Die Erotik des Blicks

Parallel zur Berlinale beginnt am Mittwoch die Woche der Kritik im Kino Hackesche Höfe mit einem Programm aus Film und Diskurs. Die Auftaktkonferenz ist zu Gast in der Akademie der Künste

Der Animationsfilm „Inu-Oh“ von Masaaki Yuasa erzählt in atemberaubenden Bildern von den Anfängen des traditionellen No-Theaters Foto: Rapid Eye Movies

Von Michael Meyns

Das Kino steckt in der Krise, zumindest eine bestimmte Art des Kinos. In Blockbuster strömen die Massen zwar wieder trotz der x-ten Coronawelle, doch der anspruchsvolle Film hat es schwer. Das hat er zwar immer, die meisten Menschen verstehen Film eher als Möglichkeit, zwei Stunden dem Alltag zu entfliehen, als sich zwei Stunden mit schweren Themen und künstlerisch anspruchsvollen Bildern auseinanderzusetzen, doch Corona macht alles noch viel schlimmer. Oder lässt es zumindest schlimmer wirken, denn angesichts sich stetig diversifizierender Vertriebskanäle war es noch nie so leicht, so viele, so unterschiedliche Filme zu sehen.

Doch reicht es, Filme nur zu sehen? Oder wird ein Film erst durch die sich anschließende Diskussion lebendig? Was macht Cinephilie aus? Fragen, die sich auch bei der Woche der Kritik stellen, die der Verband der deutschen Filmkritik zum achten Mal parallel zur Berlinale im Kino Hackesche Höfe ausrichtet. Im Gegensatz zu vergleichbaren Initiativen der Kritikerverbände in Frankreich oder Italien geht es bei der hiesigen Woche der Kritik jedoch nicht in erster Linie um die Filme selbst. Zwar werden jeden Abend vom 10. bis zum 17. Februar jeweils meist ein längerer und ein kürzerer Film gezeigt, doch richtig los geht es erst im Anschluss, wenn die Regisseure und meist diverse andere Gäste zu unterschiedlichen Fragestellungen diskutieren.

Diskutiert wird auch zum Auftakt der Woche der Kritik am 9. Februar in der Akademie der Künste, bei einer Konferenz unter dem Titel „Stillstand verboten? – Welche Fortschritte das Kino braucht“. Internationale Gäste wie der israelische Regisseur Nadav Lapid, der schottische Künstler Douglas Gordan oder der Filmkritiker Georg Seeßlen diskutieren über den Zustand des zeitgenössischen Kinos und stellen die Frage, inwiefern die Filmpolitik, also auch die öffentliche Filmförderung, Einfluss auf die entstehenden Filme nehmen kann oder sogar soll.

Am Donnerstagabend geht es dann los mit den langen Film-Diskursabenden, zum Auftakt unter dem Titel „Footage Fetish“. Das hübsche Wortspiel deutet es an: Es geht um die Fetischisierung von Füßen, inklusive Schuhen und Socken und von Footage, also Filmmaterial. Zu sehen sind der mittellange Film „Venus in Nykes“ von André Antônio und „Capitu and the Chapter“ von Julio Bressane, zwei Regisseure aus Brasilien, der eine jung, der andere ein Altmeister. Beide werden – so Corona es zulässt – auch zum anschließenden Gespräch anwesend sein und Fragen von Liebe und Wahn, der Erotik des Blicks und der Liebe zu Bildern diskutieren.

Relativ handfest ist dieser Abend noch, anspruchsvoller wird es zum Beispiel am 12. Februar beim Thema „Losing Transmission“. Zwei Filme eröffnen auch diesen Abend, zunächst der mexikanische Kurzfilm „Notes for a Déjà Vu“ in dem das Colectivo Los Ingrávidos Bilder vom Massaker von Tlatelolco zeigt, bei dem 1968 das mexikanische Militär willkürlich in eine Menge demonstrierender Studenten schoss. Unterlegt ist das Ganze von Reflexionen des unlängst verstorbenen litauisch-amerikanischen Essayfilmers Jonas Mekas. Im Anschluss collagieren die Kanadier Renaud Després-Larose und Ana Tapia Rousiouk einen 135-minütigen langen Trip, dessen Titel „The Dream and the Radio“ andeutet, worum es geht: um Revolution und das Radio, um Traum und Wirklichkeit, um Bilder und Töne.

Leicht macht es die Woche der Kritik dem beiläufigen Zuschauer nicht

Wer danach noch Kraft hat, mag der Diskussion von Davani Varillas, Ana Tapia Rousiouk, Renaud Després-Larose, Jean-Gabriel Périot und Nina Menkes zuhören, die sich der Frage widmen, welche Möglichkeiten eine zeitgenössische revolutionäre Bewegung hat. Und auch was vermeintlich überholte Medien wie das Radio oder analoge Kameras mit gesellschaftlichen Aufständen zu tun haben.

Man merkt: Leicht macht es die Woche der Kritik dem beiläufigen Zuschauer nicht, wer nicht tief in den relevanten Diskursen drinsteckt, bleibt meist außen vor, das bloße filmische Vergnügen, die Lust am Bild steht hier dezidiert nicht im Zentrum. Einer der wenigen Filme des spröden, oft hermetischen Programms, der auch für sich, als bloßer Film, ohne Einbettung in ein thematisches Umfeld sehenswert ist, ist der japanische Animationsfilm „Inu-Oh“ von Masaaki Yuasa.

In atemberaubenden Bildern wird von den Anfängen des traditionellen No-Theaters erzählt, zumindest ihrer mystischen Variante: Ino Oh heißt das Kind, das blind und in einem scheinbar verhexten Körper geboren wird und sich in die Kunst flüchtet. Eine Rockoper inszeniert Yuasa, eine flirrende, fiktive Vision von den Anfängen einer großen Kunst. Diskutieren könnte man dazu viel – muss man aber nicht. Im besten Fall steht das Kino dann doch für sich selbst, als Bilderrausch, der ohne Diskurse funktioniert, auch wenn die Woche der Kritik bisweilen anderes suggeriert.

Woche der Kritik, 9.–17. Februar, Hackesche Höfe Kino, Akademie der Künste