Leben mit Brustkrebs: Selfcare, um zu überleben

Unsere Autorin hat Brustkrebs und lebt allein. Warum Selbstfürsorge für sie etwas anderes bedeutet als für Gesunde – und Duftkerzen nicht dazugehören.

Eine Frau mit kurz rasierten Haaren, roten Lippen und rotem Mantel, lächelt

Ohne Selfcare wäre die Erkrankung noch härter, findet unsere Autorin Foto: Doro Zinn

Im Mai vergangenen Jahres wurde mein Brustkrebs diagnostiziert. Ich war darauf nicht vorbereitet, obwohl der Knubbel, den ich abklären lassen wollte, schon ziemlich groß war. Schließlich hatte der Frauenarzt, der mich zur Mammografie überwiesen hatte, mich mit „das kann alles sein“ beruhigt. Es wurde gerade warm, und bei jeder blühenden Kastanie, an der ich vorbeikam, habe ich mich gefragt, ob ich das im nächsten Jahr noch mal erleben würde. Die Tumorbiopsie zeigte, dass der Krebs aggressiv und schnell wachsend war. Ich hatte große Angst vor Metastasen. Glücklicherweise wurden keine gefunden.

Die Behandlung einer Krebserkrankung ist langwierig, weil man zudem nicht weiß, ob schon Krebszellen abgewandert sind. Also wird die Krankheit nicht nur dort behandelt, wo der Tumor ist, sondern „systemisch“: Mutierte Zellen sollen im ganzen Körper abgetötet werden. Das bedeutet neben lokalen Operationen und Bestrahlungen oft und wie in meinem Fall monatelange Chemotherapie und jahrelange Antihormontherapie.

Wenn die akute Bedrohung bekämpft ist, geht es darum, eine Wiederkehr der Krankheit zu verhindern. Weil all das dauert und die Nebenwirkungen der Behandlung oft gravierend sind, ist die „Compliance“, also die Mitarbeit der Pa­ti­en­t*in­nen wichtig: sie müssen mitmachen und durchhalten. Die beste Therapie nützt nichts, wenn sie abgebrochen wird.

Selfcare bedeutet für Menschen wie mich, die eine potenziell tödliche Krankheit haben, etwas anderes als für gesunde und weitgehend beschwerdelose Menschen. Es geht nicht um Konsum von Wohlbefinden, wie ich es neulich in einem Pod­cast gehört habe, es geht nicht um leckeren Tee oder Duftkerzen. Es ist auch keine Selbstoptimierung: weniger Schoki, mehr Obst; weniger Sofa, mehr Sport; weniger Serien, mehr lesen.

Sorgearbeit an mir selbst

„Es hat mich Überwindung gekostet, nach Unterstützung, Zuwendung und Nähe zu fragen. Ich hatte Angst, Freundschaften zu sehr zu belasten“

Für mich ist Selfcare ganz konkrete Sorgearbeit an mir selbst. Meine Bedürfnisse wahrzunehmen heißt, meine Lebensqualität und Überlebenschancen zu erhöhen. Meine Nerven zu stärken, eine Balance aus Empathie mit mir selbst und Abhärtung zu finden, um belastende Therapien, die Angst vor der Verschlechterung des eigenen Zustands und die Todesangst auszuhalten. Immer wieder die Energie aufzubringen, zu den Untersuchungen zu gehen, Informationen zu beschaffen und Unterstützung zu suchen. Das war und ist alles anstrengend. Ohne diese Arbeit an mir selbst und Care für mich selbst wäre die Erkrankung aber noch härter.

Selfcare besteht für mich also nicht aus der perfekten Morgenroutine – sondern darin herauszufinden, was ich brauche, danach fragen zu können und mich mit Menschen zu umgeben, die diese Bedürfnisse möglicherweise gerne erfüllen. Ich bin 43 Jahre alt und habe kei­ne*n Part­ne­r*in und keine WG. Ich wusste nicht, was durch die Krankheit auf mich zukommen würde, wie heftig die Nebenwirkungen sein würden. Darum habe ich Freund*innen, Bekannte und friends with benefits gefragt, ob sie mich praktisch und emotional unterstützen können.

Ende Mai habe ich eine Telegram-Gruppe aufgemacht, in der knapp 40 Leute sind. Darüber habe ich bis zum Ende der Akuttherapie Ende Januar über die verschiedenen Therapieschritte informiert und auch um Hilfe gebeten bei Ämterkram oder Erledigungen. Auf die Idee bin ich gekommen, weil ich in der ersten Covid-Phase, als noch kaum etwas über das Virus bekannt war, in einer Telegram-Einkaufsgruppe für eine Freundin mit Behinderung war, die gut funktioniert hat.

Nahezu alle Krebserkrankten berichten, Bekannte hätten sich während der Krankheit von ihnen abgewandt, Freundschaften seien zerbrochen. Da das so ein verbreitetes Phänomen zu sein scheint, habe ich mir darum auch Sorgen gemacht, glücklicherweise grundlos. Woran das liegt? Genau weiß ich es nicht, aber ich war auch schon ohne Krankheit nicht die unkomplizierteste Person.

Leute, die mit mir befreundet sind, erwarten nicht, dass ich den ganzen Tag fröhlich und optimistisch bin, sondern wissen, dass ich sage, wenn mir was nicht passt. Die meisten meiner Freun­d*in­nen und Bekannten sind Linke, Queers und Feminist*innen, die sich schon mal mit Behinderung, Care oder Körperpolitik beschäftigt haben. Es gab niemand, der*­dem ich alles von Anfang an erklären musste.

Dennoch hat es mich Überwindung gekostet, nach Unterstützung, Zuwendung und Nähe zu fragen. Ich hatte Sorge, Freundschaften zu sehr zu belasten, und dass Leute aus schlechtem Gewissen Unterstützung zusagen würden, die ihnen eigentlich zu viel ist. Darum habe ich versucht, transparent zu kommunizieren, was ich über meine Krankheit und die möglicherweise zu erwartenden Folgen der Behandlung wusste und wie es mir damit ging.

Zwei Fäuste formen ein Herz

Erziehen, Zuhören, Pflegen – die einen nennen es Liebe, die anderen unbezahlte Arbeit. Nach wie vor sind es vor allem Frauen, die sie übernehmen, selbst da, wo sie bezahlt wird. In unserem Schwerpunkt „Frauentag“ fragen wir pünktlich zum feministischen Kampftag: Wie kann eine Gesellschaft aussehen, die das Kümmern revolutioniert?

Wir haben für die Tage nach jeder Chemo Pläne gemacht, damit ich was zu essen bekomme, Gesellschaft habe, ein bisschen rauskomme und nicht jedes Mal fragen musste. Um konkret nach Unterstützung zu fragen, braucht es Energie, die ich zwischendurch nicht hatte. Wenn ich um Hilfe frage, muss ich es außerdem aushalten können, wenn Leute Nein sagen. Die Musikerin Amanda Palmer hat ein ganzes Buch darüber geschrieben: „The art of asking“. Ihre Gedanken und Geschichten haben mir geholfen, keinen Druck auf Freun­d*in­nen auszuüben und mich nicht ungemocht zu fühlen, wenn niemand Zeit für mich hatte (was aber selten vorkam).

Hinlegen und hochkämpfen

Viele Selfcaretipps gehen davon aus, dass man eigentlich schon weiß, was einem guttut – man muss es nur noch umsetzen. So einfach ist das aber leider nicht: Oft brauche ich Schokolade statt Obst, häufig ist Lesen zu anstrengend und manchmal sorgt der Versuch, mich zu überwinden, nur dafür, dass ich mich noch schlechter fühle. Oft ist es auch eher schwierig zu wissen, wie viel wovon und wann mir guttut. Krebs, depressive Verstimmungen, Antriebsstörungen und Ängste sind ganz schön viele Faktoren.

Wenn dann noch die Pandemie und die Nebenwirkungen der Behandlungen dazukommen, wird es immer schwerer herauszufinden, was gut sein könnte. Alleine dieser Prozess war manchmal zu anstrengend, sodass ich eben manchen Nachmittag und Abend auf dem Sofa verbrachte und Serien schaute. Das war auch okay, wenn die Erschöpfung von der Chemo kam. Von der Depression wusste ich aber, dass ich das nicht zu lange machen darf, weil sie sonst oft schlimmer wird. Also galt es, einen motivierenden Sonnenstrahl zu nutzen, alle Energie zusammenzunehmen und einen kleinen Spaziergang zu unternehmen.

Manchmal kostete es mich aber schon alle Energie, die ich aufbringen konnte, aufrecht stehen zu bleiben und mich nicht einfach auf den Boden zu legen. Damit meine ich nicht das Bedürfnis nach einem Nickerchen, sondern den Wunsch, mich einfach hinzulegen, wo ich stehe, und mich um nichts mehr kümmern zu müssen. Ich habe das sogar ein paar Mal gemacht, mich einfach auf den Boden gelegt. Aber der war hart, also habe ich mich wieder hochgekämpft. Immer wieder aufstehen, auch das ist für mich Selfcare. Und Blumen kaufe ich mir auch manchmal.

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Dieser Text ist Teil der Sonderausgabe zum feministischen Kampftag am 8. März 2024, in der wir uns mit den Themen Schönheit und Selbstbestimmung beschäftigen. Weitere Texte finden Sie hier in unserem Schwerpunkt Feministischer Kapmpftag.

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