Comeback des Vinyl in der Biblothek: Trendy in Szene gesetzt

Die Berliner Zentral- und Landesbibliothek hat mit 73.000 Exemplaren eine große Schallplattensammlung. Und die verleiht sie auch.

In den 1950er Jahren war die gute alte Schallplatte topmodern. Heute ist sie was für Liebhaber Foto: GraphicaArtis/Getty Images

BERLIN taz | An den Wänden Schallplatten, in den Regalen ebenso. Ein Raum in der Amerika-Gedenkbibliothek (AGB) hat sich gerade in eine Art Plattenladen verwandelt. Gleich neben den Zeitschriftenständen kann man sich durch Vinyl wühlen und es dann auch ausleihen. Moment mal. Wem war denn überhaupt noch bekannt, dass die Berliner Zentral- und Landesbibliothek Schallplatten – die AGB ist ja nur ein Standort – im Bestand hat? Ist aber so. Und die Sammlung ist sogar ziemlich groß und umfasst 73.000 Exemplare.

Mit dem Siegeszug der CD im Laufe der 1990er Jahre verschwanden die Schallplatten aus den Auslagen der Berliner Bibliotheken. Sie galten als gestrig und überholt. Nun sind sie zurückgekehrt, zumindest in die AGB. Ob weitere Berliner (Stadtteil-)Bibliotheken dem Beispiel folgen und ebenfalls eine Vinylnische einrichten werden, wird sich zeigen. Anzunehmen ist es. In dem kleinen Heftchen, dass die Zentral- und Landesbibliothek Berlin – kurz: ZLB – extra zum Thema Vinyl hat drucken lassen, steht: „Wir lieben Schallplatten.“

Die neue Aufmerksamkeit für ein altes Medium folgt natürlich einem allgemeinen Trend. Vinyl ist bekanntlich zurück im öffentlichen Bewusstsein. Kaum noch eine „Schöner leben“-Lifestyle-Anzeige, in der nicht jemand auf seiner gemütlichen Couch auch ein paar Schallplatten liegen hat. Zudem wurde in einem Branchenreport eben erst bekannt gegeben, dass in den USA inzwischen wieder mehr Vinyl-Schallplatten verkauft werden würden als CDs.

Der “Themenraum Vinyl“ ist bis zum 27. Februar in der Amerika-Gedenkbibliothek am Blücherplatz zu besuchen

Und überhaupt: Wer wie Neil Young etwas gegen populistische Entertainer bei Spotify hat und wer nebenbei will, dass seine Lieblingsband die Pandemie überlebt und mit ihrer Musik auch wirklich Geld verdient, der streamt nicht – sondern kauft Vinyl.

Historische Sammlung

Die Idee, die Schallplatten zurückzuholen, kam in der ZLB in den Coronamonaten auf, berichtet Marten Seedorf. Als ZLB-Mitarbeiter ist er mit dafür verantwortlich. „Die Bestände waren schon ein bisschen in Vergessenheit geraten“, sagt er, „und sie waren nicht mehr sichtbar.“ Er und sein Team haben dann damit begonnen, diese durchzusehen, den Zustand der Platten zu checken und auch zu ermitteln, welche Scheibe was wert ist. Ein paar Schallplatten sind letztendlich zu wertvoll, um in die Ausleihe zu kommen, etwa eine ganz seltene Pressung von Neil Youngs Klassiker „Harvest“, auf die man gestoßen sei.

Die ZLB-Plattensammlung besteht aus drei Teilbereichen. Aus den Beständen der Ostberliner Bibliotheken vor der Wende und somit aus „tonnenweise Amiga-Platten und Schallplatten der damaligen sozialistischen Bruderstaaten der DDR“, wie Seedorf erzählt. Dann aus den „Amerika-Platten, also Schenkungen von amerikanischen Kultureinrichtungen in Westberlin. Darunter sind auch ganz alte Erstpressungen von guten Jazz- und Blues-Platten.“ Und aus sogenannten Pflichtexemplaren Berliner Labels: die sind dazu angehalten, von jeder ihrer Platten eine der ZLB zu vermachen.

Die Sammlung ist also ziemlich historisch. Vinyl aus den nuller Jahren bis heute kommt nur noch von den Berliner Labels wie etwa Karaoke Kalk oder Karl Records. Diese kann man nicht ausleihen, sondern sich bloß auf dem Plattenspieler in der Phonothek anhören. Laut Seedorf wird die ZLB auch wohl kaum wieder aktuelles Vinyl von Adele oder Helene Fischer anschaffen.

Bei der Gestaltung des Vinylraums hat man es durchaus verstanden, auch den schon etwas fortgeschrittenen Vinyl-Fan für das Thema zu gewinnen. An den Wänden hängen Platten von Oskar Sala, Joan La Barbara und diverse des Jazz-Labels „Impulse“, die allesamt ziemlich rar sind. Wer hätte die nicht gerne in seiner eigenen Sammlung?

„Phonoclub“ mit DJs

Dazu wird auf Filme zum Thema verwiesen und auf Bücher, die etwa die „hundert großartigsten Platten, die man auf Vinyl besitzen muss“ heißen. Sogar Krimis, die in Plattensammlerkreisen spielen, gibt es inzwischen. Im „Berlin“-Plattenfach findet man Perlen wie „Stop dem Autobahnbau“, 1980 herausgebracht von der „Bürgerinitiative Westtangente Berlin“, die „Lieder gegen Umweltzerstörung durch Autoverkehr“ zum Besten geben soll. Alt, obskur, aber immer noch aktuell. Autobahn-Fan Franziska Giffey könnte sich diese ja gerne mal ausleihen …

An mehreren Terminen gibt es außerdem einen „Phonoklub“ in der AGB. Im Rahmen der Veranstaltung legen DJs Platten auf, über Funkkopfhörer lassen sich deren Sets verfolgen.

Aufgefordert werden die Besucher auch, über ihren Erstkontakt mit der guten alten Schallplatte in einem ausgelegten Büchlein zu berichten. Einer hat geschrieben, dass es gleich 25 Platten waren, die als Erstes in sein Leben traten, daraus wurden schnell 5.000 bis 10.000 Stück in seiner Sammlung. Und schließlich bekennt der Schreibende: „Leider bin ich dann vor lauter Vinyl verrückt geworden. Meine Frau schimpft nur noch mit mir.“ Hätte er die Platten schon immer nur in der ZLB entliehen, hätte er diese Probleme heute nicht.

Dass man Vinyl aber eben nicht nur entleihen, sondern einfach gerne um sich hat, das will auch Marten Seedorf bereits festgestellt haben: „Die Leute leihen die Platten sehr lange aus, oft über Monate“, sagt er, „sie scheinen sie eben einfach auch als Sammlerobjekte zu begreifen.“

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