Kritik an Polizeieinsatz in Göttingen: „Schmerzgriffe, Schläge, Tritte“

Bei einem Corona-„Spaziergang“ räumte die Polizei Ge­gen­de­mons­tran­t:in­nen aus dem Weg. Die Ak­ti­vis­t:in­nen kritisieren das brutale Vorgehen.

Ein Polizist zieht das Bein eines am Boden liegenden Aktivisten nach oben.

Nicht gerade zimperlich: Polizeieinsatz gegen Aktivisten am Montag in Göttingen Foto: Stefan Rampfel

GÖTTINGEN taz | Bei Protesten gegen einen Spaziergang von Co­ro­na­skep­ti­ke­r:in­nen und Impf­geg­ne­r:in­nen am Montagabend in Göttingen ist es zu Auseinandersetzungen zwischen De­mons­tran­t:in­nen und der Polizei gekommen. Das örtliche Bündnis gegen Verschwörungsmythen und Antisemitismus beklagt massive Gewalt und verbale Entgleisungen von Beamt:innen.

Südniedersachsen gilt als ein Hotspot der Coronaleugner:innen-Bewegung. Vor allem montags gibt es in zahlreichen Orten der Region sogenannte „Spaziergänge“ von Quer­den­ke­r:in­nen und Neonazis.

Wie in den vergangenen Wochen trafen sich auch am Montag in Göttingen annähernd 150 Menschen aus der Szene zu so einem „Spaziergang“. Statt wie in den vergangenen Wochen durch die Innenstadt, führte der Marsch dieses Mal durch das bürgerliche Ostviertel. Auch regionale Rechtsextremismus-Größen wie Tobias Haupt und der mehrfach vorbestrafte Jens Wilke vom – mittlerweile aufgelösten – „Freundeskreis Thüringen/Niedersachsen“ mischten sich nach übereinstimmenden Au­gen­zeu­g:­in­nen­be­rich­ten unter die Teilnehmenden.

Das Bündnis gegen Verschwörungsmythen und Antisemitismus, das bereits in den vergangenen Wochen zu Protesten gegen die Corona­leugner:innen aufgerufen hatte, mobilisierte auch am Montag gut 150 Gegendemonstrant:innen, unter ihnen die „Omas gegen Rechts“ und Mitglieder von „Die Partei“. Mehrfach setzten sich Ak­ti­vis­t:in­nen auf die Straße und blockierten Kreuzungen, um den Aufzug der „Spaziergänger:innen“ zu stoppen.

Viviane Depping, Grüne Jugend Göttingen

„Es muss ein Gegenprotest möglich sein, der ohne Angst vor gewaltsamen Übergriffen der Polizei ablaufen kann“

„Als die Personen der ihnen erteilten beschränkenden Verfügung, die Straße zu räumen, nicht freiwillig nachkamen, mussten die Einsatzkräfte in letzter Konsequenz unmittelbaren Zwang in Form von Schieben/Abdrängen anwenden und die Gegenprotestler bis auf den Gehweg zurückzudrängen“, schildert die Göttinger Polizeisprecherin Jasmin Kaatz das dann folgende Geschehen. Auch um später weitere Blockaden aufzulösen, hätten die Be­am­t:in­nen „die blockierenden Personen von der Straße drängen oder schieben“ müssen.

In der Darstellung des Bündnisses liest sich das völlig anders. Demnach hat die Polizei die An­ti­fa­schis­t:in­nen „zwei Stunden lang durch das Ostviertel“ gejagt. Trotzdem seien diese an mehreren Stellen erfolgreich auf die Route gelangt, um die Quer­den­ke­r:in­nen friedlich zu blockieren. Dabei seien die Blockaden „jeweils auf brutale Art geräumt“ worden. Die Be­am­t:in­nen hätten Schmerzgriffe, Schläge und Tritte eingesetzt. Auch sei mindestens eine Person in Handschellen abgeführt worden.

Die Polizei hat diese Festnahme bestätigt. Gegen den Mann sei ein Ermittlungsverfahren wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte eingeleitet worden.

Dem Bündnis zufolge waren die Ge­gen­de­mons­tran­t:in­nen am Montag nicht nur zahlreichen Körperverletzungen, sondern auch verbalen Angriffen – „Verpiss’ dich, du Sau“ – und Gewaltandrohungen – „Ich schlag dir gleich in die Fresse“ – durch Po­li­zis­t:in­nen ausgesetzt. Damit habe die Göttinger Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit (BFE) wieder mal gezeigt, „dass sie jede Gelegenheit nutzt, antifaschistischen Protest einzuschüchtern und brutal zu zerschlagen“. Die BFE ist wegen ihres oftmals ruppigen Vorgehens gegen linke De­mons­tran­t:in­nen in der Stadt seit Jahren umstritten.

Auch die Göttinger Grünen zeigen sich „irritiert“ vom gewaltsamen Vorgehen der Polizei. „Bei allem Verständnis für den Druck, dem die Beamten ausgesetzt sind, verstehen wir nicht, warum die BFE mit martialischem Kriegsgebrüll auf den notwendigen und gerechtfertigten antifaschistischen Gegenprotest zustürmen muss“, sagt Hannah Rudolph vom Stadtvorstand der Göttinger Grünen. „Menschen wurden gegen parkende Autos geschubst, mit Schmerzgriffen malträtiert und sogar vom Fahrrad gestoßen.“ Es brauche dringend eine transparente Aufarbeitung dieses Einsatzes, so Rudolph.

Anzeige wegen Körperverletzung im Amt

Kritik kommt auch von der Grünen Jugend Göttingen, die das Vorgehen der Polizei als „äußerst gewaltsam und unverhältnismäßig“ verurteilt. Es brauche eine klare Positionierung gegen rechte Gruppierungen und Menschen, die die Demokratie angriffen. „Dafür muss ein Gegenprotest möglich sein, der ohne Angst vor gewaltsamen Übergriffen der Polizei ablaufen kann“, sagt deren Sprecherin Viviane Depping.

„Wir haben in den letzten Wochen beobachten können, dass die Polizei vor allem darauf fokussiert ist, die antifaschistischen Gegenproteste zu kriminalisieren“, beklagt Mira Dahl vom Bündnis gegen Verschwörungsmythen und Antisemitismus. Bisher seien die Gegenproteste in Göttingen sehr erfolgreich gewesen. Die Ver­schwö­rungs­ideo­lo­g:in­nen hätten in der Stadt nicht den Raum einnehmen können, den sie sich gewünscht hätten.

Vom Fahrrad gezerrt

Auch den Gegenprotest vom Montag halte das Bündnis ungeachtet der polizeilichen Übergriffe nicht für erfolglos: „Wir sehen, dass sich jede Woche Menschen zusammenschließen, um dem gefährlichen Schulterschluss aus Rechtsextremen, Eso­te­ri­ke­r:in­nen und Impf­geg­ne­r:in­nen solidarisch entgegenzutreten.“

Inzwischen hat eine Frau, die am Montag mit dem Fahrrad in Göttingen unterwegs war, mehrere der am Einsatz beteiligten Be­am­t:in­nen wegen des Verdachts der Körperverletzung im Amt angezeigt. Als ihr der Demozug der Co­ro­nal­eug­ne­r:in­nen entgegenkam, seien die Po­li­zis­t:in­nen plötzlich auf sie zugelaufen und hätten ihr das Rad entrissen. Daraufhin sei sie gestürzt und habe sich leicht verletzt. Nach Angaben von Sprecherin Kaatz hat die Polizeiinspektion Göttingen „sofort nach Eingang der Anzeige“ weitere Ermittlungen gegen die angezeigten Be­am­t:in­nen eingeleitet.

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