Proteste der „Letzten Generation“: Zeit für Notwehr?

Die Gruppe „Aufstand der letzten Generation“ sorgt mit Straßenblockaden für Aufregung. Die Diskussion über deren Legitimität ist in vollem Gange.

Ein Polizist versucht die Hand einer Aktivistin vom Boden zu lösen. Sie hatte sich an die Strasse geklebt

„Letzte Generation“-Protest am Montag in Berlin Foto: Christian Mang/reuters

Meistens ist es ziemlich einfach: Sie laufen bei Rot auf die Straße und gehen nicht mehr runter. Keine große Sache eigentlich. Aber kein Auto kommt mehr durch. Was ist das für eine Gruppe, die sich „Aufstand der letzten Generation“ nennt und über die sich gerade alle aufregen?

Gegen den Berufsverkehr, den sie blockieren, haben die Aufständischen erst einmal nicht viel. Sie wollen ein Gesetz gegen Lebensmittelverschwendung. Und weiter noch eine Politik gegen den Klimakollaps. Darauf bezieht sich auch der Name der Gruppe. Sie sieht sich als Teil der letzten Generation, die noch etwas bewirken kann, bevor die Menschheit durch die Klima­krise völlig ihrem Untergang geweiht ist.

Aus dieser Dringlichkeit heraus haben die Ak­ti­vis­t:in­nen ihre Aktionsform gewählt. Sie wollen Druck machen, sodass es wehtut. Eine Massenbewegung ist der „Aufstand“ allerdings nicht gerade. Pro Aktion sind es vielleicht ein, zwei, drei Dutzend. Die kommen aber eben immer wieder. Die Polizei steckt Ak­ti­vis­t:in­nen in Gewahrsam, entlässt sie, sie kommen wieder. Angefangen haben sie in Berlin, weitere Aktionen gibt es in Hamburg, Frankfurt am Main, Stuttgart und München.

Und plötzlich liefert eine Gruppe mit zweistelliger Mitgliederzahl die Gesichter der Klimabewegung in Deutschland. Es ist nicht die Zeit für große Demos, auch aus Infektionsschutzgründen. Fridays for Future haben zwar für Ende März den nächsten globalen Klimastreik angemeldet. Ob sich aber wie 2019 irgendwann wieder jeden Freitag die Marktplätze mit Schulstreikenden füllen, die eine lebenswerte Zukunft für sich einfordern, steht in den Sternen.

Die Straßenblockaden der „Letzten Generation“ sorgen für Empörung, auch wenn die Polizei sie jeweils recht schnell auflöst. Es kursieren Videos, in denen Au­to­fah­re­r:in­nen die Ak­ti­vis­t:in­nen beschimpfen, in Selbstjustiz eigenhändig von der Straße schleifen. In einem Fall schlägt ein hysterisch brüllender Mann einer Aktivistin gar ins Gesicht. Auch in der Politik stoßen die Aktionen nicht unbedingt auf Gegenliebe. „Unangemeldete Demos auf Autobahnen sind und bleiben rechtswidrig“, twitterte Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP).

Und nachdem Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) diese Woche zivilen Ungehorsam in einer Diskussionsrunde zunächst „absolut legitim“ genannt hatte, sprang sie Buschmann auf Twitter bei: „Alle, die darauf warten, dass es endlich einen saftigen Koalitionskrach geben möge, enttäusche ich jetzt mal“, schrieb sie. „Ich stimme mit meinem Kollegen Marco Buschmann überein.“ Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (auch Grüne), der von Amts wegen für Fragen der Ernährung zuständig ist, sagte in der taz bereits, „dass Straßenblockaden unserem gemeinsamen Ziel schaden“.

Noch ein Gesicht der Klimabewegung in der Öffentlichkeit ist derzeit Tadzio Müller. Er gehört keiner bestimmten Organisation mehr an, war aber Mitgründer der Gruppe „Ende Gelände“ und Klimagerechtigkeitsreferent für die Rosa-Luxemburg-Stiftung. Selbst Blockaden wie die der „Letzten Generation“ gehen ihm nicht mehr weit genug.

Müller empfiehlt der Bewegung die Erweiterung ihrer Aktionsformen: Fossile Infrastruktur zerstören, ohne Menschen zu gefährden. „Friedliche Sabotage“ hat er das schon in zahlreichen Interviews genannt, in der taz, im Spiegel, zuletzt auf dem „Heißen Stuhl“ bei Stern TV. „Alles andere hat nichts oder nicht genug gebracht“, argumentiert er. „Und wenn man merkt, eine Strategie funktioniert nicht, dann ist es doch Quatsch, immer wieder dasselbe zu machen.“

Was Müller vorschlägt, ist im Kleinen schon Realität. Anonyme ließen in mehreren Städten Luft aus SUV-Reifen und hinterließen klimapolitische Botschaften an den Autos sowie auf der Online-Plattform Indymedia. Dort wurde kurz zuvor ein Bekennerschreiben publiziert, in dem anonyme Personen behaupten, für das Klima auf dem Gelände des Lausitzer Kohlekonzerns Bagger und andere Gerätschaften beschädigt zu haben. „Polizei und LKA ermitteln“, bestätigte ein Unternehmenssprecher der taz. Ist das nur die Radikalisierung einer Nische oder treiben diese Ak­ti­vis­t:in­nen als Pioniere die Klimabewegung vor sich her?

Gewalt gegen Gegenstände

Wenn man Tadzio Müller fragt, ob friedliche Sabotage nicht ein Widerspruch in sich sei, redet er sich schnell in Rage. „Natürlich ist das friedlich, wie soll man denn Gegenständen Gewalt antun? Die haben keine Seele und kein Schmerzempfinden“, meint er. „Da von Gewalt zu sprechen, ist absurd.“

Das sieht die Philosophin Eva von Redecker anders. Die Wissenschaftlerin, die sich unter anderem mit Fragen des Eigentums und des sozialen Wandels beschäftigt, meint: „Ich würde sogar sagen, dass unsere gesamte Lebensweise auf Gewalt gegenüber Sachen begründet ist.“ Sie führt die Ausbeutung der Natur als Beispiel an, die weitaus größere Gewalt natürlich, die in vielen Fällen auch noch legal ist.

Vor zwei Jahren ist von Redeckers Buch „Revolution für das Leben“ erschienen, in dem sie sich auch mit der Klimabewegung auseinandersetzt. „Ich würde die aktuelle Diskussion leider eher als Zeichen der Schwäche der Bewegung werten“, sagt sie. „Die Kapazität zur Mobilisierung und Massenbegeisterung hat sich reduziert, zum einen durch die Pandemie, aber auch durch ausbleibende politische Erfolge, Repressionsmaßnahmen und Erschöpfung im neoliberalen Alltag.“

Es stelle sich eine Art Wille der Verzweiflung ein, der zu der Überzeugung führe, die Bewegung müsse drastischer, militanter und effektiver werden, meint von Redecker. Grundsätzlich überzeuge es sie zwar nicht, dass man zur Bekämpfung von größerer Gewalt auch selbst gewalttätig sein dürfe. Aber: „Wenn man denkt, dass Militanz jemals in der Geschichte ethisch gerechtfertigt war, dann sind es auch diese Proteste.“

Von Notwehr spricht Tadzio Müller. Ob diese Argumentation vor Gericht Bestand hat? Die Lage ist kompliziert: Juristisch gesehen setzt Notwehr eigentlich voraus, dass man einem Verbrechen ausgesetzt ist. Nun kann man die Verursachung der Klimakrise für ein solches halten, die nötigen Genehmigungen vorausgesetzt ist es derzeit aber legal, dass Autos fahren und Kohlebagger baggern. Erkundigt man sich bei Jurist:innen, die mit derartigen Fällen zu tun haben, erfährt man von vielen juristischen Diskussionen um diese Frage.

Selbst wenn man aber davon ausgeht, dass die klimaschädlichen Aktivitäten nun mal einfach erlaubt sind, kann man noch mit einem Notstand argumentieren. Dabei muss es nicht um die Wehr gegen ein Verbrechen gehen. Sieht man einen Ertrinkenden im See, darf man ein fremdes Boot klauen, um die Person zu retten. Dann stellt sich eher die Frage, ob die Straftat zum Erreichen des Ziels notwendig war. Dass Aktivismus im Allgemeinen wichtig für den Klimaschutz ist, erkennt sogar der renommierte Weltklimarat in seinen wissenschaftlichen Berichten an. Und liegt es nicht zum Beispiel bei Fridays for Future auf der Hand, dass die Bewegung eingangs nur durch den Rechtsbruch, das Schulebestreiken, so viel Aufmerksamkeit bekommen hat?

Das leitet zur Frage, ob man aus klimatologischer Sicht von einem Notstand sprechen kann. Der Berliner Professor und Klimaforscher Wolfgang Lucht bezweifelt zwar, dass die Autoblockaden das richtige Mittel für das Anliegen sind, hat für die Frustration aber Verständnis. „Die Lücke zwischen Rhetorik und politischem Handeln ist in der Klimapolitik noch immer unbefriedigend groß“, sagt er.

Das Ziel, die Erd­erhitzung bis 2100 noch bei 1,5 Grad gegenüber vorindustriellem Niveau zu begrenzen, sei global nur noch unter recht optimistischen Annahmen erreichbar. Kaum mehr in Reichweite sei, dass Deutschland seinen ausreichenden Beitrag dafür leistet, sein von Wis­sen­schaft­le­r:in­nen wie Lucht berechnetes faires CO2-Budget einzuhalten. Die Bundesrepublik ist auf einen ökologischen Schuldenschnitt angewiesen, also darauf, dass andere Länder mehr als ihren fairen Anteil tun beim Sparen der Emissionen. „Dafür aber gibt es nirgends ausreichende Möglichkeiten“, meint Lucht. „Dann muss die nächste Brandmauer, bei 1,6 Grad Erwärmung, angesteuert werden und für die Schäden müssten die Verursacher dann aufkommen.“

Insgesamt steuert die Welt gerade auf 2,7 Grad Erderhitzung zu, weit mehr als im Parisabkommen vereinbart und brandgefährlich. „Was wir heute schon sehen, ist erst der Anfang, es wird sich schnell verschärfen“, warnt Lucht.

Es ist also nicht nur die Klimabewegung, die sich radikalisiert. Es ist auch die Klimakrise. Fehlt noch der klimafreundliche Umbau der Weltwirtschaft. Der muss wirklich radikal sein.

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