Rohingya-Vertreibungen vor Gericht: Warten auf Gerechtigkeit

Myanmars Junta zweifelt im Völkermordverfahren die Zuständigkeit des Internationalen Gerichtshofs an. Die Untergrundregierung gibt sich konzilianter.

Aufgereite Kinder und Erwachsene warten vor Zelten im Hintergrund

Warten auf die Nahrungsmittelvergabe: Rohingya in einem Lager in Bangladesch im Februar 2018 Foto: imago/epd

BERLIN taz | Der Streit, wer Myanmar vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag vertreten darf, überschattet die juristische Aufarbeitung der Vertreibung von mindestens 740.000 Rohingya im Jahr 2017. Überschattet wird damit auch die fortgesetzte Rechtlosigkeit der muslimischen Rohingya im mehrheitlich buddhistischen Myanmar sowie das Elend der rund eine Million Roghingya-Flüchtlinge im benachbarten Bangladesch.

Seit diesem Montag vertreten zwei mit westlichen Sanktionen belegte Juntarepräsentanten, der Ex-Offizier und Minister für internationale Kooperation Ko Ko Hlaing und die amtierende Generalstaatsanwältin Thida Oo, das Land bei den Anhörungen vor dem höchsten UN-Gericht in Den Haag. Sie lösen die frühere defacto Regierungschefin und Außenministerin Aung San Suu Kyi als Vertreterin ihres Landes in Den Haag ab.

Ausgebootet ist damit auch der UN-Botschafter Kyaw Moe Tun. Der war noch von der früheren gewählten Regierung ernannt worden. Seit dem Putsch 2021 vertritt er die im Untergrund agierende Gegenregierung (NUG), die ihn kürzlich zu ihrem Vertreter in Den Haag erklärt hatte. Er war im Dezember von der UN-Vollversammlung auf seinem UN-Posten bestätigt, womit dort der Kandidat der Junta abgelehnt worden war.

Bei den Anhörungen in dieser Woche in Den Haag geht um prozedurale Einwände Myanmars gegen das Verfahren wegen Völkermordes. Das war vom westafrikanischen Gambia im November 2019 im Namen der Organisation für Islamische Kooperation angestrengt worden.

Darf Gambia überhaupt Myanmar verklagen?

Gambias Klage basiert auf einem UN-Bericht von 2018, in dem Myanmar Völkermord an den Rohingya, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen wurden. Nach einem Rebellenangriff waren ab August 2017 Hunderttausende Rohingya von Militär und Milizen außer Landes getrieben, ihre Dörfer angezündet, Frauen vergewaltigt und Männer massakriert worden. Der UN-Bericht nennt den damaligen Armeechef und heutigen Juntaführer, Min Aung Hlaing, und fünf Generäle als Hauptverantwortliche.

Kurz vor dem Putsch 2021 hatte die zivile Regierung von Aung San Suu Kiy Einspruch gegen die Zuständigkeit des Gerichts wie gegen Gambias Klageberechtigung erhoben. Am Montag argumentierte ein Anwalt Myanmars, das westafrikanische Gambia könne nicht stellvertretend für eine nicht klageberechtigte Organisation klagen, die aber alle Kosten des Verfahrens trage.

Noch im Dezember 2019 hatte Aung San Suu Kyi persönlich in Den Haag das Vorgehen von Myanmars Militär verteidigt. Die einstige Freiheitsikone beschädigte damit ihren im Westen ohnehin schon angekratzten guten Ruf weiter.

Die Friedensnobelpreisträgerin sieht sich als politische Erbin ihres Vaters, der das damalige Birma zur Unabhängigkeit geführt und dessen Militär gegründet hatte. Doch der Putsch vom 1. Februar 2021 entmachtete Aung San Suu Kyi, die seitdem ohne Kontakt zur Außenwelt unter Hausarrest steht.

Gegenregierung teilt Aung San Suu Kyis Bedenken nicht mehr

Der bisher international nicht anerkannten Militärjunta, die seit dem Putsch für die Tötung von mehr als 1.500 Zivilisten verantwortlich gemacht wird, steht die ebenfalls international nicht anerkannte sogenannte Nationale Einheitsregierung (NUG) entgegen. Die besteht zum Großteil aus durch den Putsch entmachteten Politikern von Aung San Suu Kyis Partei Nationale Liga für Demokratie.

Der NUG steht symbolisch zwar Aung San Suu Kyi vor. Doch hat die NUG jetzt zum ersten Jahrestag des Putsches die Bedenken von deren früheren Regierung gegen das Völkermordverfahren in Den Haag zurückgenommen.

Der Hintergrund ist, dass im gegenwärtigen Krieg in Myanmar die Opposition selbst mit einer brualen Politik der verbrannten Erde des Militärs konfrontiert ist, die dem Vorgehen gegenüber den Rohingya vergleichbar ist und dessen damalige Rechtfertigungen Lügen straft. Viele Oppositionelle bedauern heute, dass sie sich damals nicht stärker für die Rohingya eingesetzt haben.

„Das Leid der Rohingya und die Kriegsverbrechen des Militärs gehen weiter“, erklärte die NUG-Außenministerin Zin Mar Aung am Montag bei einer Pressekonferenz niederländischer Solidaritätsgruppen unmittelbar vor Beginn der Anhörungen in Den Haag. „Wer Myanmar vor Gericht vertritt, sollte das Mandat der Bevölkerung haben. Die Junta hat nur die Macht ihrer Waffen und sät Hass.“

Die Vorsitzende des Rohgingya Council Europe, die im deutschen Düren lebende Kinderärztin Ambia Perveen, sagte bei der Pressekonferenz: „Der Putsch verlängert das Leid der Rohingya.“ Von den in Myanmar verbliebenen 600.000 Rohingya lebten 120.000 in Lagern, wo Kinder kaum Bildungsmöglichkeiten hätten.

EU verschärft Sanktionen

Das Gericht hatte Myanmar aufgetragen, unmittelbar Schritte gegen Völkermord zu unternehmen und darüber alle sechs Monate Bericht zu erstatten. Doch bisher sind die Berichte nicht veröffentlicht und noch keine geänderte Politik festgestellt worden,

Kritiker hoffen im Lauf der Woche auch auf eine Begründung des Gerichts, warum überhaupt die Junta das Land in Den Haag vertreten darf. Denn dies dürften die Militärs als Schritt zur Anerkennung ihrer Regierung werden. Zu Beginn der Anhörung am Montagnachmittag erklärte die Vorsitzende Richterin Joan Donoghue jedoch, damit sei keine formale Anerkennung verbunden. Das Verfahren selbst dürfte sich noch Jahre hinziehen, sofern die Bedenken Myanmar vom Gericht nicht anerkannt werden.

Die EU-Außenminister beschlossen am Montag in Brüssel, 22 weitere Verantwortliche der Junta und vier militärnahe Unternehmen in Myanmar auf die Sanktionsliste zu setzen. Insgesamt sind nun 65 Menschen und zehn Firmen von Einreiseverboten und Kontensperrungen betroffen. Zudem gilt ein Waffenembargo. Zuvor hatten bereits die USA, Großbritannien und Kanada ihre Sanktionen verschärft.

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