Ausstellung „Morgen in Brandenburg“: Morgenland Brandenburg

Eigentlich ist das Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte für die Vergangenheit zuständig. Nun zeigt es 30 Zukunftsprojekte.

Mann hängt in Hängematte, Besucher*innen schauen sich die Ausstellung an

Mitmachen erwünscht: Die Ausstellung „Morgen in Brandenburg“ lockt mit interaktiven Angeboten Foto: Thomas Bruns

POTSDAM taz | Andrea Wieloch gerät richtig ins Schwärmen, wenn sie von „Nowa Amerika“ spricht. „Es ist ein Land ohne Grenzen, in dem jeder Bürger, der dort ankommt, die gleichen Rechte hat.“ In „Nowa Amerika“, einem fiktionalen Raum diesseits und jenseits der Oder, den der Frankfurter Künstler Michael Kurzwelly und der Verein „Słubfurt“ als „Wirklichkeitskonstruktion“ erfunden haben, seien „alle Probleme, die es in unserer Welt gibt, schon gelöst“, sagt Wieloch.

Doch Nowa Amerika ist nicht nur, wie das Amerika zur Zeit seiner Entdeckung, ein Zukunftsversprechen. Es ist auch ein konkreter Ort, an dem dieses Versprechen umgesetzt werden soll. Am Brückenplatz in Frankfurt (Oder) haben Kurzwelly und Słubfurt eine ehemalige Schule zu einem interkulturellen Zentrum ausgebaut, in dem Selbstbestimmung und Basisdemokratie selbstverständlich sind. Es gibt eine somalische Fußballgruppe, ein Repair-Café und ein eigenes „Słubfurter Parlament“.

Dass fast zwanzig Personen „Schlüsselbesitzer“ sind und jederzeit Zugang zu den Räumen haben, ist ein Ausdruck gewachsenen Vertrauens. Ein realutopischer Ort also, der auch in der Ausstellung nicht fehlen darf, die Andrea Wieloch als „Werkstatt der Zukünfte“ kuratiert hat.

Zukunftsvisionen zwischen Stadt und Land

Eigentlich ist das Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte in Potsdam schon des Namens wegen für die Vergangenheit zuständig. Nun aber zeigt es in Wielochs Ausstellung „Morgen in Brandenburg“ 30 Zukunftsprojekte, die um die Themen „Geschichte(n)“, „Visionen“, „Stadt“ und „Ländlicher Raum“ kreisen. „Alle Projekte haben eine Frage mitgebracht, die sie beim Blick auf die Zukunft beschäftigt“, sagt Kuratorin Wieloch. „So sind Geschichten und Visionen zwischen Land und Stadt entstanden.“

Ausstellung Zu sehen ist „Morgen in Brandenburg“ bis zum 5. Juni im Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte in Potsdam

Begleitprogramm Begleitet wird die Ausstellung von Diskussionen und Vorträgen, etwa die auch online gestreamte Veranstaltung „You Don‘t Know Shit“ am Mittwoch, 9. Februar um 18.30 Uhr zu Auswirkungen des Toilettengangs. Alle Infos dazu auch auf

www.morgeninbrandenburg.de.

Zum Beispiel in Trebnitz im Landkreis Märkisch-Oderland. Schon seit vielen Jahren ist das Schloss Trebnitz mit seinem Campus ein „Leuchtturm“ im ländlichen Raum, wie es Wieloch nennt. Ein ganz besonderes Projekt auf dem Campus ist die „Akademie der Dorfhelden“. „Die Akademie schult und vernetzt ehrenamtliche Ortsvorsteher und Ortsvorsteherinnen in der Artikulation ihrer Interessen“, erklärt Wieloch. Darüber hinaus gibt es Angebote für politische, kulturelle und Erwachsenenbildung. Die Frage, die Trebnitz mitgebracht hat, lautet: „Wie können Veränderungen gestaltet werden, die zum gesellschaftlichen Zusammenhalt und wirklich gewollter Innovation beitragen?“

Wie aber entstehen solche Orte der Wissensproduktion und Vermittlung? Gerade in Zeiten einer wachsenden Stadtflucht und steigender Immobilienpreise auch jenseits des Speckgürtels ist das sicher eine der wichtigen Zukunftsfragen in Brandenburg. Noch viel zu oft erliegen Kommunen und Städte dabei dem Druck des Marktes, weil ein schneller Verkauf einer leerstehenden Immobilie an private Investoren bequemer ist als ein aufwändiges Konzeptverfahren, mit dem Nutzerinnen und Nutzer gesucht werden, die etwas Neues auf die Beine stellen wollen und dann auch noch zum Ort passen.

Mehr Teilhabe für nachhaltige Stadtentwicklung

Einer dieser Orte, an denen diese Suche als Prozess betrieben wird, ist die Marx’sche Villa in Herzberg. Seit der Wende hat die Stadt im Kreis Elbe-Elster ein Viertel ihrer Bewohnerinnen und Bewohner verloren und ist auf 9.100 Einwohner geschrumpft. Bis 2040, so sagen es die Prognosen, wird die Zahl noch einmal um ein Viertel zurückgehen. Vor diesem Hintergrund intensiviert die Stadtverwaltung den Dialog mit der Zivilgesellschaft.

Im Rahmen der Landesinitiative „Meine Stadt der Zukunft“ entwickelt Herzberg gemeinsam mit dem „Netzwerk Zukunftsorte“ in der leerstehenden Villa Marx einen „Ort der Partizipation und Begegnung zwischen Bür­ge­r:in­nen und Verwaltung“. Schwerpunkt dabei ist das Thema Mobilität. Die Frage von Herzberg: „Wie kann Teilhabe zu einer nachhaltigen Stadtentwicklung beitragen?“

So geschieht in Herzberg im Kleinen, was sich das Netzwerk Zukunftsorte im Großen für das ganze Land vorgenommen hat. 15 dieser Zukunftsorte gibt es mittlerweile, darunter das Coconat in Belzig (Coworking), der Hof Prädikow (Leben und Arbeiten auf dem Land) oder das E-Werk Luckenwalde (Kunst).

Eine Frage der Förderung

Das Netzwerk unterstützt mit seinem Know-how und seiner Erfahrung sowohl diejenigen, die aufs Land ziehen wollen, als auch die Kommunen vor Ort, denen es darum geht, dass Alt und Neu zusammenpasst. Inzwischen ist daraus auch ein Leitfaden in Buchform entstanden. Sein Titel: „Über Morgen. Vom Leerstand zum Zukunftsort“. Denn darin unterscheiden sich Land und Stadt nicht so sehr: Am Ende geht es immer um Immobilien, um Förderung und um die Bereitschaft der öffentlichen Hand, sich auf Experimente einzulassen.

Es ist sicher kein Zufall, dass die Zukunftsorte in Brandenburg dabei auch mit dem Ort verknüpft sind, an dem sie ausgestellt werden. Auch das Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte im Potsdamer Kutschstall musste sich den Herausforderungen der Zukunft stellen. Im Rahmen eines Change-Prozesses gelang es Geschäftsführer Kurt Winkler, Mittel für den Umbau des Hauses und eine inhaltliche Neukonzeption zu akquirieren. Wenn Ende April dann die neue Dauerausstellung zur Landesgeschichte öffnet, gibt es zwei Perspektiven in den Zeitstrahl. Den in den Rückspiegel im Erdgeschoss und den nach vorne im Obergeschoss.

Winkler glaubt, dass Brandenburg durchaus ein Land mit Zukunft ist. „In den letzten Jahren hat sich ein realistischer Optimismus entwickelt“, hat er beobachtet. „Wir glauben, dass das etwas ist, was Brandenburg ausmacht.“

Der „heiße Scheiß“ aus dem Morgenland Brandenburg

Dazu gehört für Winkler auch ein Imagewandel. „Das was vor vielen Jahren noch negativ mit Brandenburg in Verbindung gebracht wurde, wird nun geprägt von denen, die sich einbringen.“ Diesen Optimismus wolle man mit der Zukunftsausstellung nun auch zeigen.

In der Ausstellung geht es aber nicht nur um Zukunftsorte, sondern auch um Innovationen. Unter dem Titel „Finizio“ hat ein Team um einen Absolventen der Hochschule für nachhaltige Entwicklung in Eberswalde nach eigenen Angaben „innovative Sanitärsysteme“ entwickelt, „mit denen eine wasserlose und hygienische Erfassung sowie effiziente Aufbereitung menschlicher Ausscheidungen ermöglicht wird“.

Auch bei „Finizio“ ist Kuratorin Wieloch ins Schwärmen geraten – und hat etwas nach Worten gerungen, um das Projekt zu beschreiben. Dabei hätte sie ruhig auch sagen können: Ein „Scheißprojekt“ ist das, und der letzte „heiße Scheiß“ aus dem Morgenland Brandenburg.

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