Bremer „Arisierungs“-Mahnmal wird gebaut: Erinnerung bekommt einen Ort

In Bremen soll im Sommer das „Arisierungs“-Mahnmal gebaut werden. Durchgesetzt hat sich ein Standort in unmittelbarer Nähe von Profiteur Kühne+Nagel.

Die im Februar 2020 eingeweihte neue Deutschlandzentrale der Spedition Kühne+Nagel in der Bremer Innenstadt

Das Mahnmal soll nun gleich unterhalb der Firmenzentrale von Kühne+Nagel gebaut werden Foto: Eckhard Stengel/imago

BREMEN taz | Das einst von der taz initiierte „Arisierungs“-Mahnmal in Bremen soll im Sommer dieses Jahres gebaut werden. Das möchte die rot-grün-rote Landesregierung am Dienstag beschließen. Im Juni soll es losgehen, heißt es in der Senatsvorlage. Die Kosten werden auf 476.000 Euro beziffert.

Damit endet eine seit 2015 währende Debatte um den richtigen Ort der Erinnerung an die komplette Ausplünderung der jüdischen Bevölkerung Europas, an der Bremen als Hafen- und Logistikstadt besonderen Anteil hatte.

Die „Arisierung“, wie der Raub jüdischen Eigentums genannt wurde, hatte in Bremen – trotz eines nicht sehr hohen jüdischen Bevölkerungsanteils – besondere Dimensionen. Dafür gibt es zwei Gründe: Zum einen flüchteten zahlreiche jüdische Familien aus ganz Deutschland über Bremerhaven, mussten dort oftmals ihren Besitz zurücklassen. Der wurde dann auf sogenannten „Juden-Auktionen“ zugunsten der Finanzbehörde versteigert. Diese Dimension des Verbrechens teilt Bremen mit anderen Auswanderungshäfen wie Hamburg.

Bremen ist aber auch Stammsitz der Firma Kühne+Nagel, dem heute weltweit drittgrößten Logistik-Konzern. Die Firma war, ebenso wie andere Bremer Speditionen, am „Auswanderer-Geschäft“ beteiligt.

Kühne+Nagel leugnete und bagatellisierte

Sie „internationalisierte“ ihr Geschäftsfeld durch unmittelbar nach dem Einmarsch der Wehrmacht errichtete Niederlassungen in den besetzten Ländern Westeuropas, denen eine zentrale Rolle beim Abtransport jüdischer Besitztümer zukam. Mit zehntausenden Waggon- und hunderten von Binnenschiff-Ladungen bewegten sich die dabei erzielten Profite in völlig anderen Dimensionen als das Auswanderungs-Geschäft, auf das sich die anderen Bremer Speditionen beschränkten. Der damalige „Gau Weser-Ems“ erhielt fast ein Drittel der unter den „Gauen“ des NS-Reichs verteilten jüdischen Habe aus Westeuropa.

Der Konzern feierte 2015 in Bremen sein 125-jähriges Jubiläum – die NS-Profite des Unternehmens wurden dabei beharrlich bagatellisiert, anfangs sogar komplett geleugnet.

Den Un­ter­stüt­ze­r:in­nen des Mahnmals aus der Zivilgesellschaft und der jüdischen Gemeinde in Bremen war deshalb an einem Standort gelegen, der möglichst nahe an der neuen Firmenzentrale von Kühne+Nagel an der Weser liegt. Im Gespräch waren jedoch Standorte weitab davon, etwa am Europahafen oder an der weserabwärts gelegenen Bremer Jugendherberge. Als Ergebnis einer langen nächtlichen Koalitionssitzung der damaligen rot-grünen Landesregierung sollte das schon 2016 von der Bremischen Bürgerschaft beschlossene Mahnmal schließlich an der Schlachte gebaut werden, mitten in die Sitzstufen, aber immerhin schon in Sichtweite von Kühne+Nagel. Dort wäre das Mahnmal aber deutlich teurer geworden – der Senat beziffert die Kosten auf rund 723.000 Euro.

Nun soll das Mahnmal direkt an den Weserarkaden an der Wilhelm-Kaisen-Brücke gebaut werden, gleich unterhalb der Firmenzentrale. Der aus einem Gestaltungswettbewerb als Sieger hervorgegangene Entwurf stammt von Evin Oettingshausen. Wer oben darüber läuft, sieht ein Loch mit Panzerglas über einem fast sechs Meter hohen Schacht und unten ein bisschen Licht. Geht man die Treppenstufen nach unten, zur Weser, wird ein leerer Raum sichtbar. An dessen Wänden sind die Schattenrisse von Möbeln und anderen geraubten Einrichtungen zu ahnen.

Neuer Standort: billiger, aber besser

„Die Entscheidung für den Brückenstandort ermöglicht eine ungleich bessere Umsetzung der Mahnmalkonzeption bei erheblich geringerem Kostenaufwand“, sagt Initiator Henning Bleyl, heute Landesgeschäftsführer der grünennahen Heinrich-Böll-Stiftung. Das Mahnmal muss vor Beginn der Sturmflutsaison fertig werden, hermetisch dicht, beheizt und klimatisiert sein. Die jährlichen Instandhaltungskosten für das Kulturressort werden auf 8.000 Euro beziffert.

An den Kosten beteiligt werden sollen neben der Stadt auch Speditionsunternehmen und Privatpersonen – so hat es die Bremische Bürgerschaft schon 2016 beschlossen. Für die Gestaltung des Mahnmal-Innenraums sollen mit einer Spendenkampagne des Vereins „Erinnern für die Zukunft“ etwa 40.000 Euro aus der Zivilgesellschaft zusammenkommen.

Auch die Profiteure von damals sollen sich beteiligen: „Ich erwarte, dass die Bremer Speditionsunternehmen wie Kühne+Nagel einen erheblichen Teil der Baukosten übernehmen“, sagt Miriam Strunge, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Linkspartei. Das Gedenken selbst beginnt ohnehin erst danach: „Mit dem Bau des Mahnmals ist das Thema nicht beendet“, sagt die grüne Kulturpolitikerin Kai Wargalla. „Die Erinnerungsarbeit kann nun endlich forciert werden.“

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