apokalypse der woche
: Gas als Waffe,auch fürs Klima

Der umstrittenste Rohstoff dieser Tage ist fossiles Erdgas. Nach der Invasion russischer Truppen in die Ukraine hat die Bundesregierung die Ostseepipeline Nord Stream 2 auf Eis gelegt, und die russischen Verbindungen in die deutsche Wirtschaft und Politik sind zum Thema geworden. Deutschland debattiert über seine Abhängigkeit von einem aggressiven Gaslieferanten und hat erkannt, dass fossiles Gas eine Waffe sein kann.

Denn eigentlich sehen alle Pläne zu Energiewende und Klimaschutz vor, dass fossiles Erdgas – kostengünstig über die Pipelines aus dem Osten geliefert – für Wärme, Strom und Industrieprozesse sorgt, wenn hier Ende 2022 die letzten drei Atomkraftwerke und 2030 die letzten Kohlekraftwerke vom Netz gehen sollen. Wer darüber verfügt, kann erheblichen Druck ausüben.

Aus Sicht des Klimaschutzes war dieser Plan immer sehr zweifelhaft. Denn er geht davon aus, dass fossiles Gas nicht so sehr zur Erderhitzung beiträgt wie etwa Kohle. Gas wird aber zur Waffe gegen das Klima, wenn man etwas Entscheidendes mit einrechnet: Bei der Förderung von Gas an den Quellen, durch Lecks beim Transport und auch bei der Verteilung von Gas entweicht versehentlich Methan.

Das extrem potente Treibhausgas, aus dem Erdgas zum ganz überwiegenden Teil besteht, zeigt sich als fast so großer Klimakiller wie die Kohle und ist global für 30 Prozent der Erderhitzung verantwortlich. Auch deshalb haben etwa 110 Staaten im November bei der UN-Klimakonferenz in Glasgow beschlossen, bis 2030 ihre Methanemissionen um 30 Prozent zu reduzieren – von den fünf größten Methanproduzenten China, Russland, USA, Iran und Indien sind allerdings nur die USA dabei. Der Klimakiller, über einen Zeitraum von 20 Jahren etwa 87-mal so klimaschädlich wie Kohlendioxid, stammt aus natürlichen Quellen wie Sümpfen und Rindermägen, aber auch aus dem industriellen Agrarwesen und eben aus der Gaswirtschaft.

Nun kommt die Internationale Energieagentur, eine OECD-Behörde, mit der nächsten schlechten Nachricht: Die Methanemissionen aus der Energiegewinnung liegen offenbar um 70 Prozent höher als bisher gedacht. Das hat der neue „Global Methane-Tracker“ der Organisation ergeben, der sich auf weltweite Satellitendaten stützt. Darin werden Land für Land und je nach Produktionsanlage die Daten gemessen. Es zeigt sich: 2021 leckten die Leitungen etwa 5 Prozent mehr Methan als noch 2020 und haben damit fast das Vor-Corona-Niveau erreicht.

Wäre all das entwichene Gas aufgefangen worden, hätten 180 Milliarden Kubikmeter Gas verkauft werden können – so viel, wie die gesamte Industrie in Europa nutzt. Das hätte auch die aktuelle Knappheit am Markt beseitigt, mahnt die Internationale Energieagentur. Große Probleme gibt es bei den Fracking-Feldern in Texas, aber vor allem aus Turkmenistan kommt etwa ein Drittel aller Methanlecks. Die arabischen Gasquellen schneiden vergleichsweise gut ab.

Die Erhebung ist genauer als die bisherigen Messungen und Schätzungen, hat aber immer noch große Lücken – etwa in den Äquatorregionen, bei Offshore-Plattformen und im Norden, wo die meisten russischen Gasfelder liegen. Damit ist klar: Das Methanproblem ist viel größer als angenommen.

Die gute Nachricht dabei: Weil Methan so aggressiv die Atmosphäre aufheizt, könnte die Reduzierung hier die Erwärmung deutlich abbremsen. Und noch eine zweite gute Nachricht hat die Internationale Energieagentur: „Bei den heutigen hohen Preisen könnten praktisch alle Methanverluste ohne Kosten vermieden werden“, sagt Behördenchef Fatih Birol. Dafür bräuchte es aber mehr Transparenz und die Beteiligung aller Staaten.

Das ist doch mal eine Warnung vor der Apokalypse, die den Lichtblick gleich in sich trägt: Das Klima und die Umwelt schützen und damit auch noch Geld verdienen. Lukrativer geht’s nicht. Bernhard Pötter