Verfassungsschutzbeobachtung von Linken: „Eine unkontrollierbare Behörde“

In Niedersachsen hat der Verfassungsschutz zwei Po­li­ti­ke­r:in­nen der Linken beobachtet. Die Parteivorsitzenden reagieren empört.

Maren Kaminski und Thomas Goes

Unter Beobachtung: Maren Kaminski und Thomas Goes sind in der Linkspartei aktiv Foto: Julian Stratenschulte/dpa & Die Linke Niedersachsen (r.)

HAMBURG taz | Der Verfassungsschutz und die Linkspartei, eine problematische Beziehung. Wie jetzt bekannt geworden ist, hat der niedersächsische Ableger des Inlandsnachrichtendienstes sechs Jahre lang die ehemalige Linken-Landesgeschäftsführerin Maren Kaminski und den jetzigen Kreisvorsitzenden der Partei in Göttingen, Thomas Goes, überwacht. Ein Schreiben der Landesbehörde an die Betroffenen legt nahe, dass dabei auch V-Leute in ihrem direkten Umfeld eingesetzt wurden.

Am vergangenen Donnerstag berichtete die taz in ihrer Nordausgabe erstmalig über das beunruhigende VS-Schreiben. In der Linkspartei sorgt die Spitzelattacke nun verständlicherweise für Aufregung.

„Hier zeigt sich einmal mehr, dass der Verfassungsschutz eine unkontrollierbare Behörde ist, die sich Methoden annimmt, die jeglichen demokratischen Grundkompass vermissen lassen“, sagte die Bundesvorsitzende Janine Wissler. „Dieser Überwachungsapparat ist kein Demokratieschützer, sondern ein antidemokratischer Verein, der politisch motiviert nach seinen eigenen Gesetzen handelt.“ Es wäre „höchste Zeit für die Auflösung des Verfassungsschutzes“, so Wissler.

„Wir werden uns als Partei von einer Geheimdienstbehörde, die Beobachtungen von unseren Mitgliedern durchführt und Spitzel gegen sie engagiert, nicht einschüchtern lassen“, sagte die Co-Bundesvorsitzende Susanne Hennig-Wellsow. „Daher ist es nur folgerichtig, dass die Betroffenen der Überwachung in Niedersachsen unsere volle Unterstützung genießen.“

Post vom Landesamt für Verfassungsschutz

Der gegenwärtige Konflikt hat einen langen Vorlauf. Im Frühjahr 2021 hatten Kaminski und Goes erstmals Post vom Landesamt für Verfassungsschutz in Niedersachsen erhalten. In dem Schreiben teilte die in Hannover ansässige Behörde ihnen mit, dass über sie eine „Informationsbeschaffung mit nachrichtendienstlichen Mitteln“ erfolgt sei. Die Überwachung lief von 2007 bis 2013.

Nach Paragraf 22, Absatz 1 des niedersächsischen Verfassungsschutzgesetzes müssen Betroffene von einer geheimdienstlichen Überwachung unterrichtet werden, wenn diese abgeschlossen ist. Über den Anlass der Beobachtung und welche Daten gesammelt wurden, führte der Verfassungsschutz jedoch nichts aus. Aus dem Grund stellten Kaminski und Goes mit ihrem Rechtsbeistand Sven Adam aus Göttingen am 10. April 2021 ein Auskunftsersuchen zu den Vorgängen bei der Behörde.

Die Antwort erhielten sie nun kürzlich, fast neun Monate später. Sie blieb allgemein: Der VS suche stets nach einer möglichen Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Als einzigen „tatsächlichen Anhaltspunkt“ hierfür nennt der VS in seinem Antwortschreiben jedoch Kaminskis und Goes’ parteipolitisches Engagement. „Das ist nicht hinnehmbar“, sagte Kaminski der taz. Und Goes sagte kurz und knapp: „Skandalös.“

Waren V-Leute im Einsatz?

Das Schreiben deutet allerdings darauf hin, dass der VS offenbar auch V-Leute im direkten Umfeld von Mitgliedern der Linkspartei einsetzte, um sie auszuforschen. Die Behörde bezieht sich in ihrer Antwort nämlich auf „Paragraf 14 Absatz 1 Satz 1 Nummer 6a“ des Verfassungsschutzgesetzes und schreibt von einer „Inanspruchnahme von Personen, deren planmäßig angelegte Zusammenarbeit mit der Verfassungsschutzbehörde Dritten nicht bekannt ist (Vertrauenspersonen)“.

Ein weiterer Hinweis auf den Einsatz von V-Leuten findet sich an anderer Stelle in dem Schreiben. Dort heißt es: „Neben biographischen Daten wurden (…) weitere personenbezogene Daten“ erfasst, „über die keine Auskunft erteilt werden kann, da einer Mitteilung Gründe nach § 30 Abs. 2 S. 1“ des Verfassungsschutzgesetzes entgegenstünden.

In dem Paragrafen ist unter anderem festgeschrieben, dass weitere Auskünfte unterbleiben dürften, wenn „die Interessen eines Dritten“ gefährdet seien und/oder die „Auskunftserteilung Informationsquellen als auch Arbeitsweisen der Verfassungsschutzbehörde“ offenlegen könnten.

Schmallippige Auskünfte

Die Auskünfte sind „sehr schmallippig“, sagte Goes. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Soziologischen Forschungsinstitut an der Georg-August-Universität in Göttingen und erst seit kurzem Kreisvorsitzender der Linkspartei.

Bei Kaminski, die heute Gewerkschaftssekretärin bei der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) in Hannover ist, findet sich eine Auflistung. Zwanzig Einträge hat der Verfassungsschutz über sie vermerkt: Ihre Kandidatur zur Landtagswahl 2012 beispielsweise, ihre Beteiligung am Programmkonvent oder ihre Teilnahme an einer Kreismitgliederversammlung.

Nichts davon überrascht bei einer engagierten Politikerin. „Alles öffentlich zugänglich“, sagte Kaminski. „Hierfür bedarf es keines Geheimdiensts, das Geld wird woanders dringend gebraucht.“

„Fehlende Bindung an geltendes Recht“

Martina Renner, Obfrau der Linksfraktion im Innenausschuss des Bundestages, sagte der taz: „Ein Geheimdienst, der mit Spitzeleinsatz erst Linkspartei/PDS und später Die Linke traktiert, offenbart den politisch instrumentellen Charakter dieser Behörde, ihre fehlende Bindung an geltendes Recht und die Unmöglichkeit einer effektiven Kontrolle.“

Der niedersächsische Linkspartei-Landesvorsitzende Lars Leopold beklagte, dass der VS „weiterhin verweigert, Auskunft darüber zu geben, welche verdeckt gesammelten Informationen erhoben wurden“. Er forderte von der Landesregierung „volle Transparenz“, wer die Mitglieder seiner Partei bespitzelt habe und wie viele betroffen seien. Wer eine Kandidatur für den Landtag oder das Verschicken einer Pressemitteilung seiner Partei für verfassungsfeindlich hält, so Leopold, „sollte einmal sehr genau über sein Verständnis von Demokratie nachdenken“.

Um mehr zu erfahren, klagt Kaminski nun gegen den Verfassungsschutz.

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