Der Drosten der Klimakatastrophe

Der Berliner Technikprofessor Volker Quaschning ist auf mehreren Baustellen der Energiewende unterwegs – als Wissenschaftler, als Buchautor, Podcaster und als Aktivist. Kann das gutgehen?

Hier wirkt der Faktor Mensch: Photovoltaik­anlage auf einem Wohnhaus in der Berliner Gropiusstadt Foto: Cathrin Bach/imago

Von Manfred Ronzheimer

Die Energiewende ist nicht nur eine Herausforderung für Lehre und Forschung in den Hochschulen, sondern muss auch in die Gesellschaft hinein kommuniziert werden. Davon ist der Ingenieur Volker Quaschning überzeugt. Deshalb wurde der Professor für Regenerative Energiesysteme an der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) in Berlin zum Mitgründer der Wissenschaftlerinitiative Scientists4Future und Betreiber eines populären Energiepodcasts. Sein neues Buch „Energierevolution jetzt“, das er zusammen mit seiner Frau Cornelia verfasst hat und das in diesen Tagen erschienen ist, dokumentiert zugleich den technischen Sachstand und die anstehenden Forschungsaufgaben für die große Transformation von der fossilen zur regenerativen Energiewirtschaft.

Der Weg wird kein Spaziergang werden, sieht Quaschning voraus. „Die Energiewende wird Verlierer und Gewinner haben“, sagt er. Je konsequenter die Ampelregierung Klimaschutz betreibt, desto größer werden die Blockaden. „Robert Habeck hat ein hohes Risiko, dass seine Klimawende steckenbleibt“, ist der Energieprofessor überzeugt. Die Maßnahmen, die der neue Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz vor Kurzem in seiner „Eröffnungsbilanz“ vorgestellt hat, können das „Paris-Ziel“ der Deckelung des globalen Temperaturanstiegs auf 1,5 Grad nicht erreichen. „Habeck läuft eher auf zwei Grad Anstieg zu“, hat Quaschning überschlagen. Andere Staaten in Europa sind noch weniger ambitioniert und fahren mit ihrer Energiepolitik auf drei bis vier Grad Erwärmung zu. „Dabei müsste Deutschland mit seiner Expertise eigentlich der Vorreiter für andere sein.“ Bei der Photovoltaik hatte das in den Nullerjahren eine Zeitlang geklappt, allerdings mit einem hohen Finanzaufwand durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz.

Wie lässt sich das Tempo steigern? Derzeit hat sich die Erde seit Beginn der Industrialisierung durch die ausgestoßenen Treibhausgase in der Atmosphäre um 1,2 Grad Celsius erwärmt. Das Zeitfenster, in dem wir nicht mehr revidierbare ökologische Kipppunkte erreichen, schließt sich. Deshalb geht die Jugendprotestbewegung Fridays for Future auf die Straße, Wissenschaftler haben sich ihr angeschlossen, um den durch Forschung abgesicherten Faktenunterbau zu liefern. Quaschnings Gruppe Scientist4Future bezeichnet er als „Graswurzelbewegung“, in der gegenwärtig zwischen 200 und 300 Aktive aus Hochschulen und Forschungsinstituten mitmachen.

Der Hauptstandort seiner Hochschule HTW beherbergt einen Geburtsort der industriellen Elek­trizitätswirtschaft, die einstigen AEG-Fabriken im Berliner Stadtteil Oberschöneweide. Hier bildet der Professor im Jahr 180 Studierende in erneuerbarer Energietechnik aus. Die Nachfrage nach den Absolventen sei hoch, sie hätten eine gute Jobperspektive, so der Hochschullehrer. Die Energiewende würde sogar „zwei- bis dreimal mehr Fachkräfte“ in den technischen Fächern benötigen. Allerdings geht die Bewerberzahl für die Ingenieurstudiengänge zurück. „Die Betriebswirtschaftslehre erscheint den meisten derzeit attraktiver“, stellt Quaschning fest.

Als er am Wochenende bei dem Youtube-Blogger Tilo Jung („Jung & naiv“) für ein Dreistundengespräch zu Gast war und dort binnen kurzer Zeit an die 40.000 Zuschauer erreichte, bedankten sich viele in der Kommentarspalte: „Jetzt hab ich noch mehr Interesse, regenerative Energiesystem zu studieren! Danke“, schrieb einer. „Ich finde, er sollte der Drosten der Klimakatastrophe werden“, so ein anderer.

Die aktuelle Internetdiskussion, sein eigener Energie-Podcast mit dem Titel „Das ist eine gute Frage“, mit dem Quaschning zusammen mit seiner Frau als Dialogpartnerin ebenfalls an die 60.000 Zuhörer erreicht, wie auch das aktuelle Buch gehen ausführlich auf die aktuellen Baustellen in der wissenschaftlichen Begleitung der Energiewende oder ihrer Vorbereitung ein.

Revolutionen werden letztlich eben von Menschen gemacht – auch die Ener­gierevolution – und nicht von Maschinen

Quaschning thematisiert die ­Deckung des heutigen Energiebedarfs durch „grünen“ Strom aus Sonnen- und Windenergie, die Senkung des Bedarfs durch technische Einsparlösungen, aber auch durch – erneut der Faktor „Mensch“ – die Verhaltensänderung auf Verbraucherseite. „Die nötigen Technologien und Konzepte sind schon lange entwickelt“, heißt es im Buch, um dann doch wie auf Knopfdruck von Technikoptimismus zu Kulturpessimismus zu wechseln: „Das Problem ist der Mensch und seine mangelnde Fähigkeit für Veränderung.“ Revolutionen werden letztlich eben von Menschen gemacht, auch die Energierevolution, und nicht von Maschinen.

In Print und Digital eröffnet Quaschning den Einstieg in die Debatte der Energiewende wie auch in die Desiderate der Forschung. Der wissenschaftliche Vorlauf ist eben keineswegs erledigt. Größte Baustellen sind: Neben dem administrativen Hürdenlauf und dem Zurückschneiden des Regulierungsdickichts, mit dem aktuell vor allem die Politik zu tun hat, geht es um die Perspektiven einer künftigen Wasserstoffwirtschaft oder um die Speicherung regenerativer Energie für Fälle der „Dunkelflaute“ ohne Sonne und Wind.

Und um die Nutzung sauberer Energie im Verkehr und Wohnbereich. Quaschning steht dem Wasserstoffhype in der Politik sehr kritisch gegenüber. Derzeit wird in dem Elektrolysegas eine Option zum Antrieb im Schwerlastverkehr gesehen. Aber die Entwicklung immer leistungsstärkerer Batterien für Elektroautos macht derzeit schnelle Fortschritte, sodass es in absehbarer Zeit möglich sein wird, auch batteriegetriebenen Lkws Reichweiten bis zu 1.000 Kilometer zu ermöglichen. „Dann würde Wasserstoff hier nicht mehr gebraucht“, stellt der Energieforscher fest. Der lachende Dritte könnte der Hybridlaster sein.“

Darunter wird die Lösung verstanden, den Stromantrieb per Oberleitung – wie bei den ehemaligen O-Bussen in der Stadt – auf dafür reservierten Fahrbahnen der Autobahn zu ermöglichen. Vor Erreichen des Zielortes koppeln sich die Lastwagen aus der Stromzuführung aus und fahren per Batterie die letzten Kilometer weiter. In einem weiteren Forschungsstadium für die Gestaltung des Gütertransports auf der Straße müssten die alternativen Antriebskonzepte auch mit den KI-getriebenen Technologien des automatisierten Fahrens kombiniert werden, die in ersten Ansätzen auf deutschen Autobahnen gegenwärtig erprobt werden. Hier geht es allerdings nur am Rande um Energieeinsparung, sondern vor allem um Verbesserung der Verkehrssicherheit.

Forschung für Nachhaltigkeit muss auch in der Lage sein, unbeabsichtigte Technikfolgen zumindest in ersten Signalen abschätzen zu können. Als Beispiel dafür führt Quaschning Überlegungen an, mit ausgefeilten Methoden des Anbaus von Plantagenwäldern das Kohlendioxidgas aus der Atmosphäre zu holen und in der Biomasse zu binden. Das Holz wird dann in Biomassekraftwerken verbrannt, das dabei entstehende Kohlendioxid per Filter aufgefangen und in unterirdische Endlager verbracht. Ein enormer Aufwand an Ökotechnik, der sich nur in großem Maßstab rentieren würde. Die Technologie mit dem Kürzel BECCS (Bioenergy with Carbon Capture and Storage) wurde vom Weltklimarat IPCC in einigen Szenarien durchgerechnet, um zu ermitteln, wie sich der CO2-Gehalt in der Atmosphäre möglichst schnell reduzieren ließe.

Volker Quaschning auf der Berlin4Future Demo im Sommer 2020 Foto: Stefan Müller/Pop-Eye/imago

Was könnten die nicht beabsichtigten Folgen sein? „Am Ende steigt der Druck, die letzten Regenwälder abzuholzen, um dann schnell wachsende Hölzer oder andere Pflanzen für das BECCS anzubauen“, befürchtet Quaschning. „Der vermeintliche Klimaschutz könnte in einer Katastrophe enden, einem der massivsten Naturzerstörungsprogramme, das die Erde je gesehen hat.“

Einen ähnlichen Effekt hat Deutschland vor einigen Jahren mit seinem Push für die Bioenergie auf dem Acker bewirkt, was den Ausbau riesiger Maisplantagen förderte – und damit Insekten- und Singvogelsterben Vorschub leistete.

Die Energiewende, das wird auch in der Forschung immer deutlicher, ist keine Lösung, die in einer „Plug and Play“-Version bereitsteht, sondern ein Prozess, der enorme fachliche Kompetenz in der Breite und zukunftsfähiges Denken in die Ferne benötigt. Die Debatte darüber ist, auch dank der Quaschnings, in Gang gekommen.