Umstrittene Garnisonkirche in Potsdam: Alleinstellungsmerkmal Turm

Im Streit über die Garnisonkirche ist entschieden: Die Kirche kommt nicht, zumindest nicht das Kirchenschiff. Der Turm aber wird weitergebaut.

Blick über die Breite Straße in Potsdam mit der Baustelle für den Wiederaufbau des Turms der Garnisonkirche

Der Turm aber, gut verborgen von Gerüsten, wächst Foto: Martin Müller/imago

POTSDAM taz | Der komplette, originalgetreue Wiederaufbau der Garnisonkirche in Potsdam ist praktisch vom Tisch. Das Gebäude, vor dem sich 1933 Hitler und Hindenburg die Hände schüttelten, wird aller Wahrscheinlichkeit nach nicht nachgebaut werden. Es dürfte lediglich beim Turm bleiben, an dem bereits seit 2017 gebaut wird. Das Kirchenschiff selbst aber wird weder in Form noch Inhalt wiedererrichtet. Nach Jahrzehnten des Streits um den wegen seiner Vergangenheit umstrittenen Sakralbau gibt es nun eine Entscheidung.

Die Potsdamer Stadtverordneten haben vergangene Woche auf Vorschlag von Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) einen entsprechenden Beschluss gefasst. Dieser beruht auf einem Kompromiss, den die Stadt mit der Stiftung Garnisonkirche als Grundstückseigner und den Nutzern des benachbarten Kreativhauses Anfang Dezember ausgehandelt hat. Dieser sieht vor, dass statt des Kirchenschiffes ein sogenanntes Haus der Demokratie mit einem neuen Plenarsaal für die Stadtverordneten und weiteren öffentlichen Nutzungen entstehen soll. Das Kreativhaus soll nicht wie bisher geplant abgerissen, sondern weitgehend erhalten werden. Das Grundstück will die Stadt von der Stiftung, der sie es vor Jahrzehnten geschenkt hatte, nun zurückpachten.

Ähnlich wie beim Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses gibt es auch in Potsdam zunehmend Kritik an der Re­barockisierung der Innenstadt. Am Umbau des Zentrums nach dem Muster aus der Vorkriegszeit wird bisher festgehalten. So sind bisher beispielsweise das alte Potsdamer Stadtschloss als neuer Landtag und das Museum Barberini in einer Kopie des historischen Vorbilds entstanden. Allerdings war keines der Vorhaben ähnlich polarisierend wie der Wiederaufbau der Garnisonkirche.

Mit dem Beschluss verbunden ist vor allem eine Machbarkeitsstudie für 500.000 Euro. Anschließend soll ein Architektenwettbewerb folgen sowie eine Bürgerbefragung. Das künftige Ensemble soll „deutlich den Bruch mit der architektonischen Sprache und Geschichte“ von Turm und Rechenzentrum ausstrahlen, heißt es im Beschlusstext. Ziel sei, bis Ende 2023 die planerischen Grundlagen für das Bauvorhaben zu schaffen. Denn die Uhr tickt: Die Bauaufsicht hatte die Nutzung des baufälligen früheren Verwaltungsbaus des Rechenzentrums nur befristet geduldet.

Die Mehrheit für den Beschluss war relativ knapp und wurde von SPD, Grünen und Teilen der Linken-Fraktion getragen, die in Potsdam ein Bündnis geschlossen haben. Teile der Linken waren ausgeschert, weil ihnen das Verfahren zu schnell ging oder sie befürchteten, dass am Ende des Wettbewerbs doch das Kreativhaus weichen könnte.

Große Plakatwände werben 2014 in Potsdam für den Wiederaufbau der 1945 zerstörten und 1968 abgerissenen Garnisonkirche

Das Bild der Ganisonkirche in einer Werbemaßnahme für den Wiederbaufbau Foto: Foto: epd/imago

Die Debatte zeigte auch die Verletzungen bei jenen, die sich oft jahrzehntelang für den Wiederaufbau eingesetzt haben. Ein CDU-Stadtverordneter sprach von einem „Tag der Intoleranz in der Potsdamer Stadtgeschichte“. Barock-Aktivisten von der „Initiative Mitteschön“ sagten, die Garnisonkirche werde mit dem Beschluss ein zweites Mal nach 1968 gesprengt. Oppositionsvertreter hatten eine Vertagung und eine längere Diskussion in Ausschüssen verlangt und warfen der Mehrheit undemokratisches Verhalten vor.

Spenden fließen schon für den Kirchturm nur spärlich

Und auch die erklärtesten Gegner des Wiederaufbaus sind nicht zufrieden. Die Bür­ge­r*in­nen­in­itia­ti­ve für ein Potsdam ohne Garnisonkirche sieht in dem neuen Vorschlag nicht zuletzt einen Versuch, die momentan fragliche Fertigstellung des notorisch unterfinanzierten Turmbaus aus städtischen Mitteln abzusichern. Schubert hatte daraufhin wenige Tage vor der Abstimmung einen Passus in den Beschluss einfügen lassen, der die Verwendung der Pachteinnahmen für den Turmbau ausschließt.

Das Aus für das Kirchenschiff ist maßgeblich auf einen Sinneswandel innerhalb der Wiederaufbaustiftung zurückzuführen. Neben dem beharrlichen Werben des Oberbürgermeisters dürfte es auch eine Rolle gespielt haben, dass es keine Aussicht auf eine Finanzierung des Kirchenschiffes gibt. Spenden fließen schon für den Kirchturm nur spärlich.

Das Kuratorium der Stiftung Garnisonkirche hatte Tage zuvor grundsätzlich zugestimmt. „Aus Sicht des Kuratoriums bietet die inhaltliche Idee eine Chance für die Nutzung des Ortes und enthält das Potenzial, zur Lösung von Konflikten in der Stadtgesellschaft beizutragen“, hieß es. Zu dem 15-köpfigen Kreis gehören unter anderem Brandenburgs Ex-Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD), Brandenburgs amtierender Innenminister Michael Stübgen (CDU) sowie mehrere Funktionäre der evangelischen Kirche und Schubert selbst.

Auch der Schirmherr des Wiederaufbaus, Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, hatte dem Kirchenschiff seinen Segen entzogen. Wie die Potsdamer Neusten Nachrichten berichteten, sagte er, er begrüße das gemeinsame Konzept. Es könne „ein Erinnerungsort entstehen, der von historischer Aufklärung, demokratischer Debatte und kultureller Kreativität geprägt wird“.

Die evangelische Kirche hatte sich ohnehin schon vom originalen Kirchenschiff verabschiedet und einen symbolischen Bruch in der Architektur sogar zur Bedingung für millionenschwere Kredite für den Turmbau gemacht.

Die Bauarbeiten am Turm gehen unterdessen weiter. Inzwischen überragt er die umstehenden Gebäude deutlich. Nach der Fertigstellung des Kirchturms soll dort auf einer Fläche von 250 Quadratmetern in der vierten Etage eine Ausstellung eröffnet werden. In der Ausstellung mit dem Arbeitstitel „Glaube, Macht und Militär“ soll unter anderem die Bedeutung der historischen Garnisonkirche als Symbolort des nationalistischen und demokratiefeindlichen Lagers der Weimarer Republik thematisiert werden. Wem die Auseinandersetzung mit der Geschichte zu beschwerlich ist, der kann die Aussichtsplattform in 57 Metern Höhe mit dem Aufzug direkt erreichen.

Mehr als die Hälfte des 40-Millionen-Euro-Vorhabens zahlt die öffentliche Hand. Vor allem die frühere Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU), der seit dem Regierungswechsel Claudia Roth (Grüne) nachfolgte, hatte Zuschüsse in Millionenhöhe für das „Projekt von nationaler Bedeutung“ durchgesetzt.

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