Ehrenamt in Berlin-Wedding: Meditatives Müllsammeln

Litter Picker ziehen freitags mit Greifzange und Müllbeutel durch den Wedding – für manch Ehrenamtlichen der perfekte Einstieg ins Wochenende.

Zeichnung für Menschen gehen über Zebrastreifen

Bewegung nach einem Tag auf dem Bürostuhl: Müll sammeln Illustration: Sebastian König

Mit Musik und Stirnlampen ausgestattet, zieht ein Trupp fröhlicher Leute durch die Bastianstraße in Berlin-Wedding, in ihren Händen Greifzangen und Müllbeutel. Nur langsam kommen sie voran, denn alle zwei, drei Schritte picken sie mit ihren Zangen Abfall von der Straße auf. Die ehrenamtliche Gruppe trägt den Namen „Litter Picker“, zu deutsch „Müllsammelnde“.

Auch ohne Kopflampe ist der Müll auf den Straßen dieses dicht besiedelten innerstädtischen Stadtteils gut sichtbar, insbesondere größerer Sperrmüll wie defekte Staubsauger oder zersprungene Spiegel. Zwischen alten Tannbäumen liegen aber auch Plastikverpackungen, Glasscherben und jede Menge Zigarettenstummel. Kein Wunder – denn im Wedding ist auch abends viel los. Auch an diesem Freitagabend sind nach Einbruch der Dunkelheit auf den Gehwegen im Stadtteil Gesundbrunnen viele Menschen unterwegs, einige rauchen und schnipsen ihre Zigarettenkippen einfach weg. So sammelt sich eben dort, wo viele Menschen sind, auch mehr Abfall.

Gerade deshalb sind die Litter Picker im Wedding und rund um Gesundbrunnen herum aktiv. Jeden Freitag von 17 bis 19 Uhr sammeln sie dort alles auf, was sie als Müll erkennen. Das können Abfälle wie Plastikverpackungen, Coronamasken und Kaffeebecher sein. Zigarettenfilter oder Heroinspritzen gehören aber auch dazu.

Anna Wasilewski ist hauptberuflich Fotografin und Mitgründerin der Initiative. Sie habe früher selbst viel geraucht, erzählt sie. Da sei es es auch vorgekommen, dass sie am Spielplatz gesessen und ihre Stummel dort liegen gelassen habe. Erst durch das Müllsammeln habe sich ihr Blick auf Abfall geändert.

„Ich habe nicht darüber nachgedacht, was ich da hinterlasse. Aber als ich einmal gehört habe, wie schädlich das ist, habe ich das nicht mehr gemacht“, erzählt sie. Denn Giftstoffe und Mikroplastik aus den Filtern gelangten bei Regen ins Grundwasser. Eine Zigarette könne bis zu 60 Liter Grundwasser verunreinigen. Wenn Wasilewski heute Menschen sieht, die draußen rauchen, bietet sie ihnen einen portablen Aschenbecher an: „Das ist natürlich der Kracher, wenn du nicht mit erhobenem Zeigefinger zu den Leuten gehst, sondern sagst, hier, ich hab' ein Geschenk für dich!“

„Es gibt mir Energie“

Nicolas Rengeling gehört seit Mai zu den ehrenamtlichen Müllsammelnden. Er habe sich über den Abfall auf der Straße aufgeregt und nach Initiativen gesucht, die im Wedding aufräumten, erzählt er. So sei er auf die Litter Picker gestoßen. „Ich arbeite von zuhause, immer so bis 17 Uhr. Das hier ist mein Einstieg ins Wochenende“, erklärt Rengeling und grinst. „Nach einem ganzen Tag auf dem Stuhl tut es gut, sich einfach mal zu bewegen und dabei Müll zu sammeln.“

Wenn die Truppe die Straßen entlangzieht, schauen Pas­san­t:in­nen neugierig zu. In der Bastianstraße steht Amirali Pourkian und beobachtet die Müllsammler:innen. Er habe auch mal bei einer Aufräumaktion in der Bellermannstraße mitgemacht, schmunzelt er und gibt verlegen zu: „Ich finde es authentisch, wenn ein bisschen Müll auf der Straße rumliegt. Ich mag es nicht so sauber wie in den kleinen Städten.“ Aber zu viel Müll sei eklig.

Für Wasilewski sind saubere Straßen längst nicht mehr der einzige Grund, Müll zu sammeln. Sie freut sich über die Verbesserung der Sauberkeit in dem Kiez. Und neben Bewegung und Gesellschaft an der frischen Luft habe das Aufsammeln von einzelnen Zigarettenstummeln auch etwas Meditatives, findet sie: „Ich habe zuerst gedacht, dass es mich sehr viel Energie kosten wird. Aber vielmehr gibt es mir Energie. Es macht mir einfach Spaß.“

Nach der Aufräumaktion werden die vollen Müllbeutel vor dem Gemeinschaftsgarten in der Böttgerstraße abgestellt und der Berliner Stadtreinigung gemeldet. Und dann gibt es wie jeden Freitag ein Gruppenfoto – von allen Beteiligten, die mit Zange in die Kamera grinsen.

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Dieser Artikel stammt aus dem stadtland-Teil der taz am Wochenende, der maßgeblich von den Lokalredaktionen der taz in Berlin, Hamburg und Bremen verantwortet wird.

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