Kampf gegen Verschwörungstheorien: Eine Impfkampagne genügt nicht

Verschwörungsideologien sind in ihrer Gefahr nicht zu unterschätzen. Die Bildungsstätte Anne Frank widmet dem Kampf dagegen eine Ausstellung.

Menschen bei einer Demonstration

Verschwörungsanhänger bei einer Demo gegen die Coronamaßnahmen in Berlin im Sommer 2020 Foto: Florian Boillot

Vielleicht ist Donald Trump ein warnendes Beispiel dafür, wie wichtig eine Immunisierung gegen Verschwörungstheorien sein kann. Das sagt jedenfalls der Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch in einem Video zur digitalen Ausstellung „Matter of Fact“ der Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt am Main, die am Montag online ging: „Man sieht das in den USA: Da kann selbst der Haupt-Verschwörungstheoretiker abgewählt werden. Die Verschwörungstheorien verschwinden nicht wieder so schnell.“

Stefanowitsch fordert eine politische Kultur, in der Verschwörungstheorien möglichst wenig Platz haben; ein „kritisches Denken“, das „erkennen lässt, wann tatsächlich etwas hinterfragt werden müsste und wann nicht“. Dazu müsse erreicht werden, dass „dämonisierte Gruppen“ – beispielsweise bei antisemitischen Verschwörungserzählungen – in der Erfahrungswelt der Menschen vorkommen. Stefanowitsch verspricht sich davon die verbreitete Erkenntnis: „Diese Verschwörungstheorien können nicht stimmen. Die Menschen, die ich kenne, können kein Teil dieser Verschwörung sein.“

„Höchstexplosive Mischung“

Die Ausstellung sucht nach Rezepten gegen eine Gefahr, die aus Sicht von Meron Mendel, Direktor der Bildungsstätte, nicht unterschätzt werden darf. Die Szene der Ver­schwö­rungs­theo­re­ti­ke­r:in­nen habe sich in der Coronapandemie immer stärker radikalisiert, antisemitische und rassistische Ressentiments machten die Runde, global vernetzte Ge­schäf­te­ma­che­r:in­nen würden „an der Erregungsschraube drehen“. Mendel spricht von einer „höchstexplosiven Mischung“ und einem „kaum bekannten Aggressionsniveau im Alltag“. Verschwörungsgedanken hätten schon vor der Pandemie die „Manifeste“ der Terroristen in Halle und Hanau geprägt. Und sie seien auch im September 2021 das Motiv für den Mord an dem Tankstellenkassierer in Idar-Oberstein gewesen, der einen Kunden auf die Maskenpflicht hinwies.

„Der Verschwörungsglaube zieht sich durch alle gesellschaftlichen Schichten“, sagt der Direktor der Bildungsstätte. Die bisherigen Gegenmaßnahmen der Politik jedoch hält er für unzureichend. Mendel spricht von einer „nationalen dringenden Aufgabe“. Er erwähnt lobend die staatliche Impfkampagne. Aber: „Es wäre gut, wenn eine Kampagne gegen Verschwörungsideologien andockt.“ Die in der Gesellschaft gezogenen Vergleiche der Maßnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus mit der Zeit des Nationalsozialismus empören Mendel. Er widerspricht namentlich dem ehemaligen Tagesspiegel-Kolumnisten Harald Martenstein, der Proteste mit „Ungeimpft“-Sternen als „sicher nicht antisemitisch“ bagatellisiert hatte. Das Tragen von „Judensternen“ bei Coronaprotesten sei „selbstverständlich antisemitisch“, betont Mendel: „Darüber müssen wir nicht diskutieren.“

Eine rechtsoffene Mobilisierung

Doch dass Aufklärungsarbeit unter den Demonstrierenden von Querdenken & Co gerade in Zeiten der Pandemie dringend Not tut, hat eine in der vergangenen Woche vorgestellte Studie des „Center für Monitoring, Analyse und Strategie“ (CeMAS) gezeigt. Dessen Geschäftsführerin, die Sozialpsychologin Pia Lamberty, ist auch an der Ausstellung „Matter of Fact“ beteiligt. Die Studie untersucht das Protestpotenzial während der Covid-19-Pandemie. Die undurchsichtige Gemengelage, unter anderem was die Rolle der organisierten Rechten bei den Protesten angeht, habe Gesellschaft, Medien und Politik eine Einordnung erschwert und damit auch „zu sehr unterschiedlichen Umgangsstrategien“ geführt, analysieren die Wissenschaftler:innen.

Sie sehen eine verschwörungsideologische und rechtsoffene Mobilisierung, die größere Teile der Bevölkerung anspricht. Zwar haben laut Studie nur 4,3 Prozent der gut 2.200 Befragten erklärt, schon einmal an einer Coronademonstration teilgenommen zu haben. 11,1 Prozent aber erklären, sie wären „auf jeden Fall“ oder „eher“ bereit, an den sogenannten Spaziergängen teilzunehmen. Weitere 7,1 Prozent geben an, zumindest mit dem Gedanken zu spielen. 13,7 Prozent der Befragten stimmten der Aussage „Die Zeit des friedlichen Widerstandes gegen die Maßnahmen ist vorbei“ eher oder völlig zu. Mehr als zwei Drittel der ungeimpften Menschen kann sich vorstellen, an Coronaprotesten teilzunehmen, unter Geimpften sind es nur 12,5 Prozent.

Die Wis­sen­schaft­le­r:in­nen von CeMAS sehen eine „Dominanz von Verschwörungserzählungen im Kontext des Protestgeschehens“. Unter Protestierenden und Protestbereiten gibt es demnach überproportional häufig demokratiefeindliche Einstellungen. 53,8 Prozent von ihnen sagen etwa: „Das Virus wird absichtlich als gefährlich dargestellt, um die Öffentlichkeit in die Irre zu führen.“ 43,7 Prozent erklären: „Es gibt viele Impftote, die von den Eliten systematisch vor der Gesellschaft verheimlicht werden.“ 37,6 Prozent behaupten: „Die aktuellen Coronamaßnahmen und die Politik sind mit der Zeit des Nationalsozialismus vergleichbar.“

Sowie immerhin noch 24,2 Prozent der Protestierenden und Protestbereiten meinen: „Dunkle Mächte nutzen das Virus, um die Welt zu beherrschen.“ In der Gruppe der Menschen mit niedriger Protestbereitschaft bejahen die entsprechenden Fragen bloß zwischen 2,5 und 4,9 Prozent.

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