Umbaupläne für RAW-Gelände: Soziokultur in Geiselhaft?

Das RAW-Gelände in Friedrichshain wird gehörig umgekrempelt. Einige alteingesessene Locations werden verschwinden, andere erhalten bleiben.

Ein Schild auf dem RAW Gelände mit der Aufschrift: "Tonight Hip Hop Shut Down"

Die Vorentwürfe für das RAW-Gelände zeigen: Beliebte Kultureinrichtungen werden verschwinden Foto: dpa/Jörg Carstensen

BERLIN taz | Das RAW-Gelände, gelegen zwischen Revaler und Warschauer Straße in Friedrichshain, befindet sich immer noch im Coronaschlaf. Partytouristen und Drogendealer verirren sich hier nachts gerade nur vereinzelt zwischen den mit Graffiti zugebombten, halbverfallenen Gebäuden.

Derweil wird hinter den Kulissen daran gearbeitet, das weitläufige Areal gehörig umzukrempeln. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird hier in ein paar Jahren alles anders sein. Haubentaucher, Urban Spree, Suicide Club, alles wird verschwinden. Ein riesiges Areal wird neu bebaut und hauptsächlich mit Bürokomplexen zugepflastert werden.

Das langwierige Verfahren samt aufwändiger Bürgerbeteiligung, das seit nunmehr vier Jahren auslotet, was hier genau geschehen soll, geht langsam in seine entscheidende Phase. Vorentwürfe für einen Bebauungsplan, der demnächst erstellt werden soll, wurden nun im Club Astra – der ebenfalls verschwinden soll – präsentiert. Am Ende der Veranstaltung stand die Frage im Raum: Entsteht hier der nächste Mercedes-Benz-Platz oder doch ein „Anti-Mercedes-Benz-Platz“, wie es Florian Schmidt, der Baustadtrat von Friedrichshain-Kreuzberg, auf dem Podium versprach.

Das „soziokulturelle L“ sollte erhalten bleiben

Dass für die Neugestaltung des RAW-Geländes überhaupt ein so aufwändiges Dialogverfahren samt öffentlicher Präsentationen gewählt wurde, liegt daran, dass hier ein Knäuel unterschiedlichster Interessen entwirrt werden musste. Drei verschiedene Investoren teilen das über 70.000 Quadratmeter große Gelände – das entspricht rund zehn Fußballfeldern – unter sich auf.

Den weitaus größten Teil des ehemaligen Reichsbahnausbesserungswerkes besitzt die Göttinger Kurth-Immobilien und dort ist alles besonders kompliziert. Auf deren etwa 50.000 Quadratmeer Fläche befinden sich Kneipen wie das Schmutzige Hobby, eine Skate-Halle, ein Kletterturm, Der Kegel (ein Boulderclub), ein paar Ateliers.

Die Anordnung dieser Locations hat in der Draufsicht von oben die Form eines L, weswegen sie „soziokulturelles L“ genannt wird (siehe Grafik, hier in Blau). Und dieses L, das war Baustadtrat Florian Schmidt von Beginn der Verhandlungen mit Investor Kurth wichtig, soll erhalten bleiben.

Infografik: Infotext

Amazon-Tower kriegt Gesellschaft

So wurde ein Kuhhandel vereinbart: Die Locations, die sich innerhalb des L befinden, sollen mit Mietverträgen zu extrem vorteilhaften Konditionen und einer Laufzeit von 30 Jahren ausgestattet werden. Dafür darf die Kurth-Immobilien auf den anderen zwei Dritteln ihres Areals, die ihr noch bleiben, für die kommerzielle Nutzung bauen.

Man kann auch sagen: Kurth hat die Soziokultur in Geiselhaft genommen, um seine Interessen als Investor durchzusetzen. Auf fast 150.000 Quadratmeter Baumasse hat man sich festgelegt. Um die unterzukriegen auf den zur Verfügung stehenden 50.000 Quadratmetern, soll mehrstöckig gebaut werden und an der Ecke des Geländes – wo auf der gegenüberliegenden Seite der Warschauer Straße gerade bereits der Amazon Tower hochgezogen wird –, soll ein weiteres gigantisches Hochhaus entstehen.

Dass die mit den Entwürfen für die Bebauung des Kurth-Areals beauftragten und miteinander konkurrierenden Architekturbüros einige Mühe dabei hatten, diese 150.000 Quadratmeter in ihren Plänen unterzubekommen, merkte man ihren Präsentationen im Astra an.

Für die Grünflächen, mit denen Florian Schmidt gerne wirbt, blieb da nicht viel Platz. Und es konnte noch so blumig vom Charme des Geländes, den es zu erhalten gelte, daher geredet werden: In Gedanken schweifte man dann doch immer wieder in Richtung Mercedes-Benz-Platz ab, an den man sich an diesem Abend erinnert fühlte.

Irgendwas mit „Freiräumen“

Dabei gaben sich die Büros, zwei aus Berlin, eines aus Köln und eines aus den Niederlanden, wirklich alle Mühe, ihre Projektplanungen zu verkaufen. Da wurde das RAW-Gelände als „urbane Insel in Berlin“ und „ökologisches und kulturelles Eldorado“ angepriesen und ein „Willkommensplatz“ versprochen. Geplante Gebäudekomplexe wurden ernsthaft „Berlin Forrest“ genannt und das Gründen einer „RAW Family“ angekündigt.

Und jeder, wirklich jeder, sprach von „Freiräumen“, die hier entstehen sollen, wo man eigentlich dachte, dass die hier eher verschwinden würden. Aber dass Freiräume für die Berliner wichtig sind, davon hat man natürlich sogar in den Niederlanden Wind bekommen. In der Diskussionsrunde nach der Veranstaltung wurde dann auch von jemandem aus dem Publikum gefragt, was denn genau gemeint sei mit „Freiräumen“. Eine Antwort blieb aus.

Der Jubel bleibt aus

Überhaupt waren die Reaktionen auf die Zukunftspläne für das RAW-Gelände wahrscheinlich nicht so, wie sich das Investor Lauritz Kurth und Florian Schmidt wohl erhofft hatten. Carsten Joost, scharfer Kritiker der Bebauungspläne insgesamt und Vertreter der Initiative RAW-Kulturensemble, sprach von einem „Gefälligkeitsgutachten“, das dazu geführt habe, Kurth als Kompensation für seine Zugeständnisse beim soziokulturellen L derartige Baumassen zu gewähren. Ein anderer nannte das Präsentierte „eine Schande für den Bezirk“.

Zwar soll noch in diesen Tagen entschieden werden, welches der vier Büros den Zuschlag bekommen soll, einen Bebauungsplan zu erstellen, doch Florian Schmidt versuchte zu beruhigen und sagte: „Es liegt noch viel Strecke vor uns.“

Derweil bastelt Stadtplaner Carsten Joost weiter an eigenen, alternativen Plänen für das RAW-Gelände. Weniger wuchtig sehen die aus und ohne Hochhaus. Er sagt der taz am Telefon: „Ich rechne schließlich damit, dass Kurth-Immobilien scheitern wird. Das, was geplant ist, kann nicht wahr sein, das glaubt ja keiner.“

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.