Legalisierung von Cannabis: Ende der Kriminalisierung?

Cannabis und der Führerschein: seit Jahren ein Streitthema. Bringt die von der Ampel angekündigte Legalisierung des Suchtmittels Erleichterungen?

Ein Joint liegt auf einem Aschenbecher

„Von Cannabis Berauschte fahren wie eine Oma, die sind eher vorsichtig. Alkohol enthemmt.“ Foto: Schöning/imago

Tausende Cannabiskonsumenten verlieren im Land alljährlich ihre Fahrberechtigung, nicht wenige, ohne je unter Einfluss des Rauschgifts am Steuer gesessen zu haben. Denn hierzulande begeht bereits eine Ordnungswidrigkeit, wer mit mehr als 1,0 Nanogramm THC pro Milliliter Blutserum, dem wichtigsten Wirkstoff der Hanfblüten, im Blut Auto fährt. Das ist ein im europäischen und internationalen Vergleich sehr niedriges Grenzwert. Kiffen ist in der Auto-Nation Deutschland schnell existenzbedrohend.

Laut geltendem Recht ist, wer regelmäßig Cannabis konsumiert, grundsätzlich nicht geeignet, ein Fahrzeug zu führen. Gelegentlicher Konsum ist immer noch dann ein Problem, wenn nicht getrennt werden kann zwischen Fahren und Kiffen. Oder wenn auch andere psychoaktive Substanzen, inklusive Alkohol, zum Konsumrepertoire gehören.

Die Chancen, eine MPU zu bestehen, sind gering

Wenn Cannabis-Konsumenten im Straßenverkehr auffällig werden, drohen ihnen nicht nur Geldstrafen und befristete Fahrverbote. Im Regelfall wird auch eine Medizinisch-Psychologische Untersuchung (MPU) angeordnet. Allerdings kann das auch passieren, wenn der oder die Betroffene gar kein Auto gesteuert hat: Bis heute werden auch Hinweise auf Konsum, die überhaupt nichts mit dem Straßenverkehr zu tun haben – etwa leichtfertige Äußerungen in Strafverfahren –, an die Führerscheinstellen weitergereicht. Die werden dann schnell als Anzeichen für regelmäßigen Konsum gedeutet, was ebenfalls zu einer MPU-Anordnung führt.

Und in der Konsequenz meist zum Verlust des Führerscheins. Denn die Chancen, eine MPU zu bestehen, sind gering. Die Frist, in der die Betroffenen unter anderem den Nachweis erbringen müssen, keine Dauerkonsumenten zu sein, beträgt drei Monate. THC baut sich aber, anders als Alkohol, nur langsam ab. Dasselbe gilt für die THC-Abbaustoffe – also Substanzen ohne jegliche psychoaktive Wirkung –, deren Werte ebenfalls dokumentiert werden müssen. Sie sind noch Monate nach dem letzten Konsum im Körper zu finden.

Viele Betroffene empfinden die Anordnungen deshalb als eine perfide Form der Kriminalisierung, weil sich juristisch kaum dagegen vorgehen lässt. Wird eine MPU nicht fristgerecht vorgelegt, schickt die Fahrerlaubnisbehörde einen kostenpflichtigen Bescheid, mit dem die Fahrerlaubnis umgehend entzogen wird. Erst dann können Betroffene rechtliche Schritte einleiten, ein meist erfolgloses verwaltungsrechtliches Verfahren.

Mit der aktuellen Rechtslage seien Cannabiskonsumenten im Verkehrsrecht gegenüber Alkoholkonsumenten in hohem Maße im Nachteil, sagt Rechtsanwalt Sebastian Glathe aus Freiburg. „Wer mit 0,5 Promille Auto fährt, hat erhebliche Leistungsbeeinträchtigungen. Trotzdem wird das zugelassen, weil es ein Kulturgut sei, weil man gesellschaftlich konsumiere, nicht etwa um sich zu berauschen.“ Die aktuellen Grenzwerte bei Cannabis seien dagegen so niedrig, dass überhaupt keine Rauschwirkung mehr gegeben sei. „Aber damit begeht man dieselbe Ordnungswidrigkeit. Das verstößt gegen Artikel 3 des Grundgesetzes, nach dem, vereinfacht gesagt, Gleiches gleich und Ungleiches ungleich behandelt werden muss.“

Ganz ähnlich sei die Lage, wenn es um die Anordnung einer MPU gehe. So müsse einer, der trinkt, erst „wirklich aus dem Rahmen fallen“, kritisiert Glathe, bevor ein Nachweis verlangt wird, dass er fähig ist, am Straßenverkehr teilzunehmen. „Er muss mehr als 1,1 oder auch 1,6 Promille im Blut haben. Oder alkoholisiert im Verkehr auffallen. Das ist eigentlich unfassbar.“ Denn man müsse auch die unterschiedliche Wirkung der beiden Substanzen betrachten. „Von Cannabis Berauschte fahren wie eine Oma, die sind eher vorsichtig. Alkohol enthemmt.“

Grünen wollen Regelungen für Cannabis im Straßenverkehr

Immer wieder haben Hanfaktivisten und Juristen in den vergangenen Jahren versucht, die gesetzlichen Regelungen zu ändern. So wurde 2021 im Ausschuss für Verkehr und Digitale Infrastruktur des Bundestags ein Antrag der Linken zum Thema „Gleichstellung von cannabis- und alkoholkonsumierenden Führerscheininhaberinnen und Führscheininhabern“ angehört. Doch geändert hat sich bisher nichts.

Aber kann diese Ungleichbehandlung auch nach einer Legalisierung von Cannabis aufrechterhalten werden? Im Wahlkampf-Programm der Grünen stand unter der Forderung nach einem regulierten, legalen Markt für das Rauschmittel auch, die Partei wolle „klare Regelungen für die Teilnahme am Straßenverkehr einführen“. Die aktuellen Grenzwerte seien „völlig an den Haaren herbeigezogen“, sagte kürzlich Tim Dzienus, Sprecher der Grünen Jugend.

Sebastian Glathe fordert einen pragmatischen Ansatz von etwa fünf Nanogramm als Grenzwert. „Da kann man am Vorabend konsumiert haben, ist aber wieder nüchtern. Das führt zu keinem größeren Risiko.“ Erst ab 10 bis 15 Nanogramm werde es problematisch. Denn natürlich sei bei jedem, „der täglich drei Tüten raucht und morgens schon anfängt“, die Fahreignung fragwürdig. Aber eben nicht bei den vielen Bürgern, die nur gelegentlich mal gepflegt einen durchziehen. „Für die Beurteilung sollte man ganz einfach die ICD-Klassifikationen der Weltgesundheitsorganisation für Missbrauch und Sucht verwenden.“

Glathe ist optimistisch, dass auf eine Legalisierung von Cannabis auch Angleichungen bei den MPU-Anordnungen folgen. „Die Grundüberlegung hinter diesen Anordnungen ist, dass Kiffer durch ihre Gesinnung ihre Ungeeignetheit zum Führen von Fahrzeugen dokumentieren. Durch ihren Konsum zeigen sie, dass sie geltendes Recht nicht anerkennen. Deshalb müssen sie – anders als Menschen, die Alkohol konsumieren – ihre Abstinenz nachweisen.“ Doch diese Grundannahme entfällt, wenn Cannabis legal erwerbbar ist.

Vielleicht ist es ein Zeichen dafür, wie gut die Chancen für entsprechende Neuerungen sind, dass die Warnungen davor fundamentaler werden. So forderte Helmut Trentmann, Präsident des Bundes gegen Alkohol und Drogen im Straßenverkehr, in einem Brief an die Fraktionsvorsitzenden der Ampelkoalition, die Auswirkungen von Cannabis auf die Verkehrssicherheit stärker zu berücksichtigen. „Für die Sicherheit der Allgemeinheit im Straßenverkehr ist es maßgebend, dass jeder Verkehrsteilnehmer ein Fahrzeug ohne vorherige Einnahme von Drogen und Alkohol führt. So wie wir im Straßenverkehr jegliche Beeinflussung durch alkoholische Getränke ablehnen – also 0,0 Promille fordern –, muss dies auch beim Cannabiskonsum gelten.“ Trentmann wird auch auf dem Verkehrsgerichtstag in Goslar im Sommer, dessen Empfehlungen oft in neuen Bestimmungen münden, sprechen.

Trentmanns Forderung ist zweifellos sinnvoll. Aber realistisch ist sie genau so wenig wie der gescheiterte Versuch, Cannabiskonsum zu verbieten.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.