Kaufhausumbau am Hermannplatz: Ohne Beteiligung geplant

Der neue Stadtentwicklungssenator will Tempo machen bei der Umgestaltung am Hermannplatz. Damit ebnet er dem Unternehmer René Benko den Weg.

Karstadt am Hermannplatz, Ansichtskarte von 1915

Karstadt am Hermannplatz, Ansichtskarte aus Vorkriegszeiten Foto: imago stock&people

BERLIN taz | Die Situation ist Wenke Christoph (Linke) sichtlich unangenehm. Anfang November steht die Staatssekretärin, damals noch im Ressort Stadtentwicklung und Wohnen, auf der Bühne der gut gefüllten Konzerthalle Huxleys Neue Welt in Neukölln und stellt das Beteiligungsverfahren für die zukünftige Gestaltung des Neuköllner Hermannplatzes vor. „Wir sind ganz am Anfang der Überlegungen, wohin der Hermannplatz gehen soll“, sagt sie. „Der Prozess ist ergebnisoffen, wir sammeln Bedarfe und Anforderungen“, fährt Christoph fort.

Es sind Sätze wie diese, die viele der über zweihundert Be­su­che­r:in­nen in Rage bringen. Denn knapp drei Jahre nach Bekanntwerden der Pläne ist der österreichische Milliardär und Immobilienunternehmer René Benko seinem Ziel, am Hermannplatz eine monumentale Replik des 1929 errichteten und im Krieg zerstörten Karstadtkaufhauses errichten zu wollen, so nah wie nie. „Ich fühle mich verarscht“, fasst es ein erzürnter Anwohner zusammen. „Warum sagen Sie nicht einfach, was schon entschieden wurde?“

Aktuell klingt es aus der neuen, SPD-geführten Stadtentwicklungsverwaltung so, als ob alles bereits entschieden sei. Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel (SPD) drängte in einem am Montag erschienenen Interview mit der Morgenpost darauf, den Bebauungsplan für die Umgestaltung des Hermannplatzes möglichst bald aufzustellen. „Ich schlage dem Senat vor, das in den ersten 100 Tagen zu tun“, sagte er. Die Bür­ge­r:in­nen­be­tei­li­gung erwähnte Geisel mit keinem Wort.

Dabei war der Abend im Huxleys eigentlich erst die Auftaktveranstaltung für eine „Grundlagenermittlung für das Masterplanverfahren Hermannplatz“ – so der offizielle sperrige Name des Verfahrens. Denn seit der Immobilienriese und Karstadtinhaber Signa 2019 seine Pläne bekannt gab, die zuletzt im Jahr 2000 sanierte Karstadtfiliale am Hermannplatz abzureißen und durch einen Neubau nach historischem Vorbild zu ersetzen, stößt das Projekt auf Widerstand aus der Zivilgesellschaft und der Bezirkspolitik.

Ablauf Die Grundlagenermittlung soll „Anforderungen und Bedarfe“ für die kommenden Planungen identifizieren. Darauf folgt ein Masterplanverfahren, das die Entwicklungsziele für das gesamte Gebiet um den Hermannplatz festlegt.

Werkstätten Im Anschluss an die Auftaktveranstaltung im Huxleys fanden im Dezember noch fünf weitere, nicht öffentliche Werkstätten statt. Kri­ti­ke­r:in­nen bemängelten, dass die Einladungen der Teil­neh­me­r:in­nen willkürlich erfolgten und nicht divers genug waren, zumal die Veranstaltungen nur auf Deutsch stattfanden und zu Zeiten, in denen die meisten Beschäftigten auf Arbeit sind.

Plattform Die Ergebnisse der Werkstätten sind ausführlich auf der Plattform MeinBerlin.de dokumentiert und können dort noch bis zum 16. Januar kommentiert werden. (jowa)

Aufwertung und Verdrängung befürchtet

Kri­ti­ke­r:in­nen fürchten eine noch stärkere Aufwertung und Verdrängung in dem überwiegend migrantisch geprägten und einkommensschwachen Stadtteil. Außerdem sei der Abriss des völlig intakten Gebäudes in Zeiten der Klimakrise nicht zu verantworten. Der zuständige Baustadtrat Friedrichshain-Kreuzbergs, Florian Schmidt (Grüne), teilte die Kritik und erteilte dem Projekt – das Karstadt-Gebäude steht auf der Kreuzberger Seite des Platzes – zunächst eine Absage.

Seitdem setzt das wachsende Immobilienimperium um den österreichischen Milliardär René Benko alle Hebel in Bewegung, um das Projekt doch noch durchzubringen. Benko ist bekannt für seinen langen Atem und hat schon in seiner Heimat Österreich einige Großprojekte gegen Widerstände durchgebracht. Ein Durchbruch gelang Signa bereits im August 2020, als der damalige Senat eine „Letter of Intent“ (LOI) genannte Absichtserklärung mit dem Unternehmen unterschrieb.

Signa gab Bestandsgarantien für mehrere im Zuge des Insolvenzverfahrens von der Schließung bedrohte Karstadtfilialen. Im Gegenzug versprach der Senat grünes Licht für Großprojekte des Unternehmens, darunter auch die Neubaupläne am Hermannplatz. Der Deal wurde scharf kritisiert, die Linken-Abgeordnete Katalin Gennburg sprach damals von „Erpressung“.

Doch rechtlich ist die Absichtserklärung nicht bindend – dies bestätigt auch eine gutachterliche Stellungnahme von Christian-W. Otto, Jurist und Professor am Institut für Stadt- und Regionalplanung der Technischen Universität. Der LOI habe keine Auswirkungen auf das Planungsrecht und sei lediglich als politische Erklärung zu verstehen, heißt es dort. Es gäbe auch keinen Anspruch auf das Aufstellen und die Bestimmung von Bebauungsplänen.

Dass sich in der neuen, Giffey-geführten Koalition ein Umdenken einstellt, ist aber unwahrscheinlich. Denn die Absichtserklärung hat es etwas verklausuliert in den Koalitionsvertrag geschafft: „Die Zentren am Hermannplatz und der City West wird die Koalition in ihrer Entwicklung und Urbanität stärken, die Karstadt-Areale aus dem Bestand heraus weiterentwickeln und damit langfristig Arbeitsplätze im Einzelhandel sichern“, heißt es dort.

Bezirk planerische Zuständigkeit entzogen

Eine weitere Hürde nahm das Projekt, indem die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen dem Bezirk die planerische Zuständigkeit für das Projekt entzog – entgegen dem ausdrücklichen Willen des Bezirks. Mit dem Schritt wird dessen Veto umgangen und der Weg für den notwendigen Bebauungsplan freigemacht. „Der Bezirk hält das Vorgehen des Senats für falsch, da es auf einer juristisch fragwürdigen Verknüpfung von dem Ziel, Arbeitsplätze zu erhalten, mit der Schaffung von Baurecht basiert“, kritisiert Baustadtrat Florian Schmidt die Entscheidung auf taz-Anfrage.

Ob und wann es konkret zu einem Baubeginn kommt, steht noch nicht fest. Normalerweise dauert es etwa zwei Jahre, einen Bebauungsplan aufzustellen – es ist ein Prozess mit mehrstufiger Bürgerbeteiligung. Für Signa soll allerdings ein „vorhabenbezogener Bebauungsplan“ aufgestellt werden: ein beschleunigtes Planungsinstrument mit deutlich reduzierter Bürgerbeteiligung, das auf die Umsetzung konkreter Bauprojekte ausgelegt ist.

Die Initiative Hermannplatz, die sich seit Beginn gegen Signas Pläne einsetzt, kritisiert, das Verfahren sei vor allem auf die schnelle Umsetzung von Investorenwünschen ausgelegt. Die Initiative kritisiert außerdem das im November gestartete Partizipationsverfahren als eine „Scheinbeteiligung“, deren eigentliche Funktion es sei, den demokratisch fragwürdigen Deal zwischen Signa und Senat zu legitimieren. Erst der Deal mit Signa habe das Verfahren überhaupt angestoßen.

Eine Beteiligung sei wenig wert, wenn es am wesentlichen Punkt, nämlich dass Signa sein historisches Kaufhaus am Herrmannplatz bekommt, nichts zu rütteln gäbe: „Es interessiert uns nicht zu entscheiden, ob Blumenkübel auf dem Hermannplatz stehen, wenn wir am Ende unsere Mieten nicht mehr zahlen können“, sagt Helena Rafalsky von der Initiative. „Echte Beteiligung auf Augenhöhe kann es mit Signa nicht geben“, sagt Rafalsky. Die Initiative Hermannplatz fordert daher, die Verantwortlichkeit an den Bezirk zurückzugeben und den Letter of Intent aufzulösen.

Die Architektin Niloufar Tajeri, ebenfalls eine langjährige Gegnerin des Projekts, kritisiert, dass die Option, den Platz so zu lassen, wie er ist, gar nicht erst in Erwägung gezogen wird. Migrantische Be­woh­ne­r:in­nen seien nur sehr schwach in dem Verfahren vertreten, obwohl gerade sie zu den Haupt­nut­ze­r:in­nen des Platzes zählen. Auch Tajeri ist von dem Prozess frustriert: „Ich dachte, wir wären in Berlin schon weiter, was gemeinwohl­orientierte Stadtentwicklung angeht“, sagt sie.

Derweil setzte Signa seine Taktik fort, die Argumente der Kri­ti­ke­r:in­nen aufzunehmen, um so dem Projekt einen möglichst sozialen und grünen Anstrich zu verleihen. Der gigantische ökologische Fußabdruck, den ein Abriss und Neubau hinterlassen würde, ließ sich bisher nur schwer wegdiskutieren. Im Mai 2021 überraschte das Unternehmen dann mit dem Vorschlag, auf einen kompletten Abriss verzichten zu wollen. Stattdessen solle der Rohbau erhalten werden und durch einen Aufbau in Holzbauweise erweitert werden.

Franziska Giffey (SPD), die extra zu dem PR-Termin erschienen ist, zeigte sich von den Plänen begeistert: „Da können wir einfach nur sagen: wow, oder?“, sagte sie. Tajeri überzeugen auch die neuen „Umbaupläne“ nicht. „Ein Großteil des Gebäudes soll immer noch abgerissen werden“, erklärt die Architektin, dies müsse angesichts der Klimakrise so weit wie möglich vermieden werden, gerade wenn es sich um ein komplett funktionales Gebäude handelt. Zudem sei Holz im Moment wegen der Holzkrise eine sehr begrenzte Ressource, die nur dort eingesetzt werden sollte, wo es notwendig ist. „Das ist ein ganz klares Greenwashing“, urteilt Tajeri.

Dazu kommt, dass es keinerlei Verbindlichkeiten für Signa gäbe, sobald das Baurecht erst einmal steht. Ob Abriss oder Umbau, Holz oder Beton – „in einem Bebauungsplan können solche Dinge nicht festgeschrieben werden“, erklärt Tajeri. Auf eine Anfrage der taz, ob Signa auch in Anbetracht der explodierenden Holzpreise an den Plänen festhält, reagierte das Unternehmen nicht.

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