Architektur-Ausstellung aus China: Anleitung zum Bewegen

Zhang Li ist Designer der Free-Style-Piste der Winterspiele in Peking. Die Ausstellung „Urban Ergonomics“ in Berlin zeigt seine Arbeiten.

Eine Industrielandschaft mit Kühltürmen, dazwischen die Free-Style-Rampe.

Big Air Shougang im Shougang Industriepark in Beijing von TeamMinus Foto: Bu Lei

Hier darf man sich bewegen. Gleich am Eingang der Ausstellung „Urban Ergonomics“ ist eine Projektionsleinwand mit der Aufforderung, ein Spiel zu starten, aufgebaut. Man wird im Spiel gebeten, verschiedene Körperhaltungen einzunehmen, die in vorgegebene geometrische Muster passen: den Rücken krümmen, Gliedmaßen abwinkeln, die senkrechte Stehposition verlassen. Wenig später erhellt sich der Sinn dieses Ausstellungs-Yogas. Eine Figur rast auf Ski einen Abhang hinunter, springt über Rampen – und nimmt dabei die Positionen ein, die man gerade vollführt hat. Je besser der eigene Körper in die Musterformen passt, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass die grafische Free-Style-Ski-Figur unfallfrei ans Ziel kommt.

Die virtuelle Rampe ähnelt jener, die der chinesische Architekt Zhang Li in ein früheres Industriegebiet im Norden Pekings gebaut hat und auf der bei den aktuellen Olympischen Winterspielen Wettkämpfe in den Free-Style-Ski-Wettbewerben und im Snowboard ausgetragen werden. „Big Air“, große Luft, ist der Name der Sportstätte, und hoch in die Luft kommt man tatsächlich.

„Die Bevölkerung, die wir befragt haben, wollte etwas Leichtes, Filigranes als Kontrast zu der Schwere des Stahlwerks“, erläutert der Architekt Zhang Li in einem Video in der Ausstellung seinen Ansatz. Er zeichnet sich einerseits durch Befragen potenzieller Nutzergruppen aus; wie diese Befragungen erfolgten, wird freilich nicht erklärt. Andererseits geht es ihm um Bewegung und wie sich aus Bewegung menschlicher Körper im Raum Architektur kreieren lässt.

Junges Buzzword der Architektur

Daher ist die Präsentation der Arbeiten dieses Architekten und Architekturforschers auch mit dem Titel „Urban Ergonomics“ versehen. Dieses noch verhältnismäßig junge Buzzword der Architektur legt auf die Interaktion zwischen menschlichen Körpern und gebauter Infrastruktur Wert. Das kann durchaus paternalistische Elemente enthalten. Die Weltgesundheitsorganisation WHO etwa befürwortet Urban-Ergonomics-Programme in der Hoffnung, dass gebaute Infrastruktur Menschen zu mehr Bewegung und damit größerer Fitness und geringerer Anfälligkeit für Erkrankungen führt.

Urban Ergonomics, Vom Stahlwerk über die Olympischen Spiele zum öffentlichen Raum, Aedes Architektur Forum, Christinenstr. 18–19, 10119 Berlin, Di–Fr 11–18.30 Uhr, So–Mo 13–17 Uhr, bis 10. März 2022

Wie viel magisches Denken darin liegt und wie stark die Effekte tatsächlich sind, müssen Statistiker und Prognostiker mit geeigneten Daten, Werkzeugen und Modellierungen herausfinden. Eine Sportanlage, die über die Spiele hinaus auch der Normalbevölkerung zugänglich sein soll, passt zumindest in dieses Muster.

Auch andere Projekte des Büros TeamMinus von Zhang Li, das eng mit der Universität Tsinghua verbunden ist, an der Zhang Li auch eine Professur innehat, setzen stark auf den Faktor Bewegung. Beim Kulturzentrum Gujiaying Village im Pekinger Vorort Yanqing ist das Dach aufgebogen. Besucher können darauf herumlaufen. Die Rampenform führt zu unterschiedlichen Positionierungen in Horizontale und Vertikale und damit zu verschiedenen Blickachsen.

Das Rampenprinzip wendet TeamMinus auch im Aranya Ideas Camp and Community Center an, einer privat betriebenen Bildungseinrichtung. Dort wird man über die großflächigen Stege mitten in die Landschaft hineingetragen.

Professor und Publizist

Zhang Li ist einer der ersten Architekten, die sich Anfang der 2000er Jahre in China selbstständig machten. Für den Architekturdiskurs in China spielt er als Lehrender an der Universität Tsinghua und als langjähriger Chefredakteur des Monatsmagazins World Architecture eine bedeutende Rolle.

Er selbst charakterisierte die Architekturlandschaft in China von zwei Strömungen gekennzeichnet. „Es gibt die unabhängigen, oft im Ausland ausgebildeten Architekten, die privat finanzierte Büros leiten. Und es gibt den großen Strom von Tausenden Architekten, die in den staatlichen Institutionen sitzen und das Bild der chinesischen Städte prägen“, sagte Zhang Li in einem Interview mit dem Magazin ArchDaily. Ihnen allen billigt er immer höhere Qualität zu.

In Chinas Architekturszene tut sich also etwas. Sie ist weniger monolithisch, als man vom Ausland aus denkt. Ikonische Bauten wie die Abfahrtsloipe der Free Styler und Snowboarder passen allerdings auch prächtig in die Propaganda-Offensive der Kommunistischen Partei. Unter diesem Gesichtspunkt bekommen die Körperübungen, zu denen man eingangs der Ausstellung animiert wird, einen ganz anderen Sinn. Man macht selbst brav nach, was gefordert wird. Weil das virtuelle Spiel daran erinnert, kommt ihm sogar subversives Potenzial zu.

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