreter aus Eritrea und Ruanda stellen ihre Ideen und Forderungen vor. Simone Schlindwein

Plastik verschmutzt die Straßen oder wird zu Baumaterial

Afrikanische Länder waren die ersten beim Plastiktütenverbot. Doch die Regelungen werden vielerorts nicht durchgesetzt

Afrikas Länder sind weltweit führend im Verbot von Einwegplastik. Ruanda war 2008 das erste Land, das die Einfuhr und den Gebrauch von Polyethylen-Tüten verbot. Seitdem wird das Gepäck von jedem einreisenden Passagier an der Grenze auf Plastiktüten überprüft. Und auch 2016 war Ruanda federführend, gemeinsam mit Südafrika und Nigeria die „Afrikanische Allianz zur Kreislaufwirtschaft“ zu gründen.

Doch das Plastikverbot in Afrika stößt auch an seine Grenzen – aufgrund von Armut und Mangel an Alternativen. Ein Hauptproblem ist zum Beispiel der mangelnde Zugang zu sauberem Trinkwasser. Über 60 Prozent der Afrikaner in städtischen Gebieten haben keinen Zugang zu sauberem Wasser. So sind auf dem gesamten Kontinent Milliarden Menschen auf den Konsum von Wasser aus Plastikflaschen angewiesen.

Diese Abfälle führen wegen der mangelnden Abfallentsorgung und fehlender Recycling­systeme zu weiteren Problemen: Das Plastik verstopft die Abflussrinnen der Straßen, was wiederum Überschwemmungen und Erosionen auslöst. Viele afrikanische Länder haben zwar den Gebrauch von Plastiktüten verboten, es fehlt jedoch an Alternativen, etwa Stofftüten oder Glasbehältern für Getränke.

Und es fehlt an Durchsetzungskraft. In der Demokratischen Republik Kongo hat der Gouverneur der Millionenstadt Kinshasa, die von Plastikmüll total verdreckt ist, den Plastikherstellern mit Gefängnisstrafen gedroht – vergeblich. Die Behörden, vor allem die korrupte Polizei, setzen dieses Verbot nicht um.

Afrikas gigantische Plastikindustrie ist mächtig und schafft viele Arbeitsplätze. Ein für viele Länder wichtiges Argument, denn Jobs werden dringend gebraucht: Laut dem UN-Weltbevölkerungsfonds sind rund 200 Millionen afrikanische Jugendliche auf der Suche nach einem Arbeitsplatz. Und diese Zahl steigt – sie wird sich bis 2045 voraussichtlich verdoppeln.

In Uganda wird seit vielen Jahren ein Import- und Herstellungsverbot für Plastik debattiert. 2018 hatte Präsident Yoweri Museveni sogar seine Geheimdienstchefs angewiesen, der Verschmutzung nachzugehen. Doch die Plastikindustrie verlangt immer wieder die Aufschiebung der Implementierung. Von 47 Plastikfirmen halten sich über 20 nicht an die Regeln. Sie sind auch die größten privaten Arbeitgeber im Land.

Immerhin, es gibt Hoffnung: Einige Ugander nutzen alte Plastikflaschen als Baumaterial. Diese werden mit alten Plastiktüten gefüllt und wie Ziegel mit Zement zu einer Mauer zusammengebaut. So entstehen Toiletten, ganze Häuser und Schulen aus alten Plastikflaschen. Simone Schlindwein

Tüten und Strohhalme ab Juli verboten

Auch Indien machen die großen Mengen an Plastik zu schaffen. Viele Wert­stoff­samm­le­r:in­nen suchen nach brauchbarem Müll

In wenigen Monaten erwartet Indien ein Einwegkunststoffverbot: Es soll ab Juli für Produkte wie dünne Einkaufstüten, Lebensmittelverpackungen oder Strohhalme gelten. Erste Schritte in diese Richtung gab es schon vor der Coronapandemie. Bei Catering in Zügen und Flugzeugen wurde vieles ersetzt. Und im westindischen Bundesstaat Maharashtra gilt bereits seit 2018 ein generelles Einwegplastikverbot.

Dass das nur bedingt funktioniert, zeigt sich in Mumbai, der Hauptstadt des Bundesstaates. Wenn die Kontrollen fehlen, tauchen die verbotenen Plastiktüten schnell wieder auf. Sie verursachen während der Regenzeit auch Überschwemmungen, denn sie verstopfen Wasserabflüsse. Die Kontrolleure sagen, dass das Plastik aus anderen Bundesstaaten eingeführt wird. Wenn es ein Verbot bald in ganz Indien gibt, sollte dieses Argument nicht mehr gelten.

Unter Premier Modi schob Indien Ende 2019 bereits der Einfuhr von Altplastik aus dem Ausland einen Riegel vor. Teilen der indischen Recycling­industrie missfiel das. Um­welt­schüt­ze­r:in­nen argumentieren dagegen mit den großen Mengen an eigenen Plastikabfällen, die Indien sichtbar zu schaffen machen. Am Strand, in Büschen oder in Gewässern: Plastiktüten und -flaschen sind so gut wie immer zu finden.

Dabei sind alleine in Mumbai schätzungsweise 300.000 Wert­stoff­samm­le­r:in­nen unterwegs, die ihr Augenmerk auch auf Plastik richten. Die Abfallmengen in Indien sind massiv, allein in Mumbai fallen täglich im Schnitt 700 Tonnen Plastik an. Was davon verwertbar ist, wird oftmals aufgespürt, sortiert und in großen weißen Säcken gesammelt. Die Recyclingquote von Kunststoffabfällen lag in Indien zuletzt bei 60 Prozent. Der restlichen 40 Prozent landeten auf Deponien oder in Gewässern.

Generell läuft vieles im Abfall­wirtschaftssektor in Indien unorganisiert ab. Das Sozialunternehmen Sampurn(e)arth aus Mumbai will die Informalität aufbrechen. Seit 2012 konzentriert es sich auf das städtische Abfallmanagement. Es stellt Wert­stoff­samm­le­r:in­nen mit festem Gehalt ein, bietet ihnen Schutzkleidung und hilft ihnen auch bei der umweltgerechten Entsorgung.

In einer Initiative im Mumbaier Slum Dharavi lernen die Kinder von Wert­stoff­samm­le­r:in­nen außerdem einen spielerischen Umgang mit Plastik. „Hier machen wir Neues aus dem Abfall“, sagt Laxmi Kamble von der Acorn-Stiftung. Sie holen „das Beste“ aus dem Müll heraus, die Kinder bauen daraus dann beispielsweise Musikinstrumente und lernen mehr über den Rohstoff, während ihre Eltern Unterstützung bei rechtlichen Anliegen wie der Beschaffung von Lebensmittelkarten bekommen.

Natalie Mayroth

Überfüllte Deponien am Meer

Im Libanon gibt es schon länger ein Müllproblem – und Löcher auf der Straße

Manche klauen Gullydeckel, um sie an Metallhändler zu verkaufen

Wer im Libanon zu Fuß geht oder mit dem Rad unterwegs ist, muss nicht nur auf quer parkende Autos achten, sondern auch auf tiefe Löcher im Asphalt. Fast ein ganzes Vorder- oder Hinterrad hätte in jedem der quadratischen Löcher am Rand der Straße Platz. Die Zugänge zum Kanalsystem sollten zugedeckt sein mit Gullydeckeln – doch die sind beliebtes Diebesgut. Manche klauen Gullydeckel, um sie an Metallhändler zu verkaufen.

2019 begann die Finanzkrise im Libanon. Die Wirtschaft kollabierte, die Währung fiel um 90 Prozent. Tausende haben ihre Arbeit verloren. Auch die einstige Mittelschicht muss nun zusehen, wie sie die Miete zahlt oder das Essen auf den Tisch bekommt. Zu Beginn gingen noch Massen auf die Straßen, um gegen die Politik zu protestieren. Es war eine Fortsetzung der Proteste der „You Stink!“-Bewegung von 2015. Damals stapelte sich der Müll zu hohen Bergen, weil die Deponien überfüllt waren. Viele sahen darin ein Symbol des Missmanagements.

Allein in Beirut und seinen Vororten fallen täglich mehr als 3.000 Tonnen Abfall an. Der landet in überfüllten Deponien, die gefährlich nah am Mittelmeer liegen. Zwischen 1.000 und 3.000 Tonnen Kunststoff schwimmen Schätzungen zufolge im Mittelmeer. Während der Libanon nur einen winzigen Bruchteil der Küste ausmacht, leistet das Land einen bedeutenden Beitrag zur Verschmutzung, auch Sickerwasser fließt ins Meer.

Solange die Politik weiter stillsteht, wird sich auch die Müllsituation nicht verbessern. Währenddessen hat sich in der ­Zivilgesellschaft eine Parallelökonomie entwickelt. Junge Männer suchen in Beiruts Müllcontainern täglich nach Plastik. Für ein Kilogramm bekommen sie nach eigener Aussage 3.000 Lira – vor der Inflation waren das knapp 2 Euro, nun sind es noch knapp 13 Cent. Das Plastik verkaufen sie an eine Organisation, die es an große Händler abgibt, damit daraus Plastikstühle oder Obstkisten werden.

Andere NGOs recyceln schon seit Jahren. Der Umweltingenieur Ziad Abichaker hat 1999 eine Müllsortier- und -recyclinganlage gebaut. Plastik wird dort zu „Ecoboards“ für vertikale Landwirtschaft oder zu Straßen-Recycling-Containern – und neuerdings auch zu Gullydeckeln, mit denen Abichaker die Löcher stopft.

Julia Neumann