Buchvorstellung in Buxtehude: Der Kalif besucht Hase und Igel

Der ehemalige „Spiegel“-Korrespondent Hasnain Kazim ruft am Rande des Alten Lands „Mein Kalifat“ aus. Das ist auch eine Heimkehr.

Hasnain Kazim sitzt an einem Schreibtisch, ein Moment vor der Lesung mit Wasserglas und Buch auf dem Tisch

Hasnain Kazim bei der Lesereise, hier in Essen Oktober 2021 Foto: Sven Thielmann/imago

Sie sind nicht zu übersehen: Hase und Igel – ja: wie im Märchen – mögen „die prominentesten Buxtehuder“ sein, wie es in dieser Woche erst wieder im örtlichen Anzeigen-Wochenblatt stand. Definitiv aber sind die beiden prominent eingebunden ins touristische Marketing der 40.000-Einwohner*innen-Stadt im niedersächsischen Landkreis Stade; es gibt einen Has'-und-Igel-Brunnen, sie zieren die Beleuchtung der Fußgängerzonen und bevölkern allerlei gewitzt wortspielende Geschäftsnamen. „Kleinkunst-Igel“ heißt auch ein 1972 hier gegründeter Verein, der die 80er-Jahre hindurch den gleichnamigen Preis vergab an, eben, „herausragende Kabarettisten und Liedermacher“.

Dieser Verein hatte nun Hasnain Kazim eingeladen, hier am Rande des Alten Lands, ein Hasenrennen weit weg vom Hamburger Stadtrand, „Mein Kalifat“ auszurufen: So heißt das Buch, mit dem der langjährige, inzwischen ehemalige Spiegel-Korrespondent – Pakistan, Afghanistan, Türkei – am Donnerstag anreiste; coronabedingt ziemlich genau ein Jahr später als geplant. Das mit dem Kalifat war anfangs, 2015, eine Art satirische Performance gewesen, Reaktion auf die damals so aggressiv auftretenden „Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“; folgerichtig ausgerufen auf einer offenen Bühne in Dresden.

„Ich gebe ihnen Scharia!“

Es sei wie im Haus seiner Kindheit gewesen, erzählte Kazim jetzt vor den rund 60 Be­su­che­r*in­nen in Buxtehude: „Ich dachte immer, es wohnt ein Monster in unserer Holztruhe“, weshalb er sich zahllose Nächte hindurch nicht über den Flur, an der Kiste vorbei, aufs Klo traute. Im Rückblick unbegründet, klar. Aber hätte es ein Monster darin gegeben, „hätte meine Angst wenigstens Sinn gemacht“.

Ganz im Sinne dieser Korridorpsychologie will Kazim den Menschen also „bieten, wovor sie Angst haben und wogegen sie demonstrieren“: „Ich gebe ihnen Scharia! Ich mach ihnen Bevölkerungsaustausch! Ich will die Islamisierung Deutschlands!“ – in der Hoffnung, dass auch sie einsehen, dass es wenig zu befürchten gibt.

Bloß: An so einem Abend in der alten Heimat – der Wahl-Wiener Kazim ist im nicht weit entfernten Hollern-Twielenfleth aufgewachsen, streut auch mal etwas Plattdeutsch in seinen Vortrag – trifft er natürlich nicht auf fremdenfeindliches Wutbürgertum. Hier ist man unter sich, trägt auch brav FFP2, weiß zu unterscheiden zwischen Islam und Islamismus und amüsiert sich ganz freundlich auch mal ein wenig über rüggstöndige Söchsn.

Leuchtreklame vor nächtlichem Himmel: links in Hase, rechts ein Igel, dazwischen das Wort "Altstadt"

Lokalhelden: Hase und Igel, hier die Buxtehuder Fußgängerzohnenbeleuchtung zierend Foto: aldi

„Als Erstes war Drestan vollständig islamisiert“, heißt es im Buch, „nach und nach dann auch das gesamte frühere deutsche Bundesland Sachsen, die heutige Provinz Al-Sakhsan. Es folgten die Provinzen Al-Thuringiyya, Al-Sakhsan-Anhalt, Brand’an-Burqa, schließlich die verbliebenen Gebiete der Bundesrepublik“.

Kontext der eingangs erwähnten Märchenerwähnung im Wochenblatt war übrigens so eine Frage, wie sie auch Kazim immer wieder umtreibt: Eine Umfrage zum potenziell heißen Kommentarspalten-Eisen „Ist das Märchen von Has' und Igel rassistisch?“ Die ist inzwischen beendet, und etwas über 90 Prozent der abgegebenen Stimmen fanden: „Nein, das Märchen sollte unverändert bleiben.“

Ein „Nationales Märchen gibt es auch im noch jungen Kalifat, aber es ist ein anderes: Nicht nur gelesen haben, sondern auch verstanden, spätestens in Klasse vier, muss jedes Hans Christian Andersens „Des Kaisers neue Kleider“.

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Wollte irgendwann Geisteswissenschaftler werden, ließ mich aber vom Journalismus ablenken. Volontär bei der taz hamburg, später auch mal stv. Redaktionsleiter der taz nord. Seit Anfang 2017 Redakteur gerne -- aber nicht nur -- für Kulturelles i.w.S.

Dieser Artikel stammt aus dem stadtland-Teil der taz am Wochenende, der maßgeblich von den Lokalredaktionen der taz in Berlin, Hamburg und Bremen verantwortet wird.

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