Labelporträt Papercup Records Köln: Verschlungene Wege zum Erfolg

Größer denken, über die Musik hinaus: Ein Porträt des Indie-Labels Papercup und seiner beiden Macher Keshav Purushotam und Steffen Wilmking.

M.C. Escher-artiges Foto der Band Keshavara

Keshav Purushotam und Teile seiner Band Keshavara Foto: Niclas Weber

Gleich mal eine These: Mit dem Ende des modernen Musikfernsehens in Deutschland ist der Antrieb verloren gegangen, Popmusik hierzulande in einem größeren Rahmen als ausschließlich in seiner schnellen Vermarktungsfähigkeit zu denken. Die Funktionalität der vergleichsweise wenigen Musikvideos, die noch gedreht und veröffentlicht werden, ist erstaunlich einseitig.

Selbst auf dem HipHop-Markt, wo lange Zeit extravagante Clips als Statussymbole galten, ist die Vorkonfektionierung heutzutage erstaunlich: Autos, Geld, Kampfhunde, Tattoos. Wirklich überraschende Bilderwelten sind selten geworden – warum auch, wenn das Filmmaterial später aus Ermangelung an Alternativen doch nur im Netz bei Youtube landet?

Bei der Kölner Band Kesh­avara und ihrem Mastermind Keshav Purushotam sieht die Visionalisierung der Musik glücklicherweise anders aus. Das aktuelle Album des Mittdreißigers startete bereits als Varietéshow! Zusammen mit einer Handvoll Freunden, darunter Videoregisseure, Tän­ze­r*in­nen und natürlich Musiker*innen, realisierte er eine verträumte, irre schöne Parallelwelt namens „Kabinett der Phantasie“.

Kleiner Geldregen hilft

Als Corona zuschlug, war es zwar erst mal Sense mit der Konzerttheaterproduktion – womöglich wäre man sonst auf große Tournee mit dem künstlerischen Konzept gegangen. Stattdessen nutzte man einen kleinen Geldregen (dazu später mehr) und dachte einfach größer: Mindestens ein Film sollte das „Kabinett“ nun werden – und natürlich auch ein Album.

Keshavara: „Kabinett der Phantasie“;

Plasma Hal: „1“ & „2“;

Dargz feat. Moses Boyd & Charlie Stacey: „Happiness“;

alle veröffentlicht bei Papercup Records/Rough Trade

Es wurde beides. Der Film, der wie ein gewollt überlanges Musikvideo daherkommt, strotzt vor Gestaltungswillen. Die Referenzen sind zahlreich: Zwischen Vaudeville, den Jahrmärkten und Kuriositätenshows des frühen 20. Jahrhunderts und der frisch-freimütigen Anlehnung an mystische Motive aus dem Hinduismus und den surrealen Vorstellungswelten des mexikanischen Regisseurs Alejandro Jodorowsky, platzieren Pu­ru­sho­tam und seine Crew lässig noch Achtziger-Chic à la Miami Vice und Neunzigerjahre-Ikonografie.

Ja, selbst beim US-Kinder-TV-Sender Nickelodeon hat man sich etwas abgeguckt. Wahrsager treffen auf vieläugige Gestalten, Glaskugeln auf stark geschminkte Männer. Das ästhetische Programm, das sich weder auf der visuellen noch auf der musikalischen Ebene genau bestimmen lassen möchte – gesagt sei hier nur, dass die kurze Aufzählung zwangsläufig unvollständig bleibt –, erschöpft sich nicht alleine auf das Projekt Kesh­avara.

One Hit Wonder

Keshav Purushotam, der Kölner, führt eher nebenbei inzwischen auch eines der interessantesten unabhängigen Labels in Deutschland: Es heißt Papercup Records und ist bereits seit 2012 aktiv. Bevor Keshavara bei der La­bel­arbeit mitmischte, spielte er mit der Band Timid Tiger.

Und Timid Tiger verdienten sich ihre Sporen im Jahr 2005 mit einem Hit, „Miss Murray“, der britisch geprägten Gitarrenpop mit einem süßen Tiger-Comic verband. Selbst das internationale Interesse und das ordentliche Airplay im bundesdeutschen Radio half Timid Tiger, dem Album „Timid Tiger & a Pile of Pipers“ und ihrem einstigen Hamburger Indie-Label L’Age D’Or, wo sie unterschrieben hatten, aber nicht mehr. Die Firma ging pleite, und Timid Tiger zog es daraufhin zum Majorlabel Columbia.

Geburtshelfer des vertraglich zugesicherten zweiten Albums wurde damals der Musiker und Produzent Steffen Wilmking. Wilmking, den man in der hiesigen Musikszene eher als Steddy oder Steddybeats kennt, war zu dem Zeitpunkt schon eine Industriegröße: Noch als Teenager unterschrieben er und seine Crossover-Band Thumb ihren ersten Majorvertrag, später trommelte er bei den ­H-Blockx.

Eigenes Label statt Banderfolg

Doch als der Erfolg mit dem Timid-Tiger-Zweitling ausblieb, wurde es zunächst stiller. Wilmking wendete sich seiner Studiokarriere zu und produzierte etwa 2011 „XOXO“, den Durchbruch des Rock-Rappers Casper. Weitere Aufträge folgten; etwa für die Band Juli und den österreichischen Trapstriezi Yung Hurn. Zwischendurch fabrizierten Wilmking und Puru­sho­tam noch ein drittes Album mit Timid Tiger – aus Ermangelung eines Plattenvertrags gründeten die beiden ihr eigenes Label: Papercup Records.

Auch hier wuchs erst mal Gras über die Sache – die nächste Veröffentlichung folgte erst 2016 und wurde das Soloalbumdebüt von Puru­sho­tam als „Ke­sh­avara“. Das Projekt war damals noch als One-Man-Show angelegt, das Label selbst hatte keine größeren Ziele. Nach und nach loteten die beiden Labelmacher ihre kreativen Möglichkeiten aus.

Steffen Wilmking am Meer

Steffen Wilmking alias Steddy Foto: A. Matsuda

Genug Potenzial gab es jedenfalls im Umfeld: Ke­shav Puru­sho­tam wurde A&R und verpflichtete vor allen Dingen Bands aus der florierenden Kölner Szene, Wilmking kümmerte sich um Distributions­deals, macht die Promotion und erledigt – als Studioprofi – sogar das Mastering.

Ideale Arbeitsteilung

Die Arbeitsteilung scheint aufzugehen, immerhin hat man Zeit, Lust und Geld, um hoch produktiv zu sein. So veröffentlichte Papercup alleine 2021 neben dem Keshavara-Konzeptalbum samt Film noch zwei weitere Alben, drei EPs und neun Singles. Dennoch kann Papercup natürlich nicht mit den Big Playern mithalten, möchte dies aber auch gar nicht. Wert legen die beiden, genauso wie bei den eigenen künstlerischen Projekten, auf eine kontinuierliche Entwicklung der ästhetischen Möglichkeiten ihrer verschiedenen Bands und Musiker*innen.

Der eigene Geschmack steht stets im Vordergrund – und familiär geht es auch zu: Das Ambientprojekt Plasma Hal wird von Benedikt Filleboeck geleitet, der nebenbei bei Keshavara Keyboard spielt; der alte Timid-Tiger-Bassist Christopher Martin (den manche auch als Mitglied von Jan Böhmermanns Rundfunk-Tanzorchester Ehrenfeld kennen) funkt auch dazwischen – selbst der bekannte Jazz- und Global-Sound-Percussionist Ramesh Shotam wirkt mit; Purushotams Vater.

Die musikalische Bandbreite ist dabei enorm: Von Modern Soul über verspulten Jazz bis zu Indierock und Synthiepop. Außerdem führt man gleich drei Sublabels: A Good Cup of Hope (Beatscience und Instrumental HipHop), Breezzze (Ambient) und außerdem Musikiste. Hinter Letzterem verbirgt sich ein Herzensprojekt von Steffen Wilmking, führt er damit doch die Arbeit seines Vaters Volker Wilmking weiter, der unter dem Namen einst ein kleines Folk­label und einen eigenen Musikverlag betrieb und Wurzeln in der Beatszene hatte.

Der Erfolg gibt Papercup recht: Letztes Jahr räumte man beide Preise von pop.NRW, dem Musikbüro des bevölkerungsreichsten Bundeslands, ab. Newcomer des Jahres wurde die ausgezeichnete Papercup-Band ACUA, die eine Nähe zu den australischen Psychedelic-Progrockern Tame Impala nicht verhehlen kann. Act des Jahres wurde Purushotam als Kesh­avara himself. Das Preisgeld floss – na klar – direkt in den Film. Einen lauen Lenz und unkreative Kunst können andere machen; bei Papercup Records investieren Purushotam und Wilmking lieber zu viel als zu wenig, damit am Ende ihr ästhetisches Ergebnis stimmt.

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