Bitterkeit und Ekel

Die italienische Journalistin Silvia Tortora ist tot. Sie verteidigte den Rechtsstaat – aus Betroffenheit

Am vergangenen Montag starb in Rom die italienische Journalistin Silvia Tortora. Sie wurde 59 Jahre alt. Tortora war eine leidenschaftliche Print- und TV-Journalistin, die kritische Aufarbeitung italienischer Zeitgeschichte war ihr Thema. Eine öffentliche Person wurde sie jedoch in einem von dieser Arbeit nicht völlig zu trennenden, aber sie viel persönlicher treffenden und betreffenden Kontext: dem Skandal um ihren Vater, den, wie er in der taz genannt wurde, „Star–Showmaster“ Enzo Tortora (1928–1988). Tortora, der zur Gründungsgeneration des italienischen Qualitätsjournalismus in der öffentlich-rechtlichen RAI gehörte, war 1983 wegen angeblichen Drogenhandels verhaftet worden. Grundlage dafür waren Falschaussagen eines Kronzeugen aus dem Umfeld der neapolitanischen organisierten Kriminalität, der Camorra. Tortora wurde zu zehn Jahren Haft verurteilt. Sein juristischer Kreuzweg endete erst 1987, als er in letzter Instanz freigesprochen wurde. Ein Jahr später starb er.

Silvia Tortora, seine Tochter aus zweiter Ehe, stand in diesem Kampf gegen einen aus den Fugen geratenen Rechtsstaat von Beginn an ihrem Vater zur Seite. Zu seinem dreißigsten Todestag fällte sie ein hartes Urteil: Nichts habe sich seitdem geändert, es seien für sie Jahrzehnte der Bitterkeit und des Ekels gewesen. „Ich habe eine Reform des Justizsystems erwartet, aber sie ist nicht eingetreten. Immer noch sind die Prozesse endlos, im Gegenteil, sie dauern sogar noch länger.“

Als Beleg dafür mag gelten, dass gegen keinen anderen EU-Staat vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte so viele Urteile gefällt wurden wie gegen Italien, allein seit 1959 gab es über 1.000 Verurteilungen wegen der extrem langen Dauer von Gerichtsverfahren. Interne Korruption und völlig überzogene Urteile wie kürzlich das gegen den Ex-Bürgermeister des Flüchtlingsdorfs Riace sind zu häufig, um nicht von einer fortdauernden tiefen Krise des italienischen Justizsystems sprechen zu müssen.

Unmittelbar vor seinem Tod würdigte der am Dienstag verstorbene Präsident des EU-Parlaments, der Sozialdemokrat David Sassoli, noch Tortora: Sie habe sich ihr Leben lang für die Verteidigung rechtsstaatlicher Prinzipien eingesetzt (garantismo), für das Vermächtnis ihres Vaters Enzo und für ein reiferes und zivilisierteres Land. Silvia Tortora erlag ihrem Leiden in derselben Klinik, in der schon ihr Vater verstorben war. Ein Film über ihn, für den sie das Drehbuch verfasste, hieß: „Un uomo perbene“ – ein anständiger Mensch. (waam)