Jasmin Ramadan
Einfach gesagt
: V und Verstand

„Mein Heldenbild hat sich total verändert. Vom Drosten hab ich auch schon geträumt!“

Findste nicht auch, seit Corona hat sich das Männerbild total verändert?!“

Sagt eine Frau im Fitnessstudio zur anderen und wischt sich über die schweißnasse Stirn.

„Das Männerbild? Was soll das genau sein?“, fragt die andere und stemmt schnaufend Gewichte.

„Na, das Männerbild so im Allgemeinen eben.“

„Ein Männerbild, Isabella, das sagt mir gar nix!“

„Ach, komm, Laura, das ist der Mann in deiner Vorstellung, wie der Mann zu sein hat!“

„Solche Definitionen sind doch immer nur hart Oberfläche!“

„Was anderes haste aber erst mal nicht im Dating-Dschungel.“

„Und was hat sich da bei dir seit Corona dran verändert?“

„Vorher zählte für mich nur Größe in jeder Hinsicht, also körperlich: Ein Mann ohne klar sichtbare V-Form konnte bei mir pauschal nicht landen!“

„Wie jetzt, V?“

„Na, der Oberkörper muss nach unten hin spitz zulaufen und die Rückenoberpartie breit zu beiden Seiten hin massiv ausufern, dann noch die 1,85-m-Grenze überschritten, der Hintern nicht größer als meiner! Dann fühlte ich mich theoretisch beschützt und auch erotisch war das unterm Strich ein Muss!“

„Wie jetzt, sonst hat sich bei dir physisch nichts getan?“

„Auch nicht emotional, ich konnte mich einfach nicht in was anderes verknallen!“

„Du bist ja ’ne ganz schön miese Sexistin!“

„Jetzt nicht mehr, jetzt ist alles anders wegen Corona!“

„Aber ich dachte, du hast kein Long-Covid!“

„Nicht wegen meiner Infektion, wegen dem großen Ganzen!“

„Jetzt werd mal konkret!“

„Na, ich hatte neulich einen Traum vom Lauterbach, und ich sag’s mal so, jugendfrei war das nicht.“

„Das will ich aber nicht hören, du und der Lauterbach, die Bilder will ich nicht in meinem Kopf.“

„Aber es ist genial, mein Heldenbild hat sich total verändert, vom Drosten hab ich auch schon geträumt, aber das war ein Hochzeitstraum, mit allem Drum und Dran, nur ohne Sex.“

„Den find ich auch nicht schlecht, der hat so schönes, volles Haar, sieht tendenziell aus wie Jeff Goldblum!“

„Und er ist ein echter Weltenretter, nicht so wie die Schauspieler, die sind jetzt abgemeldet, weil es nun wahre Helden gibt, mit realem Verstand!“

„Aber du wolltest doch nie heiraten und warum muss ein Mann überhaupt ein Held sein?“

„Du hast recht, eigentlich brauch’ich keinen, der mich rettet oder beschützt. Außer vor Corona vielleicht.“

„Aber den musst du ja nicht gleich heiraten!“

„Das war doch nur ein Traum, will ich ja noch immer nicht, mich hat bisher keiner überzeugt, keiner war mir männlich genug.“

„Ich frag mich immer was ‚männlich‘ überhaupt bedeutet.“

„Wie? Dazu fällt dir gar nix ein?“

„Na ja, es sollte zumindest ein Penis dranhängen, wobei, das kann man ja auf den ersten Blick auch nicht sehen!“

„Und man kann das auch nicht alles an den Genitalien festmachen.“

„Ist dir schon mal aufgefallen, dass in dem Wort Genitalien ‚Italien‘ steckt!?“

„Ich glaub’, wir brauchen dringend Urlaub.“

„Ich glaub’auch, richtig lange, ohne Sinn, Maske und Verstand.“

„Ja, sonst kommen wir noch auf dumme Gedanken.“

Jasmin Ramadan ist Schriftstellerin in Hamburg. Ihr letzter Roman „Hotel Jasmin“ ist im Tropen/Klett-Cotta Verlag erschienen. 2020 war sie für den Bachmann-Preis nominiert. In der taz verdichtet sie im Zwei-Wochen-Takt tatsächlich Erlebtes literarisch.