Debatte um die Öffentlich-Rechtlichen: Viel meinen, wenig wissen

Beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk gibt es Reformbedarf, daran zweifelt niemand. Doch ein Konzept legen auch die jüngsten Kritiker nicht vor.

Mikrofone und Tonangeln verschiedener Fernsehsender

Nicht jede Kritik am öffentlich-rechtlichen Rundfunk ist unbedingt zur Aufnahme geeignet Foto: imago stock&people

Ein Gedankenexperiment: Würde man über die Medienkrise so reden, wie man über die Coronakrise redet, dann klänge das in etwa wie folgt: „Die Inzidenz an Falschinformation pro 100.000 Ein­woh­ne­r*in­nen ist erneut auf ein Rekordhoch gestiegen. Die Kapazitäten für Faktenchecks werden knapp. Immer mehr Jour­na­lis­t*in­nen verlassen den Beruf, Grund sind Überlastung und finanziell miese Zukunftsaussichten.“

In einem solchen Paralleluniversum würden wir uns täglich vergewissern, dass wir die Informationshygieneregeln einhalten, dass wir nicht irgendjemanden an der Kitatür versehentlich mit halbgaren Gerüchten, Fake News und müden Hot Takes infizieren, die sich anschließend exponentiell verbreiten könnten. Und wir würden fordern, dass die zuständigen Behörden sofort ausgebaut, erneuert und digital auf den neuesten Stand gebracht werden müssen. Koste es, was es wolle.Die „zuständigen Behörden“ wären natürlich: die Sender des öffentlich-rechtlichen Rundfunks.

Stattdessen passiert dies: Die britische Regierung kündigte am Sonntag an, der BBC, Vorbild des öffentlich-rechtlichen Nachkriegsrundfunks in Deutschland, die Finanzierung zu entziehen. Die konservative Regierung Johnsons ist einerseits von der Angst getrieben, der Rundfunk habe sie auf dem Kieker, andererseits will man von #Partygate ablenken – und obendrein sammelt man Punkte bei Geringverdienenden, für die sich ein Wegfall der Rundfunkgebühr bemerkbar machen würde. Gewürzt hat Medienministerin Nadine Dorries die Ankündigung diese Woche mit dem Seitenhieb, dass zu wenige Menschen aus der Ar­bei­te­r:in­nen­klas­se im Rundfunk vertreten seien. Das stimmt. Eine Definanzierung hilft dagegen allerdings kaum.

Wir wissen schlicht nicht, wer in 30 Jahren noch lineares Fernsehen gucken möchte

Keinen Tag später nutzte im deutschen Bundesland Sachsen-Anhalt die dortige CDU-Fraktion den Moment. Man strebe an, dass langfristig Das Erste abgeschafft werden solle, sagte ein Parlamentarier der Mitteldeutschen Zeitung und achtete darauf, noch mitzuteilen: Im öffentlich-rechtlichen Rundfunk höre man zu viele Klimaschutz-Befür­wor­ter*in­nen und zu viel Gendersprache. Ist natürlich klar, dass sich alle sofort darüber empörten. Bis die CDU Sachsen-Anhalt dann umgehend klarstellte: Ach, „abschaffen“ hatte man ja gar nicht gemeint. Mehr so „umwandeln“. Ein Konzept hat man nicht. Ums kurz zu machen: Man hat keine Ahnung, wovon man redet. Aber das mit dem Klimaschutz und der Gendersprache hat man zum Glück mal untergebracht.

Schwerfällige Behördenstruktur

Das ist drüben im Vereinigten Königreich ganz genau wie in Deutschland, das Niveau, auf dem seit Jahren über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk diskutiert wird. „Staatsfunk“-Paranoia und Antielitäres von rechts; feuchte Privatisierungsträume aus dem neoliberalen Lager; und dazwischen der berechtigte Ärger derer, denen gerade zusätzlich zum verdreifachten Gaspreis auch noch die achtzehnsechsunddreißig abgebucht worden sind – für Inhalte, die sie womöglich woanders schneller, besser, moderner bekommen.

Ohne Zweifel besteht beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk Reformbedarf. Ganz klar handelt es sich um eine schwerfällige Behördenstruktur, in der jedes Mal, wenn es darum geht, etwas sinnvoll zu verändern, politische, bürokratische und finanzielle Interessen aneinander zerren.

Klar ist auch, dass der Rundfunk an vielen Stellen zu viel Geld ausgibt. Die Gehälter der Sen­der­che­f*in­nen werden häufig genannt, sie betragen ein Vielfaches von dem, was Ärzt*innen, Pro­fes­so­r*in­nen oder Leh­re­r*in­nen bekommen.

Mehr noch verdienen häufig die „Gesichter“ der Sender, berühmte Mo­de­ra­to­r*in­nen wie Anne Will oder Thomas Gottschalk, die für ihre Prominenz gut bezahlt werden, um nicht zur Konkurrenz abzuwandern. Vergleichsweise viel Geld kosten auch Hunderte austauschbare Krimis jedes Jahr. Und dann sind da die Lizenzen für Sportübertragungen, mit denen die Sender die wahnwitzigen Beträge im Profisport mitfinanzieren. Richtig ist aber auch, dass ARD und ZDF in den letzten Jahren bereits auf Übertragungslizenzen verzichtet haben. Und auch die „Gesichter“ wandern immer mal zu den Privaten ab. Zuletzt Quizmaster Jörg Pilawa. Die Sender werden bei Honorarverhandlungen zugeknöpfter.

Rundfunk am Reißbrett

Für den Kleinkram der Bilanzen interessiert sich bei hiesigen und anderen populistischen Rundfunkdebatten aber sowieso niemand. Denn würde man konkret werden, hätte man ja wieder die Mehrheit gegen sich. Darum profilieren sich Po­li­ti­ke­r*in­nen mit vager Kritik am Rundfunk, fordern aber nicht, „Wetten, dass..?“ abzuschaffen, das „Traumschiff“ oder den „Münster-Tatort“.

Würde man heute noch einmal einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk am Reißbrett entwerfen, sähe er sicher ganz anders aus. Und selbstverständlich hat keines der Programme, wie wir sie heute kennen, lieben und hassen, eine Berechtigung für die Ewigkeit. Auch Das Erste hat die nicht.

Wir wissen schlicht nicht, wer in 30 Jahren noch lineares Fernsehen gucken möchte. Vielleicht niemand. Von daher hätte auch ein Vorschlag wie der aus Sachsen-Anhalt immer Beachtung verdient.

Hätte. Wenn er denn mit einem Konzept daherkäme und sich nicht zu bequem wäre, auch intelligent die Folgefragen zu stellen. Welche Einsparungen sind durch den Vorschlag zu erwarten und sind diese angemessen? Könnte der gesellschaftliche Auftrag der Sender unter diesen Bedingungen noch erfüllt werden? Entspricht der Vorschlag dem Bedarf von abgehängten Regionen ebenso wie dem eines jungen, vernetzten, weltpolitisch interessierten Publikums? „Öffentlich-rechtlicher Rundfunk zu groß und zu teuer“ rufen ist dagegen nicht schwer.

Beteiligungsforum für Bür­ger*in­nenjour­na­lis­mus

Das Gedankenexperiment vom Anfang des Textes ist in Wahrheit gar keines. Es ist die Realität, denn die Coronakrise ist auch eine Informationskrise. Ein moderner öffentlich-rechtlicher Rundfunk könnte dieser und anderen Krisen begegnen. Mit hochwertig recherchierter Information auf allen Kanälen; als Beteiligungsforum für Bür­ger*in­nenjour­na­lis­mus; und eben auch als Plattform und Ar­beit­ge­be­r*in für Kultur und Unterhaltung.

Ein privater Rundfunk, der allerhöchstens etablierte Formate von ARD und ZDF übernimmt und kopiert, wird diese Aufgaben kaum übernehmen.

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