Corona-Wutausbruch eines Moderators: Für uns alle geschimpft

Seit zwei Jahren ist fast nichts mehr, wie es war. Der Druck, der sich angestaut hat, ist enorm. Ein TV-Moderator in Mexiko hat ihn nun abgelassen.

Moderator Schwebel gestikuliert aufgeregt mit seinen Händen

Sein Wutausbruch im TV machte ihn zum Internet-Star: Moderator Leonardo Schwebel Foto: Screenshot taz/youtube/Telediaro Guadalajara

Der mexikanische Nachrichtensprecher Leonardo Schwebel verlor vor einigen Tagen vor laufender Kamera die Fassung. Er ging dicht an die Linse heran, warf die Arme wie wild in die Luft. Und er schrie. Er schrie die „verdammten Anti-Vaxer“ an, sie sollen mit dem „Bullshit“ aufhören und wenigstens die „verdammte Maske“ aufsetzen. Sie! Sollen! Aufhören! Für die ganze Welt auf die Bremse zu treten!

Seltsam befriedigend, diesem Mann dabei zuzuschauen, wie er sich mit knallrotem Kopf eine Maske ans Gesicht hält und schreit und schreit. Denn irgendwie, habe ich das Gefühl, ist uns allen zum Schreien zumute. Eltern, Lehrer*innen, Pfleger*innen, Kindern, Singles, Schauspieler*innen, Politiker*innen, Oma und Opa, Ärzt*innen, Journalist*innen, Busfahrer*innen, Reinigungskräften, körperlich Kranken, psychisch Kranken … Wir machen zwar weiter. Aber wir können nicht mehr.

Seit zwei Jahren ist fast nichts mehr, wie es vorher war. Die wenigsten hätten sich wohl vorstellen können, dass wir einmal dauerhaft mit solchen Einschränkungen leben würden. Der emotionale und psychische Druck, der sich angestaut hat, ist enorm. Die psychische Seite von Pandemien haben sich nun kanadische Wis­sen­schaft­le­r*in­nen angeschaut.

Sie gaben Ende 2021 die Studie „Psychologie der Pandemie“ heraus, die in ihrer endgültigen Version im Mai veröffentlicht werden wird. Sie schreiben, dass sich der Effekt der Pandemie auf die mentale Gesundheit der Menschen in all ihren Facetten vermutlich erst Jahre später zeigen wird. Einer Prognose aus Großbritannien zufolge werden 20 Prozent der Bevölkerung als Folge der Pandemie neue oder zusätzliche therapeutische Unterstützung brauchen.

Anstieg an Depressionen

Während der Spanischen Grippe, schreiben die Forscher*innen, gab es einen Anstieg an Depressionen und Angststörungen. Danach wurden mehr Menschen in psychiatrischen Einrichtungen aufgenommen. Während der Covidpandemie, lässt sich schon jetzt feststellen, hat der Ge- und Missbrauch von Drogen zugenommen, zum Beispiel von Alkohol, Cannabis und Opiaten. Psychologische Faktoren, schreiben die Wissenschaftler*innen, sind zentral für die Bewältigung einer Pandemie – denn wenn die Menschen die Regeln nicht befolgen, wie Masken zu tragen oder sich impfen zu lassen, bringt alles Pandemiemanagement nichts. Außerdem müsse es breite Angebote für psychische Unterstützung und Beratung geben, online und telefonisch.

Eigentlich müssten genau jetzt politisch die Weichen dafür gestellt werden, dass es dieses breite Angebot gibt, heute und vor allem in den nächsten Jahren, um all den emotionalen Druck der Menschen aufzufangen und Erkrankungen zu verhindern. Aber Therapieplätze sind knapp, Online-Angebote rar gesät. Und, ehrlich gesagt, vorausschauendes Handeln traut man der Politik nach zwei Jahren Pandemie kaum noch zu. Und da ist man wieder bei Leonardo Schwebel: Man möchte schreien.

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Ausgebildet als Ärztin und Politikwissenschaftlerin, dann den Weg in den Journalismus gefunden. Beschäftigt sich mit Rassismus, Antisemitismus, Medizin und Wissenschaft, Naher Osten.

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