Was der Osten bieten kann

Kleinstädte im Osten haben oft einen schlechten Ruf. Wie sich das ändern kann, zeigen junge Menschen im thüringischen Altenburg, auch auf dem taz lab

Mitglieder des „Wo lang?-Netzwerks“ in Altenburg. Von links: Naya Biedermann, Kilian Wiest, Anton Eßwein, Laura Wickert, Jan Ole Sierck Foto: Fo­to: ­ Wolf­gang Rochner

Von Aaron Gebler

Die thüringische Kleinstadt Altenburg blickt auf eine lange Geschichte zurück: Im 19. Jahrhundert wurde hier Skat erfunden. Im Spätmittelalter war die Residenzstadt für große Safrangärten und blühenden Handel bekannt. Seit der Wende ist die Bevölkerungsentwicklung wie in vielen ostdeutschen Kleinstädten rückläufig. Gerade junge Menschen verlassen diese Orte.

Gegenwärtig versucht eine Gruppe ehemaliger Studierender der Alanus Hochschule für Kunst und Gesellschaft aus Bonn den städtischen Raum in Altenburg mit neuem Leben zu füllen. Anders als viele ihrer Al­ters­ge­nos­sen:­in­nen haben sie sich nach dem Studium gegen den Umzug in eine der Metropolen entschieden. Die Gründe dafür waren vielfältig. Großen Einfluss hatte besonders der Freiraum, den eine Stadt wie Altenburg bietet. Als „Wo lang?-Netzwerk wollen sie sich hier mit Projekten für eine nachhaltigere und sozia­lere Gesellschaft einsetzen.

Eines der größten Potenziale und zugleich Probleme ostdeutscher Kleinstädte liegt im Leerstand, der im gesamten Stadtbild sichtbar wird. Teilweise sind ganze Häuserblöcke unbewohnt. Kilian Wiest, Mitgründer des „Wo lang?-Netzwerks, verweist oft auf das alte Postgebäude. Dieses wurde vor einigen Jahren vom Bund an einen Investor verkauft, der bisher jedoch nichts mit dem Gebäude gemacht hat. Ein ähnlicher Fall ist das Casino, ein großes Haus mit Tanzsaal, Biergarten und Restaurant. Das Gebäude war lange im Besitz der Konsumgenossenschaft und wurde dann immer wieder verkauft. Auch wenn der neue Besitzer per­spek­ti­visch mit dem Gebäude arbeiten möchte, fehlen im Moment Zeit und wirtschaftliche Perspektiven, die Inventionen absichern. Jedoch zeigt sich der Eigentümer kooperativ: Das „Wo lang?-Netzwerk kann durch eine Nutzungsvereinbarung das Casino mit Leben füllen. Im Sommer war hier unter anderem eine Gruppe Kunststudierender untergebracht, die eine Ausstellung veranstaltete.

Eines der größten Potenziale und Probleme ostdeutscher Kleinstädte liegt im Leerstand

Altenburg steht für zahlreiche ostdeutsche Städte, die in den letzten Jahren durch die zunehmende Perspektivlosigkeit eine große Zahl ihrer Bewohner verloren haben. In einigen Städten hat sich die Zahl der Bewohner seit der Wende mehr als halbiert. Zwar führt die gegenwärtige Situation zu geringen Lebenshaltungskosten, die mit niedrigen Mieten zusammenhängen, von denen Menschen in Berlin, München oder Hamburg nur träumen können. Jedoch hängen langfristige Perspektiven an der Lösung verschiedener Probleme. Dazu gehören neben der wirtschaftlichen Situation vor Ort Hürden in der Verwaltung der Kommune. Ersteres wird sich vermutlich mit der zunehmenden Akzeptanz für die Arbeit im Homeoffice lösen lassen. Letzteres hingegen ist vom politischen Willen abhängig. Den politischen Ent­schei­dungs­trä­ge­r:in­nen vor Ort kann man keinen Vorwurf machen, hier gibt es viele Beispiele, die zeigen, dass sie ihr Bestes geben, versichert Wiest: „Bürgermeister und Wirtschaftsförderer nehmen sich auch mal Zeit in ihrer Mittagspause, um uns zu unterstützen.“ Ob diese Verhältnisse ein realistisches Bild von der Situation in vielen anderen ostdeutschen Kleinstädten vermittelt, ist unwahrscheinlich. Die Probleme dieser Städte sind strukturell verankert. Lange Genehmigungsverfahren für die Umnutzung von Gebäuden liefern nicht die nötige Flexibilität, in kurzer Zeit etwas aufzubauen. Es wird sich zeigen, ob der insbesondere von der FDP im Bundestagswahlkampf versprochene Abbau administrativer Hürden in Altenburg spürbar wird. Denn durch den vereinfachten Zugang zu Freiräumen kann eine Stadt wie Altenburg für junge Erwachsene lebenswerter werden.

Kilian Wiest wird beim taz lab von der Arbeit des „Wo lang?-Netzwerks“ berichten und auf die Probleme vor Ort eingehen. Erwarten können wir aber auch ein Plädoyer für das Leben und die aktive Mitgestaltung von Kleinstädten: „Altenburg kann eine Stadt werden, in der Zukunft ausprobiert wird. Meldet euch bei uns!“

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