„Der Markt hat etwas Selbst-zerstörerisches“

Der Bremer Ökonom Rudolf Hickel erörtert in seinem neuen Buch 21 Mythen über die Wirtschaft

Lesung „Gewinn ist nicht genug!“: mit Rudolf Hickel und Johann-Günther König, 19.30 Uhr, Bremen, Buchhandlung Kamloth+Geist

Interview Paul Petsche

taz: Herr Hickel, welcher Mythos unserer modernen Wirtschaft ist am gefährlichsten?

Rudolf Hickel: Auf der politischen Ebene die Schuldenbremse. Sie ist eine elende Ideologie, die mit ökonomischen und ökologischen Anforderungen überhaupt nichts zu tun hat. Sie wurde nur erfunden, weil man die Parlamente für unfähig hält, um über die Kreditfinanzierung zu entscheiden. Wenn wir heute kreditfinanzierte, vernünftige Investitionsausgaben für die Zukunft tätigen, ist das für künftige Generationen keine Belastung, sondern ein Vorteil. Ich war von Anfang an ein scharfer Kritiker der Schuldenbremse.

Haben Sie gar keine Angst vor Schulden?

Staatsschulden kann man nie mit privaten Schulden vergleichen. Das ist der Urfehler des staatsfeindlichen Neoliberalismus. Der Staat kann im Gegensatz zur „schwäbischen Hausfrau“ mit Investitionen Einnahmen generieren und Kosten sparen. Es wurde viel Geld für Mist ausgegeben. Das ist aber kein Grund, dem Staat das Recht auf sinnvoll eingesetzte Schulden zu entreißen. Wenn er in Bildung oder Maßnahmen gegen die Klimakrise investiert, dann lohnt sich das für alle.

Und abseits der politischen Ebene?

In der Wissenschaft ist der größte Mythos, dass der Markt mit seinen Selbstheilungskräften alles zum Besten reguliert. Aber Marktwirtschaft ist meistens Profitwirtschaft. Der Markt hat etwas Selbstzerstörerisches an sich, und er ist asozial. Nicht, weil er bösartig ist. Aber ein Unternehmer fragt nicht, was sozial angemessen ist, er fragt nach Profit. Für ökologische Anforderungen hat der Markt kein Sensorium.

Der Markt klingt eigensinnig und gefährlich. Wie sollen wir also mit ihm umgehen?

Wir brauchen einen starken, demokratischen, handlungsfähigen Sozialstaat, vor allem auch eine aktive Umweltpolitik. Außerdem brauchen wir starke, handlungsfähige Gewerkschaften und demokratische Bewegungen aus der Zivilgesellschaft. Und wir müssen die Monopole beschränken und den Investmentbankern ihre Spekulationsinstrumente entziehen.

Foto: privat

Rudolf Hickel

80, war Professor für Finanzwissenschaften an der Uni Bremen.

Ist das schon Antikapitalismus?

Der neoliberale Turbokapitalismus ist eine Katastrophe, die die Menschheitsprobleme verschärft hat. Er muss gezähmt werden.

Können wir das schaffen?

Ich halte den Neoliberalismus immer noch für die große Gefahr. Aber es ist ruhiger geworden. Die Gesellschaft begreift allmählich, dass wir die soziale Ordnung und Umwelt nicht dem Markt überlassen können.