Fahrverbote in Kolumbiens Hauptstadt: Gegen den Verkehrskollaps

In Bogotá gibt es ein Fahrverbot. Mal für Autos mit geraden Kennzeichen, mal für die mit ungeraden. Jetzt wurde es ausgeweitet. Das gefällt nicht allen.

Menschen stehen in einem überfüllten Bus

Bo­go­táe­r*in­nen sollen auf Rad oder ÖPNV umsteigen, aber die Busse sind langsam und überfüllt Foto: photothek/imago

BOGOTÁ taz | Bürgermeisterin Claudia López hat sich in der Live-Sendung zum neuen Fahrverbot in Kolumbiens Hauptstadt in Rage geredet. Auf die Frage, was sie all den Au­to­fah­re­r*in­nen sage, die Steuern zahlen, aber nun ihr Auto noch weniger nutzen können, sagt López den Halbsatz, den sie einen Tag später zurücknehmen wird: „Verkaufen Sie es!“ Im Kontext klingt das etwas weniger harsch: „Wer ein Auto hat, muss Steuern zahlen. Verkaufen Sie es, fahren Sie Rad, nehmen Sie den öffentlichen Nahverkehr oder bilden Sie eine Fahrgemeinschaft. Es gibt kein Recht (aufs Auto), es ist nicht ratio­nal, dass 20 Prozent der Bo­go­tan­e­r*in­nen für 100 Prozent Stau verursachen und die Luft verschmutzen.“

Mit dem „Verkaufen Sie Ihr Auto“ brach López im Internet einen Meme-Sturm los: „Verkauf dein Handy, dann klaut es dir keiner.“ „Sind dir Eier, Milch und Fleisch zu teuer, dann verkauf halt den Kühlschrank.“ Oder „Wenn das Leben dir zu teuer ist, stirb halt.“ Und schlimmer. Offenbar hatte López bei denen einen Nerv getroffen, die überraschenderweise 60 Prozent der Autos in Bogotá besitzen sollen: Menschen aus den unteren Schichten.

Seit anderthalb Wochen gilt in Kolumbiens Hauptstadt das neue Fahrverbot. Bislang schon mussten Au­to­fah­re­r*in­nen mit gerader Nummernschild-Endung zu den Stoßzeiten zwischen 6 und 8.30 Uhr und von 15 bis 19.30 Uhr an geraden Tagen das Auto stehen lassen (und ungerade an ungeraden). „Pico y Placa“ hieß das auf Spanisch (wörtlich: Stoßzeit und Nummernschild). Wer kann, hatte sich deshalb längst einen Zweitwagen besorgt, andere fuhren sehr früh ins Büro und blieben sehr lange dort. Seit dem 11. Januar gilt die Regelung wochentags durchgängig und länger – von 6 bis 21 Uhr.

Damit beginnt laut López die „Ära der gemeinsamen Mobilität“. Auch wenn ihre Pädagogik für einige Haupt­städ­te­r*in­nen penetrant und elitär erscheint, bestreitet wohl niemand, dass Bogotá sich ändern muss. Seit Längerem führt die Stadt die Welt-Staustatistik an oder belegt dort einen vorderen Platz. Die Luft ist laut Index der Universität von Chicago 2021 eine der schmutzigsten in Lateinamerika und kostet die Ein­woh­ne­r*in­nen zwei Jahre Lebenserwartung – oder 2.000 Menschenleben jährlich, wie Bürgermeisterin López vorrechnet.

Radfahren ist trotz neuer Radwege zu unsicher

Es droht der Verkehrskollaps. Fünfhundert Baustellen gibt es derzeit – wegen der Pläne für Metro und mehr Busspuren wird es noch schlimmer werden. 2021 wurden in Kolumbien 32 Prozent mehr Autos als im Vorjahr verkauft – von denen nun über ein Fünftel davon zusätzlich Bogotás Straßen verstopfen.

Geht es nach López, sollen mehr Bo­go­táne­r*in­nen auf Rad oder Bus umsteigen, Arbeitszeiten flexibler werden, das Auto anders genutzt. Die neue Regelung setzt Anreize: Wer mindestens zu dritt eine Fahrgemeinschaft bildet, darf trotzdem fahren, für Elektro- und Hybridautos und medizinisches Personal gilt das Verbot nicht.

Doch es muss noch viel geschehen. Radfahren ist vielen trotz neuer Radwege zu unsicher, und Bogotá ist berüchtigt für Fahrraddiebstähle. Der Transmilenio-Bus gilt als langsam und überfüllt. Und just zum ersten Tag des neuen Fahrverbots wurde der Bustarif um 150 Pesos angehoben. Das sind zwar umgerechnet nur 2 Cent – für Arme aber ist das aufgrund der Preissteigerungen auch bei Grundnahrungsmitteln und stagnierendem Mindestlohn viel Geld. Es kam zu friedlichen Protesten, versuchtem Massenschwarzfahren und Festnahmen.

Die ersten Tage des neuen Fahrverbots waren trotz des rumpelnden Starts positiv: 20 Prozent weniger Autos waren auf der Straße, und zu den Nicht-Spitzenzeiten floss der Verkehr 30 Prozent schneller als früher. Der Unterschied sei auffallend, sagten Taxifahrer der taz.

Ob die Entspannung von Dauer ist, bleibt abzuwarten – nicht nur, weil die meisten Schulen erst kommende Woche öffnen und noch nicht alle Haupt­städ­te­r*in­nen aus dem Urlaub zurück sind. Wer genug Geld hat, kann sich vom Fahrverbot freikaufen. „Solidarisches Pico y Placa“ heißt das und kostet umgerechnet bis zu 21 Euro pro Tag.

Kri­ti­ke­r*in­nen befürchten zudem, dass künftig nicht nur Menschen als Platzhalter für Fahrgemeinschaften bezahlt werden, sondern dass es noch mehr Zweitautos und dreckige Motorräder geben wird. Für Letztere gelten auch in Zukunft keine Beschränkungen.

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stammt aus dem Bayerischen Wald und berichtet seit 2017 überwiegend aus Kolumbien. Sie ist Mitglied des Reporterinnen-Teams von #tazFolgtDemWasser und Mitgründerin des Magazins „Südamerika+Reporterinnen“ auf der genossenschaftlichen Journalismus-Plattform-„RiffReporter“.

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