Benzinpreis erreicht Rekordhöhe: Schluss mit dem Gejammer

Der Aufschrei-Reflex wegen teurem Sprit ist eine chronische Dummheit der Gesellschaft. Stur ignoriert sie die Fakten, die klar auf der Hand liegen.

Eine Person ändert den Bezinpreis an einer Tankstelle.

Schon immer ein Aufreger: Bezinpreis an einer Tankstelle in Düsseldorf 2005 Foto: imago/Olaf Döring

Es ist wieder soweit: Der Super-GAU an der Zapfsäule ist eingetreten. Superbenzin E 10 kostete am Mittwoch im Tagesdurchschnitt exakt 1,712 Euro und war damit um volle 1,3 Cent teurer als beim vorherigen deutschen Rekord im Jahr 2012. „So teuer war Benzin noch nie“, sticheln die Nachrichtenportale, und der Puls der Autofahrer springt schon vor der nächsten roten Ampel in den Panikmodus. Die Vokabeln der Krise heißen Preisschock, Tankfrust, Benzinwut – sie breiten sich schneller aus als Omikron BA.2. Zerlumpte, ausgemergelte Autofahrer betteln zu Tausenden an den Tankstellen. Der ADAC rät derweil zur Nachtschicht: nie vor 19 Uhr tanken! Und Bild geht unter die Dichter: „Wenn der Spritpreis in den Himmel springt, es froh in Staates Kasse klingt!“

Aber im Ernst: Das Déjà-vu der Benzinpreis-Empörung macht einen ratlos. Der Aufschrei-Reflex wegen teurem Sprit gehört zu den chronischen Dummheiten einer Gesellschaft, die immer noch „Benzin im Blut“ zu haben scheint und die stur die Fakten ignoriert. Fest steht: Die Tarife für öffentliche Nahverkehre sind stärker gestiegen als die Benzinpreise. Benzin wird auch nicht „immer teurer“, wie behauptet. Siehe oben, der vorherige Preisrekord liegt zehn Jahre zurück, der Preis war lange Zeit ziemlich stabil. Und jeder weiß es: Fossil befeuerte Mobilität ruiniert das Klima. Sie muss teurer werden, damit die Transformation zu anderen Verkehrsformen gelingen kann und sie bis zur Jahrhundertmitte ganz verschwindet.

Die Preise für Benzin und Diesel sind auch jetzt noch weit davon entfernt, die ökologische Wahrheit zu sagen: Das Auto ist ein unverändert hochsubventioniertes Vehikel. Soeben hat der Europäische Gerichtshof moniert, dass fossile Energien in fünfzehn Ländern der EU noch immer stärker subventioniert werden als die Erneuerbaren Energien, eine Trendumkehr sei nicht erkennbar.

Das Steuerprivileg für Diesel, absurde Entfernungspauschalen und staatliche Zuschüsse für Plug-in-Hybride, die fast nur mit Sprit fahren, sind feste Bestandteile des deutschen Subventionsmonopolys. Auch die Kosten, die durch den Ausstoß von Schadstoffen, Klimagasen oder Lärm anfallen, muss die Allgemeinheit bezahlen. Von der Wartung und dem Bau von Brücken, Straßen, Parkplätzen, von Straßenreinigung et cetera wollen wir gar nicht erst reden. Auch nicht von der physischen Bedrohung oder der Zerstörung unserer Lebensräume.

Die Autofahrenden wissen von der Ölförderung so viel wie die Kuh vom Innenleben ihres Melkroboters

Reden wir lieber von der Erdölförderung und der perfekt verdrängten Perspektive der Endlichkeit. Das Mantra ewigen Wachstums lässt keinen Platz für eine stagnierende oder sogar zurückgehende Förderung. Genau diesen Rückgang können wir gegenwärtig beobachten – mit entsprechenden Folgen für Öl- und Benzinpreise. Der aktuelle Rekord ist also weder staatliche Abzocke noch eine Folge des Klimagroschens durch die CO2-Bepreisung. Er ist die marktwirtschaftliche Antwort auf den zuletzt rasant bis auf 90 Dollar je Barrel gestiegenen Ölpreis. Der hat damit den höchsten Stand seit 2014 erreicht und er könnte – Worst Case – sogar bald dreistellig werden. Sagen wir es mit Harald Welzer: Früher war auch die Zukunft besser!

Der Rohstoff wird knapper und knapper

Die Lage ist in der Tat angespannt: Fast alle Förderländer, vor allem aber die Big Three Russland, Saudi-Arabien und die USA, pumpen bis zum Anschlag, um ihr Förderniveau aus der Vorpandemiezeit wieder zu erreichen. Dies ist trotz eines motivierend hohen Ölpreises bisher nicht gelungen. Es ist technisch immer aufwendiger, in weitgehend leergepumpten Ölfeldern hohe Förderquoten zu erzielen. Während die saudische Ölförderung weitgehend intransparent bleibt, kommen aus Russland verlässlichere Informationen zu den offenbar großen Problemen der Förderung, vor allem in Westsibirien und im Wolga-Ural-Gebiet.

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Unterm Strich war die Nachfrage nach Öl nach Angaben der Internationalen Energieagentur (IEA) zuletzt jedenfalls höher als die Förderung. Und dies, obwohl der Flugverkehr coronabedingt noch reduziert ist. Die internationalen Lagerbestände haben sich folglich stark geleert, die Preise klettern. Nach Zahlen der IEA lag der globale Ölverbrauch zuletzt bei täglich 99 Millionen Barrel. Das Elektroauto hat noch keine nennenswerten Bremsspuren in der Verbrauchsstatistik hinterlassen.

Müssen wir uns womöglich noch einmal mit Peak Oil beschäftigen, jener Lieblingsvokabel der als Vulgärapokalyptiker verspotteten Expertenschar? Am Ende haben diese Menschen sogar noch recht, weil sich Naturgesetze auch von Spöttern nicht aushebeln lassen. Erdöl ist endlich, es gibt so gut wie keine neu entdeckten Ölfelder mehr, und in den meisten Förderländern geht der Output zurück. Allein die Fracking-Industrie der USA konnte in den vergangenen Jahren eine Verknappung dieses Rohstoffs verhindern.

Aktuell verzeichnen aber auch die USA einen Rückgang der Förderung gegenüber der Vorcoronazeit. Im Rückspiegel betrachtet könnte 2018 tatsächlich das Jahr der historisch höchsten Ölförderung gewesen sein. Es wäre nicht der Beginn, es wäre der historische Meilenstein im Endspiel des fossilen Zeitalters. Der Peak und seine einschneidenden Folgen würden unser kulturelles Gedächtnis in ein Davor und ein Danach einteilen.

Die Mär vom „armen Pendler“

Die Autofahrenden wissen von der Ölförderung so viel wie die Kuh vom Innenleben ihres Melkroboters. Die große Mehrheit wirkt wie einbetoniert in ihren Lebensstil, zu dem das Grundrecht auf billiges Benzin gehört wie das Schnitzel in der Bratpfanne. Eine Information oder Diskussion zu möglichen Folgen einer fossilen Verknappung findet nicht mehr statt, seitdem in den Medien ausgemacht ist, dass die Peak-Oil-Jünger sich getäuscht haben und wir doch sowieso aus allen klimakritischen Brennstoffen aussteigen wollen.

Natürlich wollen alle das Klima retten, aber bis dahin wollen alle auch genau so weitermachen wie immer und zwar zu „vernünftigen“ Preisen für Gas, Kohle und Benzin. Die Politik – vor allem die SPD – reagiert auf hohe Benzinpreise in der Regel aufgescheucht, entdeckt ihr soziales Herz und verspricht sofortige Erleichterung.

Dann wird das Szenario vom armen Pendler ausgemalt, der in Wahrheit ein vermögender ist. Zuletzt wurde die Entfernungspauschale deutlich erhöht. Sie kommt, wie Untersuchungen zweifelsfrei belegen, vor allem reicheren Männern zugute und sie belohnt ausdrücklich das Pendeln über große Entfernungen. Frauen, Ärmere und Alte pendeln weniger und kürzer, der Radius wächst mit dem Einkommen und dem männlichen Geschlecht.

Nach dem Modell linke Tasche, rechte Tasche wird krampfhaft versucht, dem steigenden Benzinpreis die Wirkung zu nehmen. Das ist keine erfolgversprechende Perspektive und dauerhaft auch nicht durchzuhalten. Deshalb wird trotz neuer Kompensationsversprechen ein höherer Benzinpreis das Umsteigen aufs Elektroauto ein wenig beschleunigen. Bestenfalls wird er in den Metropolen auch nachhaltige Mobilitätsformen aus eigener Muskelkraft anschieben.

Mit weiteren Sprüngen könnte der Benzinpreis dann irgendwann der ökologischen Wahrheit nahekommen. Eine Schweizer Untersuchung nennt einen Literpreis von umgerechnet fünf Euro als halbwegs angemessen. Bis dahin ist noch viel Luft nach oben. Benzin, das ist nun wirklich kein Geheimnis, ist immer noch und bis auf Weiteres vor allem eines: viel zu billig.

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Manfred Kriener, Jahrgang 1953, ist Umweltjournalist und Autor in Berlin. Themenschwerpunkte: Klima, Umwelt, Landwirtschaft sowie Essen & Trinken. Kriener war elf Jahre lang taz-Ökologieredakteur, danach Gründungschefredakteur des Slow-Food-Magazins und des Umweltmagazins zeozwei.. Zuletzt erschienen: "Leckerland ist abgebrannt - Ernährungslügen und der rasante Wandel der Esskultur". Das Buch schaffte es in die Spiegel-Bestsellerliste und wurde von Umweltministerin Svenja Schulze in der taz vorgestellt. Kriener arbeitet im Journalistenbüro www.textetage.com in Kreuzberg.

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